Die Liga der freien Wohlfahrtspflege, der Zusammenschluss der großen Wohlfahrtsverbände, war alarmiert. Die Sparpläne würden den Zusammenbruch vieler sozialer Dienste bedeuten, die soziale Infrastruktur sei gefährdet, hieß es. Unter dem Motto "Licht aus" rief sie zu Aktionen auf. Offenbar mit Erfolg. Denn in seiner Bereinigungssitzung am vergangenen Donnerstag machte der Haushaltsausschuss die Kürzungen rückgängig. "Das hat uns überrascht", sagt Marco Lang vom Vorstand der Liga und Geschäftsführer der AWO Württemberg (Arbeiterwohlfahrt). Hat er sich gefreut? "Naja, wir können uns jetzt auf die Schultern klopfen, weil unsere Aktion erfolgreich war. Aber ich bin nur verhalten optimistisch." Selbst wenn es beim jetzigen Stand bliebe, "haben wir zwar das Schlimmste abgewendet, allerdings müssen wir weiterhin mit dem Schlimmen zurechtkommen". Denn auch mit den zurückgenommenen Kürzungen bedeuten die jetzigen Haushaltsansätze fürs nächste Jahr de facto trotzdem weniger Geld. "Es bleiben in Euro ja die Beträge von diesem Jahr. Im nächsten Jahr aber greifen die Tarifabschlüsse", sagt Lang. Die lägen je nach Tarif zwischen 10 und 13 Prozent. Zudem würden durch neue Förderrichtlinien die Eigenanteile steigen, die Träger erbringen müssen, wenn sie Bundesgelder in Anspruch nehmen wollen.
Wenn gespart werden soll, geht's ans Soziale
Und so hätten die ersten Träger bereits angekündigt, sich aus einigen Bereichen zurückziehen zu wollen. Weil sie es nicht mehr finanzieren können. In der Migrationsberatung für Erwachsene zum Beispiel müssten pro Jahr 15.000 Euro pro Stelle vom Träger kommen. In dieser Beratung helfen fachkundige Menschen Migrant:innen dabei, sich zurechtzufinden im Bürokratiedschungel. "Sie sind die Schnittstelle zwischen Arbeitgebern, Schule, Kita, Regierungspräsidien, Behörden", sagt Lang. "Ansonsten geht jemand zum Bürgeramt, da sagen sie ihm, er muss zum Ausländeramt und wenn Kinder im Spiel sind, muss er noch zur Familienkasse. Sprachkurse werden vermittelt mit oder ohne Kinderbetreuung und so weiter." Aktuell betreue ein:e Berater:in etwa 300 Menschen. Eine wichtige Aufgabe also, um Menschen aus anderen Ländern die Chance zu geben, hier klarzukommen, sagt Lang, "und um Arbeitskräfte zu rekrutieren". Doch mit dem gleichen Geld wie im Vorjahr plus Lohnsteigerungen plus höherem Eigenanteil könnten manche Einrichtungen dieses Angebot nicht mehr finanzieren. "Und als gemeinnützige Träger können wir auch nirgends Gewinne aufbauen für schlechte Zeiten."
Mit finanziellen Unsicherheiten muss der soziale Bereich schon ewig leben, weil so etwas wie Migrationsberatung oder freiwilliges soziales Jahr genauso wie Kultur freiwillige Aufgaben des Staates sind. Und da liegt aktuell die Gefahr. "Aus der reinen Haushaltslogik heraus", sagt Lang, "ist es klar, dass als erstes an die freiwilligen Leistungen gegangen wird, wenn man Geld benötigt." Und Geld wird benötigt, nachdem das Bundesverfassungsgericht auf Klage von CDU/CSU den Klimafonds für verfassungswidrig erklärt hat und der Ampel-Regierung somit 60 Milliarden Euro fehlen. Nun streiten die Parteien, woher das Geld kommen soll, und die FDP, also Finanzminister Christian Lindner findet, man solle im Sozialen kürzen. Noch können die Wohlfahrtsverbände also nicht aufatmen.
Die CDU macht den Staat handlungsunfähig
Zudem schwebt ein weiteres Damoklesschwert über dem Haushalt. Die Oppositionspartei CDU lässt gerade juristisch prüfen, ob auch der Wirtschaftsstabilisierungsfonds verfassungswidrig sein könnte. Das Ergebnis erwartet Parteichef Friedrich Merz in den nächsten Tagen, und falls es erfolgversprechend ist, will die CDU auch diesen Fonds per Gericht kippen. Dann fehlten weitere 200 Milliarden Euro. Aus diesem Fonds, von Kanzler Olaf Scholz (SPD) auch "Doppelwumms" genannt, wird unter anderem die Strom- und Gaspreisbremse bezahlt. Wäre auch dieser Fonds verfassungswidrig, müssten Unternehmen und Bürger:innen die hohen Energiepreise eins zu eins zahlen ohne Entlastung durch den Staat. "Die Dankesschreiben können direkt an die Union und Friedrich Merz gehen", sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) dazu im Deutschlandfunk, der damit rechnet, dass auch dieser Fonds wegfällt.
AWO-Geschäftsführer Lang mag sich gar nicht vorstellen, was passiert, wenn der Wirtschaftsstabilisierungsfonds fehlt. "Die Nebenkostenabrechnungen würden horrend werden und die Schuldnerberatungen überlaufen. Schon vor Corona hatten wir stetig mehr Androhungen, dass Menschen der Strom abgestellt wird. Das würde wieder deutlich mehr werden." Seiner Ansicht nach tue die Union sich gerade "keinen Gefallen, wenn sie die Handlungsfähigkeit des Staates derart torpediert". Das eigentliche Dilemma seien doch die Schuldenbremse und die Einnahmeseite des Staates. Alleine in den Kommungen beläuft sich laut dem Deutschen Städte- und Gemeindebund der Investitionsstau auf 166 Milliarden Euro. Da sind Bundesthemen wie marode Schienennetze, kaputte Bundesstraßen inklusive Brücken oder digitale Infrastruktur noch gar nicht drin.
7 Kommentare verfügbar
Gerald Wissler
am 24.11.2023Da Sozialausgaben keine Investitionen sind, würde hier eine Abschaffung der Schuldenbremse nicht viel bringen-