Vielleicht kennt Wachstum ja doch keine Grenzen. Zumindest nährt eine bemerkenswerte Entwicklung Zweifel an der irdischen Endlichkeit: Während der Weltrekord-Kürbis von 2007 läppische 767 Kilo schwer war, brachte der monströse, gewaltige, atemberaubende Titelträger in diesem Jahr 1.226 Kilo auf die Waage – das ist in etwa so viel wie dreizehn Orang-Utans, zwei übergewichtige Eisbären, ein schlankes Nilpferd oder eine Dreiviertel Giraffe. Gezüchtet wurde dieser kolossale Gigantenkürbis – wie könnte es anders sein? – vom Kürbiszuchtgroßmeister Stefano Cutrupi aus dem italienischen Radda, der seine ohnehin beeindruckende Meistertitelsammlung mit diesem biologischen Wunderwerk noch beträchtlich erweitern konnte. Neben dem Allzeit-Weltrekord triumphierte er mit seinem Titanengewächs auch bei der diesjährigen Europameisterschaft – und das "war schon fast zu erwarten", wie die "Stuttgarter Nachrichten" schreiben.
Zu bestaunen ist das in der Toskana aufgezogene Schwerstgewicht gegenwärtig vor dem Ludwigsburger Barockschloss, in eine Ausstellung eingebettet, wo ihm, dem König der Kürbisse angemessen, ein eigenes Zelt gewidmet wurde: Im weiß erstrahlenden Pavillion mit royal anmutendem Spitzdach verzückt Eure Majestät Staunende aller Altersklassen. Anfassen ist allerdings nicht erlaubt. Im Absperrbereich betont ein Schild: "Bin zwar groß, aber trotzdem ein empfindliches Gewächs. Bleibt draußen! DANKE". Zugegeben: Besonders hart sieht die Schale zum unzweifelhaft weichen Kern nicht aus. Vielmehr scheint der zügellose Hühnenwuchs auch seine Schattenseiten mit sich zu bringen. Als drohe er unter seinem Eigengewicht zu kollabieren, ist Seine Durchlaucht von Einbuchtungen überzogen, aufgedunsene Ausbeulungen unterfüttern die Sorge, dass sie jederzeit aufplatzen könnten, und das leuchtend vitale Orange, in dem das Prachtexemplar einst stolz erstrahlte, weicht zunehmend einem gräulichen Grün.
Lange zu leben haben die Kürbiskolosse von Ludwigsburg ohnehin nicht mehr. Neben dem Weltrekord-Exemplar gibt es noch eine Reihe von solchen, die die 500-Kilo-Marke reißen. Nun aber wird ihnen gerade das, was sie auszeichnet, zum fatalen Verhängnis: Am 28. November steht das große Schlachtfest an, wie eine Broschüre zur Ausstellung informiert, und "viele Züchter hoffen auf die wertvollen Kürbissamen – und einen möglichen Riesenkürbis im nächsten Jahr". Hoffen wir mal, dass das friedlich bleibt.
Zumal Größe bekanntermaßen nicht alles ist. Funktional betrachtet könnten zahlreiche der nicht genießbaren, aber beeindruckend voluminösen Bio-Goliaths zwar problemlos als Badewannen genutzt werden oder, wenn das mit ihrem Wachstum so weitergeht, eines Tages vielleicht sogar als nachhaltiges Tiny-House. Unter Gesichtspunkten der Ästhetik werden die meisten der Mammutwüchsigen jedoch von zahlreichen der insgesamt über 450.000 ausgestellten Kürbisse aus dem Felde gestochen. Sie deklinieren hier alle nur denkbaren Variationen der Erscheinung durch – wer hätte gedacht, dass die Weltformel eines Tages herbeigezüchtet wird?
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