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Inna Zhvanetskaya

Zurück aus dem Versteck

Inna Zhvanetskaya: Zurück aus dem Versteck
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Die jüdische Ukrainerin Inna Zhvanetskaya wurde Anfang des Jahres in Stuttgart von "Querdenker:innen" vor der Impfung und Einweisung in die Psychiatrie "gerettet". Mittlerweile ist die 86-Jährige aus dem Versteck zurückgekehrt.

Damals sollte sie gegen ihren Willen in eine psychiatrische Klinik eingewiesen und gegen Corona geimpft werden. So zumindest der Beschluss des Amtsgerichts Bad-Cannstatt. Dazu kam es nicht, weil Impfgegner:innen und bekannte "Querdenker:innen" sie vorher abholten, versteckten und damit "retteten". Und so schaffte es die Komponistin Inna Zhvanetskaya, eine jüdische Ukrainerin und Holocaust-Überlebende im Januar 2023 in die internationale Presse. Ein Fall, der an Absurdität kaum zu übertreffen ist. Doch was geschah mit der 86-Jährigen seitdem?

"Ihr geht’s gut", sagt ihr Anwalt Holger Fischer nun am Telefon. Die Betreuerin von Zhvanetskaya hatte Ende 2022 beantragt, sie in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses oder einer Pflegeeinrichtung unterzubringen. Daraufhin wurde Zhvanetskaya von einem Facharzt begutachtet. Am 6. Dezember 2022 genehmigte das Amtsgericht Bad-Cannstatt den Antrag auf Unterbringung und die "ärztliche Zwangsmaßnahme" – die Corona-Impfung. Zhvanetskayas Anwalt Holger Fischer legte beim Landgericht Stuttgart Einspruch ein, doch nur die Impfung wurde ausgesetzt. Als Zhvanetskaya am 11. Januar 2023 von der Polizei in ihrer Wohnung hätte abgeholt werden sollen, war sie verschwunden. "Unterstützer verbrachten die Dame noch in der Nacht an einen unbekannten Ort und sorgen dort für sie", schrieb das österreichische Schwurbel-Medium "Report 24" am selben Tag.

Ausgabe 616, 18.01.2023

Die verschwundene alte Dame

Von Minh Schredle

Die 85-jährige Komponistin Inna Zhvanetskaya, eine ukrainische Jüdin, sollte gegen ihren Willen in eine Psychiatrie eingewiesen und geimpft werden. Seitdem "Querdenken"-nahe Medien den Fall aufgegriffen haben, ist die schwerkranke Frau verschwunden – und "Freiheitsaktivisten" freuen sich.

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Die "Unterstützer" kamen aus Impfgegner:innen- und "Querdenker:innen"-Kreisen, für deren Telegram-Kanäle der Fall ein gefundenes Fressen war – darunter Anwältin Beate Bahner, "Querdenken"-Gründer Michael Ballweg und der Ex-AfD-Landtagsabgeordnete Heinrich Fiechtner, der den ungeschwärzten Gerichtsbeschluss auf seinem Telegram-Kanal teilte. Sogar "Fox News" und die "Jerusalem Post" berichteten über Zhvanetskaya und darüber, wie "ein deutsches Gericht versucht, einer Holocaust-Überlebenden den Covid-Impfstoff aufzuzwingen".

Wo die Frau versteckt wurde, bleibt ungeklärt. Ihr Anwalt Fischer habe zwar gewusst, dass sie in ihrer Abwesenheit ärztlich versorgt wurde, aber wo genau sie sich befand, habe er gar nicht wissen wollen, sagt er. "Das hätte mich nur in komische Sachen gebracht." Immerhin dauerte es nicht lange und Fischer hatte auch mit dem Einspruch gegen den Unterbringungsbeschluss Erfolg: Am 30. Januar wurde dem stattgegeben und Zhvanetskaya konnte "unmittelbar in ihre Wohnung zurückkehren, ohne fürchten zu müssen, von der Polizei abgeholt zu werden", sagt Fischer.

Laut ihm hat sie das auch gemacht, bereits zwei Wochen nach ihrem Verschwinden. Im Dezember 2023 deutet in Stuttgart-Feuerbach zumindest ihr Name auf dem Klingelschild und ein Rollator vor ihrer Wohnungstür darauf hin, dass die Komponistin zurückgekehrt ist. Eine Nachbarin bestätigt das gegenüber Kontext, sagt auch, dass es ihr gut geht. Aufgehoben wurde der Beschluss des Amtsgerichts Bad Cannstatt am 13. Juni, "nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und Anhörung der Betroffenen", schreibt das Landgericht Stuttgart auf Kontext-Anfrage. Eine ausreichende Versorgung im häuslichen Umfeld sei gewährleistet. Mittlerweile habe Zhvanetskaya einen neuen Pflegedienst gefunden, einen russischsprachigen, sagt Fischer, der "kulturell und religiös einfach passt".

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2 Kommentare verfügbar

  • Andreas Lotter
    am 30.12.2023
    Antworten
    Leute, grundsätzlich ein guter Artikel, aber muß das sein in Sachen Report 24 den vorveruteilenden und absolut nicht neutralen Begriff "Schwurbel-Medium" zu benutzen? Freier und echter Journalismus hat neutral zu berichten und dem Leser den Raum zu bieten selbst zu entscheiden wer für ihn die…
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