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Ostermarsch in Stuttgart

Mut machen in kriegerischen Zeiten

Ostermarsch in Stuttgart: Mut machen in kriegerischen Zeiten
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Sie sind mehr als nur eine schöne Tradition: die Ostermärsche für den Frieden. Am Samstag zogen mehrere Tausend Menschen durch Stuttgart, um für Friedensverhandlungen und Waffenstillstände zu demonstrieren.

Für Frieden auf die Straße zu gehen, kann so falsch nicht sein. Am Karsamstag sammelten sich zunächst um die 2.000 Frauen und Männer auf dem Stuttgarter Schlossplatz zur Auftaktkundgebung, zum Demozug wurden es dann deutlich mehr. Im Vergleich zum Jahr davor wurden die überwiegend älteren Ostermarschierer:innen von mehr Familien mit Kindern und jüngeren Leute begleitet.

Vielleicht hatten führende Politiker:innen geholfen, ein paar zu mobilisieren. Zwar ließ sich in diesem Jahr im Vorfeld niemand dazu hinreißen, von Lumpenpazifisten zu reden, aber es gab Warnungen aus der Politik vor "einseitiger Parteinahme in Konflikten" (Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, Grüne), ihr Parteifreund, Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, äußerte zwar Verständnis für den Wunsch nach Frieden, meinte aber, es sei naiv, auf Waffen verzichten zu wollen. Und Friedrich Merz (CDU) befand, die Friedensbewegung sollte doch mal von Putin fordern, den Krieg zu beenden, alles andere wäre "Realitätsverweigerung".

Die Ostermarsch-Redner:innen in Stuttgart hielten sich realistischerweise lieber an die eigene Regierung und forderten sie auf, Waffenlieferungen an die Ukraine und Israel zu beenden und sich stärker für Verhandlungen und Waffenstillstände einzusetzen.

Aufgerufen hatte in Stuttgart ein Bündnis aus Friedensinitiativen, Gewerkschaften, Naturfreunde-Gruppen, mehr oder weniger linken Vereinigungen und von die Linkspartei selbst. Die Ansage, dass die Friedensbewegung sich ausdrücklich abgrenze "gegen Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus, Diskriminierung und Hetze", zeigte offenbar Wirkung: Russlandfreund:innen wie die AfD waren nicht erkennbar dabei.

Auftakt des Ostermarsches war die Kundgebung vor dem Eucom in Stuttgart-Vaihingen, der Kommandozentrale der US-Streitkräfte in Europa. Hier rief der stellvertretende Landesvorsitzende der Naturfreunde Württemberg, Gerhard Jüttner, dazu auf, Atomwaffen zu ächten und forderte, Eucom sowie Africom zu schließen (seine Rede gibt es hier in voller Länge).

Die Friedensbewegten sind aktuell vor allem über die politische Debatte um "Wehrhaftigkeit" und "Kriegstüchtigkeit" besorgt, inklusive der Forderung nach sehr teurer Aufrüstung und der Ankündigung von FDP-Finanzminister Christian Lindner, im nächsten Jahr müsse im Bundeshalt überall gespart werden. Also fast überall. Das Verteidigungs- (SPD), das Justiz- (FDP) sowie das Umweltministerium (Grün) sind offenbar ausgenommen. Andersherum ausgedrückt: Gespart werden soll im Sozialen, bei Familien, Verkehr, Entwicklungshilfe, Außenpolitik. Das regte auf dem Stuttgarter Schlossplatz alle Redner:innen auf.

Wenige gewinnen, viele sterben

Auch Heike Hänsel von der Gesellschaft der Kultur des Friedens. Die ehemalige Bundestagsabgeordnete der Linken machte einen großen Rundumschlag, kritisierte Aufrüstungspläne, den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und "alle Nato-Kriege". Ausdrücklich unterstützte sie Ralf Mützenich (SPD), der aufgerufen hatte, darüber nachzudenken, wie ein Krieg eingefroren und beendet werden könnte, und forderte – als einizige Rednerin – die Auflösung der Nato, weil sie meint, diese sei "Teil des Problems und nicht der Lösung", um "eine Politik des gegenseitigen Vertrauens, des Dialogs und der Abrüstung" anzugehen (die ganze Rede hier).

