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Jugend und Sport

Vereint gegen Angsträume

Jugend und Sport: Vereint gegen Angsträume
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Ohne ehrgeizige Eltern sind Jugendliche heute aufgeschmissen. Höchste Eisenbahn, das Vereinswesen grundlegend zu professionalisieren. Und ab da wird es kompliziert.

Schwere Zeiten für Sportbruddler. Der VfB Stuttgart, bis vor Kurzem noch williger Vorlagengeber für Tobsuchtsanfälle aller Art, spielt mittlerweile sogar nach Ansicht gegnerischer Sportchefs wie dem Gladbacher Max Eberl "fehlerfrei", verliert deswegen nicht mehr so oft, die Verantwortlichen in Verein und Fußball-AG arbeiten unaufgeregt und kompetent vor sich hin, und sogar der Noch-CEO hat das Schreiben unflätiger offener Briefe wider seinen Presidente vorerst eingestellt und sitzt die letzten Monate seiner Amtszeit heimlich, still und leise aus. Echte Stuttgarter müssen sich also anderweitig umschauen – wo früher ein Wolfgang Dietrich habichtnasig keiner Auseinandersetzung und Polemik aus dem Weg ging, herrschen jetzt Friede, Freude und Eierkuchen, sozusagen. Da ist es ja gerade ein Glück, dass der neue Oberbürgermeister (manche nennen ihn Oberbacknangmeister) unserer Groß- und Dauerbaustelle bereitwillig in die Bresche springt, geradezu sich ins Feuer wirft – weil irgendwer muss es ja schließlich machen. Riesenrad auf dem großen und Fitness auf dem kleinen Schlossplatz, First Lady und die Jungs mit den Doppel-Vornamen – medienwirksam aufbereitete Chefsachen für alle, die sich auch weiterhin kraftvoll aufregen wollen.

Und wem das alles zu provinziell ist, wer die Autobahn 8 nach München immer noch für das beste an Stuttgart hält, für den gibt es Uli Hoeneß. Der hat nun wirklich noch nie ein Blatt vor den Mund genommen – und es hat ja nun auch niemand ernsthaft erwartet, der Sohn des Ulmer Metzgermeisters Erwin Hoeneß und Architekt des FC Bayern München als clubfußballerischem Weltmarktführer sei plötzlich altersmilde geworden. Genau das Gegenteil ist der Fall, plus ein paar Jahre Gefängnis in Landsberg am Lech, wer da weich reingeht, der kommt hart raus. Und wer hart reingeht, der kommt halt eisenhart raus. Das bekamen zuletzt sogar für Hoeneß geradezu disziplinübergreifend die Veganer zu spüren, die er nach eigenen Angaben nicht versteht, weil die ja quasi alle krank würden irgendwann. Und außerdem auf Kritik militant reagierten. Und wie das dann eben heutzutage so ist, verbreitet sich die Spitze gegen die Veganer ruckizucki auf allen Kanälen, auf Aktion folgt Reaktion – und wir haben eine aufgeregte Debatte darüber, ob vegan tatsächlich ungesund sei oder ob nicht vielmehr Milch und Fleisch und alles Tierische erst recht krank machten. Ein bisschen so wie beim Impfen, nur halt viel kleiner. Und noch unnötiger. Denn welcher wirklich vegan lebende Mensch vergisst heutzutage noch, sein Vitamin B12 täglich zu supplementieren? Und warum sehen sich Leute wegen solcher Aussagen genötigt, auf die Barrikaden zu gehen? Es gibt doch weitaus wichtigere Themen auch in der Welt des Sports, der in der öffentlichen Wahrnehmung doch meistens nur Fußball heißt.

Früher war anders

Eben hierzu durfte ich neulich an einer kleinen Podiumsdiskussion in Bad Cannstatt anlässlich einer Buchpräsentation des werten Kollegen Hofmann vom "kicker" Sportmagazin teilnehmen. Mit Ausnahme des Autoren befanden sich auf der Bühne ausschließlich mittelalte Gestalten um die 50, also sogenannte "alte weiße Männer", wie heute ja zu jeder passenden und weniger passenden Gelegenheit betont wird. Und wir alle schwelgten ein wenig in der Vergangenheit, als angeblich alles noch besser war und Vereine noch echte Vereine waren. Und ich konnte einen kleinen Treffer landen mit dem Satz, der VfB Stuttgart brauche doch gar keine Investoren aus Saudi Arabien, wo sie unliebsame Leute in irgendwelchen Botschaften zersägen und verschwinden lassen. Uns beim VfB reiche doch vollauf der Stihl aus Waiblingen, der diese Sägen herstelle.

