Das frage ich mich auch. Die AfD gibt es hier schon so viel länger, und Rassismus und Übergriffe erleben ich und viele migrantische Menschen, people of colour und Geflüchtete tagtäglich. Ich habe auch Angst vor Angriffen auf der Straße, auf dem Weg zur Schule, in der Straßenbahn. Aber auch davor, wie werde ich angemacht, angeguckt von der Mehrheitsgesellschaft. Es ist dieses konstante Gefühl: Eigentlich möchten sie dich nicht hier haben.
Sie haben vor einem Jahr den Menschenrechtspreis von Pro Asyl erhalten. Da waren Sie 19 Jahre alt. Wann haben Sie angefangen, laut zu werden, sich zu wehren?
Ich möchte einen Schritt zurückgehen. Wenn du mit acht Jahren fliehst aus einem von Gewalt und Folter geprägten Alltag in Afghanistan, den lebensgefährlichen Weg nach Europa gehst und dann in Deutschland ankommst und merkst, dass es hier diesen Rassismus in institutioneller Form wie im Alltag gibt, dann lernst du auf sehr schmerzliche Weise, dass du dich nicht auf die Politik verlassen kannst. Ich habe das Video gesehen von einem Jungen, der in der Straßenbahn zusammengeschlagen wurde und keiner hat ihm geholfen. Das ist ja das Absurde in den Sozialen Medien: Auf der einen Seite siehst du ein lustiges Katzenvideo und im nächsten Augenblick kommt dieses Video, während du selbst in der Straßenbahn sitzt. Ich habe geweint. In diesem Moment tat sich der Raum auf, endlich über diesen eingekapselten Schmerz zu sprechen. Wie geht es uns - meinen Eltern, meiner Schwester und mir - eigentlich hier in Deutschland? Und wie geht es anderen Geflüchteten? Das war der Anfang.
Ihr erster öffentlicher Auftritt war kurz danach bei der 1.-Mai-Kundgebung auf dem Erfurter Domplatz vor drei Jahren. Sie sprachen mit einem Banner vor dem Gesicht.
Die Veranstalter wollten mich schützen. Denn die Neonazis standen direkt gegenüber auf dem Domplatz. Ich habe bei meiner ersten Rede sehr persönlich gesprochen. Und da habe ich gemerkt, es gibt tatsächlich Menschen, die das interessiert, die scheiße finden, was hier passiert an alltäglichem Rassismus. Das war so krass für mich, weil ich all die Jahre so alleine war. Ich habe geschwiegen, ich habe mich angepasst. In der Schule habe ich Geschichten erfunden, wenn alle von ihren Erlebnissen in den Ferien erzählt haben. Und um eine Wohnung für meine Familie zu finden, bin ich als 16-Jährige im Anzug aufs Wohnungsamt gegangen und dachte, das würde helfen. Dort auf dem Domplatz habe ich zum ersten Mal Solidarität erfahren und gemerkt, dass ich nicht alleine bin.
Inzwischen sprechen Sie auf vielen Kundgebungen wie kürzlich in Plauen. Sitzen auf Podien und stellen bei der Bundespressekonferenz die neueste Statistik der Übergriffe auf Geflüchtete vor. Auch die BBC hat Sie jetzt kurz vor der Wahl interviewt. Wie hat diese Öffentlichkeit Ihr Leben verändert?
Die BBC-Leute kamen zu mir nach Hause, es war mein erstes Interview auf Englisch und ich habe meine Mutter noch von Dari ins Englische übersetzt. Das war anstrengend. Es kostet immer viel Kraft, öffentlich über den Schmerz, die Entmenschlichung und die Ungerechtigkeit zu sprechen. Und es provoziert viele Leute zu Beleidigungen: Geh doch zurück, wenn es dir nicht passt. Immer wieder sagen mir Menschen, pass auf dich auf. Raten mir, Daten zu sperren, wenn nach einem Auftritt die Einschüchterungen und Drohungen auf den sozialen Medien losgehen. Raten mir, aus Erfurt wegzugehen zu meiner Sicherheit, nach München oder Tübingen. Aber dazu habe ich weder das Geld, noch die Lust. Denn hier habe ich Mitstreiter:innen gefunden. Ich will mich nicht vertreiben lassen.
3 Kommentare verfügbar
Peter Bähr
vor 2 WochenWenn eines Struck nicht vorzuwerfen ist: Dass die Nine-eleven-Hintermänner - erweislich ohne Postfach oder Briefadresse - nicht zu Plausch und Plätzchen eingeladen wurden, geschweige zum Gedankenaustausch.