Joseph weiß noch genau, wie aufgeregt er war, als er Anfang Februar 2022 in Kiew ankommt. Die Menschen, die Architektur, das Wetter – alles ist fremd, rund 8.000 Kilometer ist er von seiner Heimatstadt Zaria in Nigeria entfernt. Für ein Studium an der International European University hat er alles auf eine Karte gesetzt. Um die Semestergebühren bezahlen zu können, hat er seinen gesamten Besitz verkauft und Schulden gemacht. In der Heimat freut sich seine Familie, dass er seinem Traum vom Astrophysikstudium nachgeht. Sie wünscht ihm ein besseres Leben in Freiheit und Sicherheit. Ein Leben ohne Korruption, Armut und Terror durch Boko Haram.
Mit einem Touristenvisum reist er am 3. Februar 2022 in die ferne Ukraine. Vor Ort registriert er sich im Studienbüro, um einen Antrag auf sein Studienvisum zu stellen. Kurz darauf holt er seinen Studienvertrag ab, lässt Fingerabdrücke und Fotos für den Studentenpass anfertigen. Im Büro sagt man ihm, dass er in 15 Tagen wiederkommen soll, dann sei sein Visum mit dem längeren Aufenthaltstitel fertig. Fünfzehn Tage, dann kann sein Abenteuer beginnen. Doch am 24. Februar fällt Russland in die Ukraine ein, das Studienbüro und andere öffentliche Einrichtungen bleiben geschlossen. Sein Visum liegt seitdem irgendwo im Posteingang der Behörde, vergessen, weil auf einmal Krieg im Land herrscht, der alle Menschen vor Ort gleich trifft.
Am 1. März 2022 beschießt Russland den Kiewer Fernsehturm, kurz darauf flieht Joseph wie viele andere über die Slowakei in Richtung Deutschland. "Studenlang haben die slowakischen Grenzposten uns warten lassen, haben uns rassistisch beschimpft", erinnert sich der Student. Mit "uns" meint er die vielen anderen Drittstaatler:innen, die aus der Ukraine vor dem Krieg geflohen sind. Viele von ihnen kommen aus afrikanischen Ländern. Nigeria, Ghana, Togo – rund 76.500 ausländische Studierende waren vor Kriegsbeginn in der Ukraine.
1 Kommentar verfügbar
Wolfgang Offenloch
am 23.02.2023Ich arbeite seit 7 Jahren ehrenamtlich beim AK Asyl in Pleidelsheim. Mitte Mai letzten Jahres meldete sich ein junger Mann aus Nigeria bei mir. Seine Geschichte ist nahezu deckungsgleich mit der von Joseph. Der junge Mann, ich nenne ihn…