Sigrid Altherr-König von der Friedensgesellschaft Esslingen hat zuerst Anrufe bekommen. Von Fremden, die nun meinen, die alte Friedensbewegung mit ihrer Russland-Nähe habe den Krieg in der Ukraine heraufbeschworen. Aus Anrufen werden gerade Leserbriefe in Zeitungen, sagt die Esslingerin am Telefon. Über diese Bewegung, die da scheinbar ein bisschen Hippie-Widerstands-Romantik in die friedliche deutsche Gegenwart gerettet hat, die Träumer, die so naiv sind, zu glauben, sie könnten Wladimir Putin mit Apellen statt Waffen zum Einlenken bewegen. Die Friedens-Fantasten, die meinen, eine Welt ohne Waffen sei besser als eine, die voll davon ist. "Der Wind weht uns jetzt eisig ins Gesicht", sagt Sigrid Altherr-König.
Wie geht es also den alten Friedensbewegten in Baden-Württemberg. Denen, die sich in der Vergangenheit vor allem gegen das Militärbündnis Nato positioniert haben? Sei es aus romantischer Verklärung gegenüber Moskau, sei es weil die Amerikaner in Stuttgart mit ihren Kasernen geografisch einfach näher sind. Oder deshalb, weil man eben zuerst vor der eigenen Haustür kehrt. Dieses Engagement kommt nun, in Zeiten der Aufrüstung, zurück wie ein Bumerang.
Aus Protest gegen den Vietnam-Krieg kettete sich Sigrid Altherr-König mit 15 in Freiburg auf die Schienen der Straßenbahn, bis Wasserwerfer kamen. Das ist lang her, aber seitdem engagiert sie sich für Frieden. "Wir halten an unserer Vision eines Europas, einer Welt fest, in der Sicherheitsinteressen aller Staaten berücksichtigt werden", sagt sie. In fast allen Parteien würde jetzt nach Aufrüstung gerufen, aber dieser Krieg sei doch unter anderem das Ergebnis des Hochrüstens auf allen Seiten. "Wenn wir das ansprechen, wird einem sofort unterstellt, wir würden Putin verteidigen. Dabei verurteilen wir diesen Krieg genau wie alle anderen. Wir vom Friedensbündnis sind entsetzt! Wir sagen: Die Waffen nieder!" Weil jede Waffe mehr das Leiden der Zivilbevölkerung verlängere und nicht an die Ursachen eines Konflikts gehe. "Fast überall herrscht jetzt diese militärische Denke, ohne über die Folgen nachzudenken, die ökologischen, sozialen und nicht zuletzt die Fragen des Zusammenlebens der Völker", sagt sie.
"Wir lassen uns nicht als Träumer verunglimpfen"
Der erste Schock sei der Kriegsbeginn gegen die Ukraine gewesen, der zweite, dass Bundeskanzler Olaf Scholz das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr verkündete. "Der Krieg in der Ukraine wird deswegen keinen Tag früher enden", sagt Altherr-König. Es sei faszinierend, über wie viel Geld die Bundesregierung urplötzlich verfüge. Jahrelang sei sie so knapp bei Kasse gewesen, dass auf Sinnvolles und Nötiges verzichtet werden musste – erneuerbare Energien, bessere Schulen und Kitas, höhere Hartz IV-Sätze. "Ich finde, es muss nachgedacht und besonnen reagiert werden. Hochrüstung ist nicht die richtige Antwort. Letztendlich führt kein Weg an der Diplomatie, des Einander-Zuhörens vorbei. Es ist doch nicht moralisch verwerflich, daran zu denken! Deswegen lassen wir uns nicht als Friedensträumer verunglimpfen."
Nach ihrer Rede auf einer Demo gegen den Krieg, gut besucht von fast 400 Leuten, in der sie all das erwähnte, seien Grünen und SPDler zu ihr gekommen und hätten sie gefragt, ob sie noch alle stramm habe.
So geht es den Resten der gebeutelten Friedensbewegung. Denen, die über die Jahre nicht komplett an die russische Propaganda verlorengingen. Oder an "Querdenken", weil es in letzter Zeit in Deutschland nichts Schlimmeres gab als Maskentragen und eine Impfung.
Henning Zierock ist immer dabei, wo es was zu demonstrieren gibt, an seiner Seite oft die Linke Heike Hänsel, Wagenknecht-Lager. Zierock selbst war nie in einer Partei. Seit 40 Jahren ist er nimmermüder Aktivist, er hat 1988 die Tübinger Gesellschaft "Kultur des Friedens" gegründet, war im Namen des Friedens eigentlich überall auf der Welt, wo es Konflikte gab. Heute sagt er, er habe seine Friedensforderungen noch nie von einem Politiker abhängig gemacht. Zu volatil, zu viele Eigeninteressen. "Während Verhandlungen laufen, hinterrücks einen Krieg zu planen und plötzlich steht Putin mit seinen Truppen in der Ukraine – das gibt's nicht, das darf nicht sein", sagt Zierock. Seit Tagen organisiert er eine Kundgebung nach der anderen. Mit Konstantin Wecker hat er auch telefoniert, der gesagt haben soll, jetzt müsse er wohl wieder seine Anti-Kriegs-Songs spielen.
"Es darf kein Hass gegen ein ganzes Volk entstehen"
Was sagt er zu den Vorwürfen, die alten Friedensbewegten hätten mit ihrem Verständnis für Putin diesem Krieg den Weg geebnet? Die Leute bei der Kultur des Friedens, sagt er, hätten immer versucht, einen universellen Standpunkt zu behalten. "Das wir dem nicht immer gerecht werden, ist doch auch selbstverständlich. Die Friedensbewegung hat unterschiedliche Schattierungen und dass man seine Sache nicht immer gut macht, ist doch keine Frage."
4 Kommentare verfügbar
Sonnenblume
am 15.03.2022Allerdings muss ich auch sagen, dass mir die Forderung, keine Waffen an die…