So weit ging die Rednerin von Pax Christi, der katholischen Friedensorganisation, nicht. Wiltrud Rösch bezog sich nicht nur auf mehrere Päpste, die sich aktiv für Frieden eingesetzt hätten, und auf Jesus, sie widmete sich verhältnismäßig ausführlich dem Gazakrieg und verlangte, dass die Verantwortlichen des Hamas-Massakers vom 7. Oktober dem Internationalen Strafgerichtshof überstellt und die Geiseln freigelassen werden. Die Bundesregierung kritisierte sie für deutsche Waffenlieferungen an Israel und weil sie trotz Hungersnot in Gaza die Zahlungen an das UN-Flüchtlingshilfswerk für die Palästinenser:innen UNRWA eingestellt hat. Die Zustimmung zu diesem Teil war groß, nicht nur unter den anwesenden Palästina-Aktivist:innen, erkennbar an ihren großen Fahnen.

Rösch machte den Protestierenden zudem Mut, erklärte, warum die Friedensbewegung wichtig sei: nicht nur, weil sie die Stimme ist, die im Kriegsgeschrei an den Frieden erinnert. "Friedensbewegung braucht es, damit nach dem Krieg noch jemand da ist, der die Hand zur Versöhnung ausstreckt."

Denn irgendwann ist jeder Krieg zu Ende, und in der Regel profitieren dann eher wenige davon, viele sind tot. Das zeigt die Geschichte, betonte Maike Schollenberger. Die stellvertretende Landesbezirksleiterin von Verdi Baden-Württemberg befasste sich qua Amt vor allem mit der Plänen der Bundesregierung, mehr Geld für Waffen auszugeben: "Wir sind nicht schwer von Begriff. Wir wissen alle: Jeder Euro in Waffen ist ein Euro weniger für Klimaschutz, für Soziales, für Bildung und Gesundheit."

Kein Werben fürs Sterben

Maike Schollenbergers Rede vom 30. März:

Liebe Freundinnen und Freunde,

erst ging es um Helme. Dann um Munition. Dann um Panzer. Es folgten Kampfjets. Und jetzt Raketen. Seit 766 Tagen und dem Überfall auf die Ukraine debattieren wir in diesem Land, wie wir die Ukraine am besten unterstützen können. Und jedes Mal heißt es, diese Waffengattung sei der Gamechanger in diesem Krieg. Die Frage, welche Waffengattung als nächstes der Heilsbringer sein soll, wird kommen. Ganz konkret hat uns dieser Krieg, der plötzlich so nah ist, auch zu diesen Dingen gebracht:

Im Herbst 2023 forderte Verteidigungsminister Pistorius, Deutschland solle wieder kriegstüchtig werden – also nicht nur technisch auch gesellschaftlich. Bisher war von wehrhaft die Rede, jetzt geht es also ums Ganze und markiert einen echten Tabubruch.

Am 17. März hat Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger von der FDP gefordert, dass Kinder in den Schulen auf Kriege und Krisen vorbereitet werden, ein unverkrampftes Verhältnis zur Bundeswehr entwickeln sollen. Werben fürs Sterben – also nicht mehr nur auf Plakaten, im Kino und auf Ausbildungsmessen. Die Zeitenwende im Klassenzimmer – unerträglich!

In Talkshows und auf online Plattformen verfolgen wir Diskussionen zwischen Strack-Zimmermann und Anton Hofreiter, wie sie sich überbieten bei der der Frage nach neuen Waffenlieferungen und dabei nicht davor zurückschrecken, ihren Kanzler, der mit seiner Haltung zu Waffenlieferungen die klare Mehrheit der Bevölkerung vertritt, immer wieder aufs Neue als Zauderer angreifen.

Aber was Pistorius und Stark-Watzinger fordern, hat eine andere Qualität als das ständige Aufhetzen in den sozialen Medien und Talkshows. Denn die zwei sind Mitglieder dieser Bundesregierung. Sie bestimmen den Kurs dieses Landes qua Amt. Und dieser Kurs, den wir mit der sogenannten Zeitenwende eingeschlagen haben, macht mir Angst, denn er schafft Normalität für Kriege und nicht für Frieden.

Und auch die Opposition stimmt ein – Freiheit sei wichtiger als Frieden, meint Friedrich Merz. Und wörtlich: Frieden gibt es auf jedem Friedhof. Zynischer kann man nicht mehr auftreten. Ein Berufspolitiker, der sein ganzes langes Leben in Freiheit, Frieden und vor allem Wohlstand leben durfte, sagt Menschen, jungen Menschen, wofür wir sterben sollen, wenn das Vaterland es verlangt.