Wofür wir aber noch mindestens zwei weitere Abende der Diskussion gebraucht hätten ist die Frage, ob das denn alles überhaupt noch zeitgemäß ist mit den Vereinen. Ein gar zu weites Feld natürlich, aber wenn wir uns die Lebenswirklichkeit junger Menschen heute anschauen, dann sehen wir doch, dass es eben nicht mehr nach der Schule kurz heim geht zum Mittagessen und danach raus "auf die Gass" oder halt zum Kicken, bis abends die Laternen angehen. Heute, wo die Kinder Carl-Alexander und Franz-Ferdinand heißen, ist doch häufig Schule bis nachmittags, dann Hausaufgaben, Nachhilfe, Musikinstrument, und danach vielleicht noch 90 Minuten Training in irgendeiner Sportart, geht's direkt wieder nach Hause. Oder, wer weder Doppelvornamen noch ehrgeizige Eltern hat, wer womöglich kein allzu gutes Zuhause hat, der hängt höchstens irgendwo ab, zockt vielleicht irgendwas, aber nix Musikinstrument, nix Nachhilfe, nix Verein, außer du kommst vom Dorf, wo es außer dem einen Verein überhaupt nix gibt, nicht mal eine Betonwüste namens Stadt drumherum, wo du abhängen und dich verstecken kannst.

Ist es nicht vielleicht so, dass die vielen Vereine, die es immer noch gibt, völlig umgekrempelt werden müssten, professionalisiert werden müssten, weil sie eben heute mehr leisten müssten als früher, als es reichte, einfach da zu sein, bissle Training vielleicht, aber vor allem auch ein Ort, wo die Jugend hingehen konnte, ohne dass die Eltern sich übertrieben Sorgen zu machen brauchten? Sind Vereine heutzutage nicht viel mehr gefordert, ein richtig gutes Training anzubieten, den Kindern auch zu sagen, dass sie den Energydrink morgens vor der Schule weglassen sollen, ihnen beibringen, wie man mit seiner Zeit umgeht und wie man seine Mitmenschen respektiert? Nun könnte man annehmen, die Schulen sollten all dieses leisten, so ein wenig wie die Highschools in den USA. Aber legen Sie mal Hand an unser Schulsystem, meine Güte, da ist was los. Außerdem hat ja auch das US-System einige Schwächen, es nimmt zum Beispiel viele gar nicht mit, und viele andere fressen trotzdem täglich Junkfood XXL. Trotzdem ist zumindest der Sport im US-System tipptopp, und das kann er nur sein, weil da ein geradezu mordsmäßiges Fundraising betrieben wird seitens der Schulen und weil es da traditionell zum guten Ton gehört, sich finanziell zu engagieren, wenn man sich das leisten kann. Oder, um es mal ganz überspitzt zu sagen: Was Dietmar Hopp hier macht, wenn er mal keinen gescheiterten Impfstoff entwickelt, das machen dort ganz viele. Inklusive der erwachsenen Sportler, die zu Ruhm und Geld gekommen sind. Stars ohne Charity völlig undenkbar. Bei uns machen das die Leute mit wenigen Ausnahmen (die einen guten Werber haben) höchstens heimlich, als wäre es ihnen peinlich.

Mehr Geld, weniger Argwohn

Vielleicht müssten wir ganz anders umgehen mit den Jugendlichen und dem Sport und den Vereinen. Viel mehr Möglichkeiten bieten. Dafür brauchten wir in unseren Vereinen viel professionellere Trainerinnen und Trainer, keine verschimmelten Duschen und einsturzgefährdete Hallen, und wir müssten das Ganze ganz anders finanzieren – denn "der Staat" als vorgeblicher Förderer und Verantwortlicher des Gemeinwohls tritt ja nun ärgerlicherweise in vielen Bereichen immer mehr hinter irgendwelche ausgelagerten Profit Center zurück wie Homer Simpson in die Hecke (falls Sie das GIF kennen). Allein die wie eine Drohung vor dem Untergang genutzte Tatsache, dass eine angemessene Förderung junger Menschen kurzfristig deutlich mehr Geld kostet, reicht aber leider, alle Denkansätze sofort als Illusion in die Tonne zu treten. Weder steigt der Druck auf den Staat, das Land, die Kommune, die Gemeinde mehr zu tun, noch sinkt der Argwohn gegen privates Mäzenatentum. Dass die Menschen, die in der Jugend besser gefördert werden, später viel weniger krank sind und auch jenseits der körperlichen Verfassung deutlich besser drauf, das gilt leider nirgends als Argument, sich mal Gedanken zu machen. Lieber zeigen wir angewidert auf die Asozialen, die den kleinen Schlossplatz nachts in einen Angstraum verwandeln. Und sind erleichtert, wenn solche Menschen an die Randbezirke der Gesellschaft verfrachtet werden.


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2 Kommentare verfügbar

  • era
    am 02.11.2021
    Antworten
    Hm. Tja. In alten Zeiten schwelgen. Was will man denn, wenn man so einen Text schreibt?
    Soziale Sicherheit? Sozialen Ausgleich? Sicherheit für die Kinder? Gar Chancengleichheit letztendlich? Keine Probleme in den schwierigen Stadtbezirken mehr?
    Sollten das die Wünsche sein, die einen so antreiben…
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