Er kokettiert mit seinem "biblischen Alter" und erinnert in immer neuen Volten an jenen Diener von Johannes Fugger, der im 12. Jahrhundert auf dem Weg nach Rom ein "Est" auf das Tor von Gasthöfen schrieb, um für seinen Chef zu markieren, wo es guten Wein zu trinken gab. "Est, Est, Est" heißt noch heute ein Spumante aus dem Latium. "Ich, Ich, Ich" könnte der Titel von Todenhöfers Streifzug lauten durch die deutsche Nachkriegsgeschichte bis zu seinem Austritt aus der CDU vor zwei Jahren. Da nämlich gründete der Streitbare seine eigene "Gerechtigkeitspartei", benannt nach ihm selbst, mit der er nun einen "Aufstand des Anstands" organisieren will.
Vor der Bühne haben sich circa fünftausend Fans versammelt, die allerdings im Zuge des Redeschwalls nach und nach deutlich weniger werden. Mit viel Zustimmung, Johlen und Pfeifen hat sich das Publikum die diversen Horrorszenarien angehört, von den völlig unfähigen Politikern speziell in dieser Bundesregierung und den Müttern, die sich Heizen nicht mehr leisten können und ihre Kinder nachts zu sich ins Bett holen. Nur eine Allee weiter haben sich die ungerührt auf ihre Partie konzentrierten Boule-Spieler längst ihrer Jacken entledigt, weil es sommerlich warm ist im Talkessel. Todenhöfer beschwört derweil, wie sich "der kleine Mann" nichts mehr leisten kann in Deutschland.
Viele weiter hinten auf der Wiese, mit Kinderwagen, kleinen und großen Hunden und sogar Picknickkörben, hören ohnehin nicht zu, applaudieren aber, wenn andere applaudieren. Auch mit den gefalteten Pappschildern in rot-blau-weiß, den Farben vom "Team Todenhöfer", weil die mehr Krach machen als gewöhnlicher Beifall. "Bei der Rüstung sind sie fix", steht auf den Schildern zu lesen, "für das Volk tun sie nix!" Natürlich, sagt der hin und her sprintende Mann auf der Bühne, sei er gegen Putin und den Krieg. Um dann ein halbes Dutzend Mal mit anschwellender Lautstärke die Suggestivfrage an sein Auditorium zu richten, wer denn wohl hinter dem allem steckt. Putin kommt in seiner Antwort nicht vor, stattdessen die USA, denn nur die profitieren in Todenhöfers Welt vom Krieg.
Wenigstens ist der Werdegang konsequent
Vor Jahrzehnten war der gebürtige Offenburger ein bekennender CDU-Hardliner, der gern Aufsehen erregte mit spektakulären Thesen und Aktionen. So in den Siebziger Jahren, als er die Unterstützung des gewählten chilenischen Regierungschefs Salvador Allende durch die sozialliberale Bundesregierung scharf kritisierte, nach dem Putsch in Santiago aber Hilfsmittel für Diktator Pinochet freigeben wollte. Immer wieder griff er Kanzler Willy Brandt und Innenminister Hans-Dietrich Genscher an, und Herbert Wehner, Minister für gesamtdeutsche Fragen, ohnehin, weil dieser Moskaus Geschäft in Deutschland betreibe. Wehner konterte kalt – "Dieser Mann ist reif für die Nervenheilanstalt" – und schüttelte seinen Namen auf legendäre Weise vulgär ("Hodentöter").
Schon vor seinem Abschied aus dem Bundestag hatte ein Schulfreund Todenhöfer in sein Unternehmen geholt: Der Offenburger Großverleger Hubert Burda machte den früheren Richter zum stellvertretenden Vorsitzenden der Geschäftsführung. 22 Jahre lang bleib Todenhöfer Burda treu, neben seinem vielfältigen Engagement auf anderem Felde: Er engagierte sich gegen die Angriffskriege der USA in Afghanistan und im Irak, reiste mehrfach in den Iran zu hochrangigen Treffen, in Syrien traf er sogar Baschar al-Assad und plädierte vor mehr als zehn Jahren für die Aufnahme von Verhandlungen. Er relativierte den Völkermord an den Armeniern, er schmähte Bundespräsident Joachim Gauck. Er machte sich als Verfasser verdienstvoller Bücher, in denen er eine immer kritischere Position zum Verhalten des reichen Westens gegenüber armen Ländern im nahen und fernen Osten einnahm, einen Namen, und surfte mit einer immer unheilvoller werdenden Melange aus Richtigem und Falschem durch Interviews und Talkshows.
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Ks
am 26.10.2022