Dabei ist dieser Gedanke so grauenhaft, wenn ich an die jungen Menschen in den Schützengräben der Ostfront in der Ukraine denke, auf beiden Seiten. Für sie ist die Freiheit weit entfernt und der ewige Frieden auf einem Friedhof nah und tägliche Bedrohung. Zigtausende sind schon tot. Haben ihr Zuhause, Freunde und Familien verloren – für Geländegewinne von wenigen Metern.

Wo sind wir also hineingeraten? In der Kommunikation und in der Ausrichtung unserer Politik? Vergessen wir bitte nicht: Wir sind gar nicht im Krieg. Aber in etlichen Ländern leiden Menschen jeden Tag unter der Geißel Krieg und seinen Folgen auch Jahrzehnte danach noch. Wir könnten helfen, Menschen in diesen Kriegsgebieten unterstützen: in Israel, Gaza, der Ukraine, Sudan und vielen anderen Ländern auf dieser Welt. Das wäre das Gebot der Stunde. Geflüchtete aufnehmen aus allen Ländern, in denen Kriege wüsten. Und auch Kriegsdienstverweigerer in Russland brauchen unsere Unterstützung.

Stattdessen rennen wir im Stechschritt in unselige Zeiten zurück. Eben erst rhetorisch und dann Schritt für Schritt bei den Handlungen. Lasst uns nicht schweigend zu schauen, wie Hardliner den Kurs unseres Landes bestimmen – lasst uns laut sein für den Frieden.

Liebe Freundinnen und Freunde,

wir sind nicht schwer von Begriff. Wir wissen alle: jeder Euro in Waffen ist ein Euro weniger für Klimaschutz, für Soziales, für Bildung und Gesundheit, Als Gewerkschaft für den Öffentlichen Dienst merken wir und unsere Kolleg*innen genau das jeden Tag. Kein Geld für Kitas, anständige Löhne oder eine gute Gesundheitsversorgung.

Was unsere Bildungsministerin vorgeschlagen hat, dürfen wir nicht als normal akzeptieren. Erste bis fünfte Stunde Mathe und Deutsch. Und sechste Stunde Krieg und Zivilschutz. Unterrichtet von Soldaten, aber weiterhin im maroden Klassenzimmer. Kriegsvorbereitung statt Bildung. Eine fatale Entwicklung – nicht mit uns!

Liebe Freundinnen und Freunde,

es ist Zeit fürs Abrüsten. Auch rhetorisch. Knapp 70-jährige Menschen wie Friedrich Merz durften ihr ganzes Leben in Frieden verbringen. Warum?

Weil sich dieses Land – früher – in Europa und der Welt für Frieden eingesetzt hat. Die Entspannungspolitik hat einen wesentlichen Beitrag geleistet, dass wir die längste Friedensperiode in Europa erleben durften. Ein Blick in die Geschichtsbücher zeigt dagegen, wie häufig Kriege Menschen ins Elend und den Tod führten, weil Kriegstüchtigkeit noch oberste Priorität aller Länder war.

Ob weniger Waffen Frieden und Freiheit ermöglichen können, das wissen auch wir nicht. Aber mehr Waffen bringen mehr Tote, das wissen wir.

Wer für Waffenstillstand und Verhandlungen plädiert, entschuldigt damit nicht die Gräuel und Verbrechen des Geschehenen. Es ist meine feste Überzeugung, dass die allermeisten Kriege nicht durch Waffen beendet werden, sondern nur durch Verhandlungen. Wahrscheinlich mit schmerzhaften Ergebnissen für beide Seiten!

Wer für Verhandlungen ist, ist nicht für Putin und gegen das ukrainische Volk. Oder für die Palästinenser*innen und gegen Israel, sondern steht damit gegen Krieg und für Frieden! Und dafür, dass sinnloses Töten ein Ende findet!

Wer Frieden will, bereite den Krieg vor. Das hat angeblich Cicero gesagt und ist damit seit Jahrhunderten der Kronzeuge für scheinbar rationale Verteidigungspolitik. Und keiner, der ihn zitiert, reflektiert auch nur eine Sekunde, dass wir die Zeiten Cäsars und Ciceros eigentlich ausschließlich mit Kriegen verbinden. Das hat damals schon nicht geklappt. Und es hat in der restlichen Menschheitsgeschichte auch nicht funktioniert.

Liebe Freundinnen und Freunde,

wer Frieden will, bereite den Frieden vor!

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Ausgabe 709 / Bedeckt von braunem Laub / bedellus / vor 1 Tag 2 Stunden
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