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Herrenfußball

Pervertierte Profi-Liga

Herrenfußball: Pervertierte Profi-Liga
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Frustrierte Fans, Korruption, Greenwashing und trotzdem volle Stadien: Das neue Fußball-Buch von Christoph Ruf "Genug geredet" liefert Steilpässe für neue Diskussionen.

Der Karlsruher Journalist und Autor Christoph Ruf geht gerne zu den Stuttgarter Kickers, um sich dort Regionalliga-Fußball anzusehen. Schon im ersten Kapitel seines gerade erschienenen Buches "Genug geredet! Die Irrwege der Bundesliga und die Inkonsequenz der Fans" lässt er wissen, dass seine einst innige Liebe zum Bundesliga-Fußball nachhaltig erschüttert ist: "Meister werden immer die Bayern. Derweil steigen die Gehälter immer weiter, nicht nur die der wenigen Superstars. Man kann davon ausgehen, dass jeder Durchschnittskicker, jede Nummer 15 im Kader, weit über eine Million Euro verdient, bei manchen Vereinen auch das Fünf- oder Zehnfache. Das ist nicht meine Liga. (…) Mich nervt das stundenlange Gequatsche über wechselwillige Stars (…) – all das ödet mich fast so an wie der unsägliche Videobeweis."

Auf 224 Seiten stellt Ruf kenntnisreich und pointiert dar, wie der Fußball in den drei ersten offiziellen Profi-Ligen vollends jede Verhältnismäßigkeit und jegliches Maß in der Hatz um neue Märkte und Moneten verloren hat. Der seit Jahrzehnten für überregionale Medien wie etwa die "Süddeutsche Zeitung" oder "Spiegel Online" arbeitende Journalist zeichnet die Entwicklungen im Hochglanz-Fußballzirkus analytisch scharf nach: "Die Machtzentren des Fußballs liegen andernorts als noch vor 20 Jahren. Europa und Südamerika als über Jahrzehnte unangefochtene Platzhirsche (…) haben mächtige Konkurrenten bekommen. Die USA, vor allem aber der arabische Raum sind die Boomregionen der Gegenwart. Und die der Zukunft. Das ist der Grund, warum die WM 2034 nach Saudi-Arabien vergeben wird. Das ist der Grund, warum die DFL geradezu panisch ihre Auslandsvermarktung ankurbeln will. Und das ist der Grund, warum immer mehr Menschen an der Basis der Klubs den Eindruck haben, dass es um sie nicht mehr geht. Ein Eindruck, der vollkommen zutreffend ist."

Er kommt zum Schluss, dass sich das System – spätestens seit der Corona-Pandemie – vollends pervertiert hat. Interessant dabei: Die Stadionbesucher samt der Ultra-Szenen sind auch nach der Pandemie und ihrem rüden Ausschluss aus den Arenen dennoch alle wieder da. Die Branche boomt auch weiter in Sachen Stadienauslastung. Ruf nimmt als einer der größten Kenner bundesdeutscher Fan-Milieus auch die Anhänger in der Kurve nicht von Kritik aus und beschreibt ihren Widerstand gegen die "Hollywoodisierung des Fußballs" als oft zu harmlos und inkonsequent: "Am Scheideweg steht (…) auch die kritische Fanszene, die den Verbänden oft auf den Leim geht und längst Teil einer Inszenierung ist, die sie eigentlich ablehnt." Der Autor nennt hier gerne initiierte Gesprächsrunden von Verbands- und Vereinsverantwortlichen mit Fanvertretern, die oftmals ergebnislos enden, aber viel Frust und Ärger aus dem dampfenden Kessel nähmen. Zudem ließen sich auch manche kritische Fanvertreter – entsprechend hofiert – allzu leicht durch die Nähe zu den wichtigen Protagonisten des Fußball-Business schlicht etwas korrumpieren.

