Seine Liebe zum Segeln und zu seiner Arbeit für die Seenotrettung ist auch in seinem Büro nicht zu übersehen. Auf dem Tisch liegen Flyer, er selbst trägt ein Shirt, auf dem der Schriftzug "SARAH" in einem Rettungsring zu lesen ist, an der Wand Bilder von Segelschiffen, selbst das Hintergrundbild auf seinem Desktop zeigt ein Segelschiff. "Um zwölf Uhr", sagt Thomas und ist wieder auf dem Mittelmeer, "wurde es zunehmend eine Scheißsituation für die Menschen." Mit den Einsatzschlauchbooten fuhr die Crew immer wieder vom "Stahleimer" zu den hilflosen Menschen in ihren Booten, sie brachten Wasser und beruhigende Worte, baten um Geduld und wussten selbst nicht, um wie viel Geduld sie bitten mussten.
Irgendwann entschied die Crew, zwei Plastikfässer, die mit CO2 gefüllt waren und sich zu Rettungsinseln aufblasen ließen, ins Meer zu lassen und mit Seilen am Mutterschiff anzubinden. Ein Provisorium. Denn die Sea-Eye konnte unmöglich alle Menschen aufnehmen. Die Crew brauchte selbst Hilfe, um helfen zu können. Doch was ist, wenn niemand zu Hilfe kommt? Wenn du da draußen die Entscheidung treffen musst, wen du zurücklässt? Wie alt muss ein Mensch sein, um noch als Kind zu gelten, wenn es heißt: Frauen und Kinder zuerst? Und wer will das entscheiden?
Ausdruck der Menschlichkeit
Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags schreibt in seiner Kurzinformation der völkerrechtlichen Verpflichtung zur Seenotrettung unter anderem: "Die Pflicht zur Rettung von Menschen in Seenot ist als Ausdruck der Menschlichkeit tief verankert in der Jahrhunderte alten maritimen Tradition und gilt gemeinhin als ungeschriebenes Völkergewohnheitsrecht. Sie gilt in jedem Bereich der See. Der klassische Fall einer Seenotrettung betraf Seefahrer, die auf ihrer Route mehr oder weniger zufällig Schiffe in Gefahr antrafen. Seefahrer, die hingegen aufbrechen, um gezielt nach Schiffbrüchigen zu suchen (wie im Falle der privaten Seenotrettungsorganisationen im Mittelmeer), unterliegen jedoch denselben gewohnheitsrechtlichen Verpflichtungen. Denn auch sie sind an die humanitären Prinzipien der Seenotrettung gebunden."
Am späten Nachmittag jenes Tages hatte Thomas seinen "Aha-Moment", wie er es nennt. Er war gerade oben auf der Brücke eine rauchen, als ihm klar wurde: Die Italiener, sie werden nicht zu Hilfe kommen, er und die Crew sind alleine mit diesen vielen Menschen, die nicht alle auf ihr Schiff passen. Plötzlich schrie eine Frau: "Meine Freundin bekommt ihr Kind."
Es wurde dunkel. "Ich sah auf dem Radar, dass das deutsche Seenotrettungsschiff 'LifeBoat Minden' aus dem Osten kam, und funkte sie an", sagt Thomas. Anders als die Italiener kam ihnen die LifeBoat zu Hilfe. Die beiden Seenotrettungsschiffe teilten die Geflüchteten auf, nahmen sie an Bord und fuhren los, in die Nacht hinein Richtung Lampedusa, langsam, denn das Meer war wild und aufgewühlt.
Bei diesem Einsatz konnten alle Menschen gerettet werden. Das ist nicht selbstverständlich. Der Tod gehört zur Seenotrettung dazu. Solange Menschen sich auf den Weg machen müssen, um Krieg und Hunger, Zerstörung und Leid zu entfliehen, ist das Sterben für viele der Preis für die Hoffnung auf Leben.
Seenotrettung in Not
Thomas beugt sich nach vorne und bewegt die Computermaus, das Segelschiff auf seinem Desktop taucht auf, er klickt auf einen Ordner, ein Foto erscheint. Darauf ist ein Junge in den Armen seines Vaters zu sehen, der leblose Körper des Kindes hängt schlaff durch. Im Hintergrund ein Holzboot. Thomas zeigt auf das Foto und erklärt, dass die Holzboote, auf denen die Geflüchteten sich auf den Weg machen, oft drei Etagen hätten. Als erstes kommt der Rumpf, der mit Menschen beladen wird. Über die Köpfe dieser Menschen wird ein Deckel geschoben. Er dient als Boden für diejenigen, die dann aufs Boot kommen. Auch sie verschwinden unter einem Deckel. Und darauf stehen dann die Menschen, die man sieht. Wenn Wasser ins Boot läuft, sagt Thomas, ertrinken erst die ganz unten. Sie klopfen an die Decke, während das Wasser in den Rumpf läuft, bis das Klopfen irgendwann aufhört. "Ich versuche immer, an die zu denken, die wir retten konnten", sagt Thomas, "an die, die wir noch retten werden. Für mich ist das Glas immer halb voll," sagt er und klickt das Foto weg.
Thomas, so erzählt er es, war nie besonders politisch oder aktivistisch unterwegs. Aufgewachsen im gutbürgerlich Schwäbischen, hat er Ver- und Entsorgungstechnik studiert, später sein eigenes Unternehmen gegründet und sich bei den Freien Wählern im Ort engagiert. "Horst Seehofer hat mich zum politischen Handeln motiviert und meinen Linksschwenk in der Politik und meinen Aktivismus bestärkt", sagt Thomas.
Während im Sommer 2018 die Welt vor den Fernsehern saß und die Fußballweltmeisterschaft der Männer verfolgte, eskalierte die Situation für die zivile Seenotrettung im Mittelmeer. Eine Hafenblockade führte dazu, dass die "Lifeline" mit 235 Geflüchteten an Bord neun Tage vor der maltesischen Küste stand und nicht in den Hafen einlaufen durfte. Thomas war damals der Einsatzleiter der Mission. In einer kurzfristig anberaumten Aktuellen Stunde im Deutschen Bundestag tobten die Vertreter:innen der Linken und der Grünen. Abgeordnete beider Parteien hatten sich zuvor selbst ein Bild von der Lage vor Ort gemacht, darunter der damalige Linken-Bundestagsabgeordnete Michel Brandt aus Karlsruhe. In seiner Rede sagte er in Richtung des Bundesinnenministers: "Sie reden von europäischen Werten und Menschenrechten, während Leichen an die Mauern von Europa gespült werden." Für ein gutes Wahlergebnis in Bayern opfere er Menschenleben.
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