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Arthelps Awdijiwka

Flucht statt Kunst

Arthelps Awdijiwka: Flucht statt Kunst
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 Fotos: ART HELPS 

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Eigentlich wollte die Stuttgarter Initiative Arthelps demnächst Container in der ostukrainischen Frontstadt Awdijiwka aufstellen, um dort mit Kindern Kunst zu machen. Daran ist nun nicht mehr zu denken. Nun wird Hilfe organisiert, die Kunst muss warten.

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Nastya hat sich eine silberne Glanzpapier-Brille vor die Augen gebunden, ihr Trikot schmücken weiße und rosafarbene Streifen, sie sieht aus wie aus einer anderen Welt. In neongelben, grünen und goldenen Umhängen, Hemden, Hosen posieren Jugendliche zwischen rauchenden Abfallbergen einer Kokerei. Sie gehören zu der Gruppe von Kindern und Jugendlichen zwischen etwa acht bis 19 Jahren, die im vorigen September Helden waren – "Heroes". So die Überschrift des Workshops, in dem Mädchen und Jungs ihrer Kreativität freien Lauf lassen konnten. Kinder, die körperliche und seelische Gewalt erfahren haben, deren Stadt beschossen wurde, deren Wohnung eine Ruine geworden ist durch den Krieg in der Ostukraine, an der Grenze zur sogenannten Volksrepublik Donezk.

Die Kleinstadt Awdijiwka ist seit Jahren Frontstadt, liegt so gerade noch auf dem von der ukrainischen Armee kontrollierten Gebiet. Frieden kennen die BewohnerInnen dort schon lange nicht mehr, obwohl – so vor zwei Jahren hatte sich die Lage endlich beruhigt, der ständige Beschuss nachgelassen und die Stadt schöpfte langsam Hoffnung auf Zukunft. Die ist nun gestorben. Nun geht es ums Überleben. Noch hält Awdijiwka sich offenbar, berichtet Tom Lupo. "Aber was genau dort geschieht, ist schwer zu sagen. Die Lage ist sehr unübersichtlich."

Lupo ist Chef und Gründer der Stuttgarter Initiative "Arthelps", "Kunst hilft". In der Zeit der Hoffnung hat Arthelps mit einem Team aus haupt- und ehrenamtlichen Frauen und Männern mit Kindern aus armen Verhältnissen gearbeitet. Um ihnen Kindheit zu ermöglichen, schafft die Initiative Freiräume für Kreativität. Die Kinder experimentierten mit Formen, Materialien und Farben, bastelten sich Umhänge, Masken und fliegende Rucksäcke oder glitzernde Armbänder, beschreibt Arthelps die Arbeit in einer Mitteilung. Ebenfalls wichtig: dass die Kinder über ihre Erlebnisse reden, Angst ablegen, ihre Superkräfte entdecken, ihre Träume.

Der Ansatz: Kinder können durch Kunst aufleben

Tom Lupo ist überzeugt, dass jede und jeder kreativ ist und dass Kinder mit und durch Kunst aufleben können, Selbstvertrauen erlangen, Kraft schöpfen. Mit diesem Ansatz arbeitet die Stuttgarter Organisation in Brasilien, im Irak und in Stuttgart. Stets geht es um Kinder aus armen Familien, die in der Regel wenig Unterstützung erfahren.

In Awdijiwka war Arthelps im vergangenen Jahr zum zweiten Mal, ermutigte Kinder, ein Held zu werden. Weil "Heroes" so gut lief, sollte die Arbeit verstetigt werden mit Creative Hubs – Containern, in denen Kinder inmitten von Chaos einen Rückzugsort finden, wo sie mit Künstlerlnnen arbeiten können und Gemeinschaft erleben. Die Stuttgarter sammelten bereits Spenden dafür. "Aber jetzt brauchen die Kinder etwas anderes", sagt Lupo. Nahrung, Decken, Medikamente, Unterkunft. Am besten wäre es, wenn die Kinder in Sicherheit gebracht werden könnten. "Einige sind mit ihren Familien auf dem Weg in den Süden, weg von den Kämpfen."

Auch das Arthelps-Team aus Awdijiwka habe die Stadt mittlerweile verlassen können. "Am Sonntag ist zum Beispiel unsere Ljudmilla mit ihrer 87-jährigen Mutter in ein Auto gestiegen und fährt jetzt Richtung Grenze", erzählt Lupo. Es sei sehr gefährlich, sich auf den Weg zu machen. Aber in der Stadt sei es eben noch gefährlicher.

Lupo, der einst Creative Director bei der Agentur Jung von Matt Neckar war, ist in diesen Tagen im Aktionsmodus, organisiert Hilfstransporte Richtung Ukraine. "Wir sind fest entschlossen, da reinzukommen", sagt er. Wenn er sich an seinen letzten Besuch in Awdijiwka im September vorigen Jahres erinnert, wird er traurig. "Es war so schön zu erleben, wie die Kinder mitmachten. Jetzt sind unsere Helden auf der Flucht." Und er wird wütend: "Im September wurde da jede, wirklich jede Nacht geschossen und gebombt. Von den Russen! Aber das hat hier kein Schwein interessiert."

Nun ist konkrete Hilfe wichtig. Für die Menschen, die noch in der Ukraine in umkämpften Gebieten sind, und für die Flüchtlinge, die an die Grenzen kommen.


Nähere Informationen und Kontakt zu Arthelps hier.


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