Beispielhafte Machtspiele beim VfB

Wie wichtig dieses im Werkstatt-Verlag erschienene Buch exakt zu diesem Zeitpunkt ist, zeigt nicht zuletzt eindrücklich die aktuelle Debatte beim Bundesligaverein in Stuttgart: Anhänger des VfB wundern sich hier gerade, wie schnell man doch komplett verkauft ist, wenn ein Verein sich komplett verkauft. Gewohnt großspurig verkündete der Brustring-Klub im Sommer mit Blick auf Mercedes-Benz ein "Weltmarken-Bündnis", sammelte die Millionen im dreistelligen Bereich des neuen Großinvestors Porsche ein, benannte das Stadion nach der Porsche-Tochter in MHP-Arena um – und schon startete der Sportwagenbauer auf der Überholspur durch: Im Aufsichtsrat der ausgegliederten Profifußballabteilung wurde der bei den Fans beliebte Präsident des Gesamtvereins Claus Vogt als Vorsitzender flugs entfernt und durch die dem Kapital stärker zugewandte Geschäftsführerin des Bundesverbands der Deutschen Industrie und Ex-Landesministerin Tanja Gönner (CDU) ersetzt.

Die Ultras in der Cannstatter Kurve fühlen sich und die Interessen der Vereinsmitglieder verraten, hatte doch der einstige VfB-Präsident Wolfgang Dietrich versprochen, der Chefposten im Aufsichtsrat der AG würde immer dem Präsidenten des Gesamtvereins zustehen. Eine Zusage, mit der der Ex-VfB-Chef die Mitglieder 2017 erst zur Zustimmung für die Ausgliederung der Profifußballabteilung bewegt hatte.

"Genug geredet!" liefert interessante Zahlen und Fakten: Nach einer repräsentativen Studie würde fast die Hälfte der befragten Fans angeben, die Kommerzialisierung sei "völlig überzogen", ein weiteres Viertel fände sie "eher überzogen" – die Fußballbranche sollte eigentlich alarmiert sein. Ist es aber nicht, Ignoranz und Arroganz herrschen rund um die Hochglanz-Arenen von Leipzig über München bis nach Stuttgart allerorten vor. Ruf beleuchtet in seinem Buch auch die jüngsten Mechanismen der Fußballunternehmen inklusive ihrer Verbände: Greenwashing. Mit von oben verordneten Kampagnen gegen Rassismus und Diskriminierung wird versucht, ein positives Image für das Hochglanzprodukt zu generieren – ebenso wird eine ökologische Nachhaltigkeit mittlerweile nun gerne behauptet. Sonderlich viel Substanz und Überzeugung fehlen freilich regelmäßig.

Als Beispiel führt der Autor die WM im Winter 2022 im Katar an, als der DFB – getrieben von Profitgier – mit seiner Nationalmannschaft natürlich teilnahm und den wenig demokratischen Wüstenstaat so legitimierte. Und dann mit inhaltsleeren Gesten sein angekratztes Image retten wollte: "So flüchtete sich der Verband in Aktionen, die gerade im deutschen Fußball generell Konjunktur haben: plakative Alibimaßnahmen, gern im Zeichen der Regenbogenbinde und bunt angestrahlter Stadien. Das kostet nichts, weder konkret noch im übertragenen Sinne. Und es trägt einem viel billigen Applaus im eigenen Land ein." Für Christoph Ruf produziert die Fußballbranche längst zu viele Luftblasen, so kommt er zu seinem Fazit: "Genug geredet!"

Anmerken lässt sich bei der Auseinandersetzung um Kommerz und Profit im Bundesliga-Fußball, dass die Debatte leider nie in eine gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung um Ökonomie eingebettet wird: Wie stellt sich der kritische Fußballfan die Welt denn eigentlich vor, der niemals eine Kapitalismuskritik formuliert, die Prinzipien von Profit und Profitmaximierung in der ganzen Gesellschaft stets akzeptiert, zumindest aber nie thematisiert, jedoch in der Kulturindustrie Fußball-Bundesliga sollen doch bitteschön Kommerz und Profitstreben verschwinden können? Diese Frage wäre natürlich auch in "Genug geredet!" spannend gewesen, sie muss aber nicht zwingend in einem Fußballbuch beantwortet werden. Auch nicht in einem sehr guten wie dem hier vorliegenden.


Christoph Ruf, Verlag Die Werkstatt: "Genug geredet! Die Irrwege der Bundesliga und die Inkonsequenz der Fans". 224 Seiten, 22 Euro.

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2 Kommentare verfügbar

  • Helmut Gattermann
    am 08.04.2024
    Antworten
    Es ist selten, dass bei einer Buchbesprechung so viel rüber kommt, von dem behandelten Gegenstand. Aber schon in der Rezension von Klaus Teichmann wird viel ausgesagt über die Unterhaltungsindustrie Fußball. Viele mutige Gedanken, die einmal mehr beweisen, dass "Kontext" wichtig ist in unserer…
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