In Dietenbronn sind Straßennamen überflüssig, weil die eine Straße im Ort heißt wie der Ort selbst. In "Dietenbronn Nummer 9" verkauft der Fischereiverein Schwendi an ausgewählten Sonntagen frische Forellen, einen Steinwurf weiter füllt die Brunnenverwaltung Bad Dietenbronn ihr Dietenbronner Mineralwasser in Flaschen ab. Am Rand eines Wanderwegs, der durch den Wald führt, gibt es eine schnuckelige Kapelle mit vier Sitzbänken, auf die sich mit Müh und Not acht sehr schlanke Menschen quetschen könnten. An der Haltestelle "Dietenbronn Klinik" hält einmal pro Werktag ein Bus, um Kinder zur Schule zu bringen.
Die Klinik selbst, spezialisiert auf neurologische Krankheiten, ist Ende 2021 geschlossen worden. Der ehemalige Betreiber, die Aktiengesellschaft Sana mit knapp 35.000 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von drei Milliarden Euro, entschied sich, den Standort aufzugeben, weil eine Eingliederung in das noch junge Zentralkrankenhaus Biberach die bessere Kosteneffizienz versprach. Eine ältere Frau, die vor der Schließung häufiger Patientin in Dietenbronn war und vor 65 Jahren der Liebe wegen hergezogen ist, sagt: "Es ist ein ruhiges Leben hier, normalerweise."
Am 16. Februar berichtete die "Tagesschau" aus Dietenbronn. Denn in dem Ort, der gerade einmal 35 Einwohner:innen hat, "brodelt es". Grund dafür sei, dass die alte Klinik zur Unterkunft für 170 Schutzsuchende aus der Ukraine, der Türkei und Syrien geworden ist, und der Tagesschau-Sprecher rechnet vor: "Damit kommen auf jeden Einwohner fünf Geflüchtete." Die Rechnung geht allerdings nur auf, weil nicht dazugesagt wird, dass Dietenbronn gar keine eigenständige Ortschaft ist, sondern Teil der oberschwäbischen Gemeinde Schwendi. Die ist mit gut 6.000 Bewohner:innen zwar auch keine Metropole, aber das Zahlenverhältnis 0,03 Geflüchtete auf eine Bewohner:in klingt deutlich weniger spannend.
Von großem Drama hat auch die alte Frau wenig mitbekommen. Ein paar Mal sei die Feuerwehr angerückt, erzählt sie über die letzten Monate, das liege wohl an den Rauchern. Und es sei sehr ungewohnt für sie, so viele unbekannte Gesichter in ihrem bestens vertrauten Ort zu sehen. "Ich verstehe die auch nicht", sagt sie, weil die Sprachbarrieren unüberwindbar sind. Zumal Kommunikation seitens der Unterkunft auch gar nicht erwünscht ist: Ein Security-Team achtet beflissentlich darauf, dass auf dem von ihnen befriedeten Gelände niemand die Geflüchteten anquatscht, da hätten sie "einen ganz klaren Arbeitsauftrag vom Landkreis", erläutert eine forsch auftretende Frau.
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