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BWL an der Uni Stuttgart

So jung und so verdorben

BWL an der Uni Stuttgart: So jung und so verdorben
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Unsere Autorin hat versucht, gegen ihre Vorurteile anzukämpfen und am Studientag vergangene Woche freiwillig die Vorstellung für BWL besucht. Genutzt hat es nichts.

Vor ein paar Tagen war ich mit einem jungen Verwandten an der Uni Stuttgart zum Studientag. Mal kucken, was es so alles gibt. Irgendwie, es war auch der Unübersichtlichkeit dieses Campus geschuldet, landeten wir in der Betriebswirtschaftslehre, BWL. Jetzt will hier niemand die ollen Geisteswissenschaftler-Klischees von weiße Zopfpullis-tragenden Tennis-Betriebswirtschaftler:innen aufwärmen. Klar nicht. Noch weniger das Vorurteil, die Typen aus der BWL seien immer gegelte Langweiler mit hochgestellten Poloshirt-Kragen. Und tatsächlich scheinen Zopfpullis (früher Lacoste) und Poloshirts (Ralph Lauren) gar nicht so gefragt bei der neuen Generation, die dicht besetzten Ränge im Hörsaal erstrahlen eher in fröhlichem Daunen-Winter-Schwarz mit zufällig hingeworfenen Farbtupfen.

Die 17+-Jährigen, die da sitzen, sind sicher total nett, denke ich, während der "Studiengangmanager" vom Studiengang erzählt. Was bei mir davon hängen bleibt, ist vor allem: BWL easy-peasy, kein Problem. BWL sei vor allem auch universal anwendbar, erzählt der gut gelaunte Manager, da würde man kein so "ich sage jetzt mal salopp: Fachidiot" wie bei den Ingenieuren. Mathe für BWL? Kein Problem, ist echt nicht schwer, muss keiner Angst haben vor. Easy going, eigentlich alles, und am besten, ja am allerbesten ist es, BWL in Stuttgart zu studieren, weil in Baden-Württemberg "die großen Firmen sitzen" für nach dem easy-peasy-Studium. "Porsche empfehle ich", sagt der Manager. Oder Daimler oder Bosch, "Einstiegsgehalt 50.000 bis 80.000 Euro im Jahr". Der Saal raunt anerkennend. Klar, kleinere Firmen gingen natürlich auch, aber da verdiene man halt nicht so viel. Hinter mir: Nicht-anerkennendes Raunen von Leuten, die sicher sind, dass sie niemals unter diesen armen Schweinen sein werden, die weniger als 50.000 bis 80.000 im Jahr verdienen. Easy-peasy.

Strand statt Uni

Auch Ausland geht bestens, lerne ich. Sogar USA. Der Manager wirft ein Foto von drei Studenten aus Stuttgart auf die Wand, die in einem Feld wehender US-Flaggen stehen. Marke attraktiver Quarterback-in-Highschool-Serie. Bizeps wölben sich braungebrannt zu ärmelfreien Tanktops, Bermudashorts umspielen gestählte Männerwaden, strahlendes Lachen, Sonnenbrillen. Der Manager sagt: "Kalifornien. Da kann man sich dann überlegen, ob man morgens zur Uni oder doch lieber an den Strand geht." Große Freude bei den Zuhörenden, die selbstredend Strand wählen würden. Ich kämpfe derweil gegen mein Hirn, das die drei Muskelmänner mit Cocktails in der Hand imaginiert, wie sie gerade mit Model-Mädels irgendeiner Alpha-Phi-Delta-Verbindung Party machen ...

Dann fragt jemand was, eine junge Frau: "Gibt es Präsenzpflicht in Ihrem Studiengang?" Manager: "Nein, nein, das geht auch alles digital. Keiner muss Sorge haben, dass er da früh aufstehen muss, haha." Nächste Frage: ob man die sechs Semester BWL-Bachelor auch schneller studieren könne als sechs Semester, damit man schneller Geld verdient? Sollte man nicht, meint der Manager, wer will, kann aber, easy-peasy. Noch ne Frage von ganz hinten: Welche Fächerkombination sei denn zu empfehlen, um sich deutlich von der Masse abzuheben? Und also dementsprechend mehr Geld als 50.000 bis 80.000 im Jahr zu verdienen.

Die Antwort geht unter im Geraune, immerhin ist es schon 11 Uhr 43 und das Ganze soll eigentlich nur bis Punkt Dreiviertel gehen. Trauben von jungen Leuten erheben sich gleichzeitig, schieben sich durch die Reihen (keiner sagt Danke, als wir aufstehen, um sie durchzulassen), der Studiengangmanager ist mittlerweile hinter einer Gruppe überwiegend schwarz gekleideter Mädels verschwunden, die direkt – also DIREKT – zwischen ihm und dem Auditorium stehen bleiben und an ihren Smartphones rumdrücken. Der arme Mann spricht zwar noch, will aber keiner mehr wissen. Mittlerweile schiebt sich der ganze Hörsaal durch die Tür. Ellenbogen bohren sich mir in die Seite, ich sehe mich einen besonders unverschämten Drängler zur Seite räumen und höre mich was mit "Frechheit" und "Erwachsene" sagen.

Draußen dann – Luft. Und die Hoffnung, dass die Verwandtschaft sich doch eher für Sozialwissenschaften entscheidet. Oder zumindest Ingenieur-Fachidiot wird.


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