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Im Osten was Neues

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Als einen "Kontinent, den die EU nicht kennt" bezeichnet eine große Ausstellung im ZKM die Kunst der Nachkriegszeit im Osten und Westen Europas. Eine knappe Förderung verhindert, dass sich dessen Kenntnis weiter verbreitet.

Eine große Ausstellung im ZKM in Karlsruhe lässt künstlerische Entwicklungen der Nachkriegszeit Revue passieren. Zwar ist nicht alles völlig neu: So hat das Museum für konkrete Kunst in Ingolstadt bereits 2006/07 die "Neuen Tendenzen" aufgearbeitet – und wenig später <link http: www02.zkm.de bit _blank external-link>auch das ZKM: denn die vierte Ausstellung dieses Titels in Zagreb gab 1968, zeitgleich mit einer weiteren Ausstellung in London, erstmals einen Überblick über die damals noch ganz neue Computergrafik.

Aber es entsteht doch im Überblick ein anderes Bild als bisher zumeist von der Kunst der Nachkriegszeit gezeichnet wurde: im Westen die Moderne, im Osten nur Propaganda. Die Ausstellung war zuerst in Brüssel zu sehen und wandert anschließend noch weiter nach Moskau. Sie zeigt Werke von mehr als 200 Künstlerinnen und Künstlern, über 500 Leihgaben, jeweils ergänzt durch Arbeiten aus der eigenen Sammlung: im ZKM unter anderem zahlreiche Videos von Künstlern und über Künstler.

Die bekannten Namen dürfen in einem solchen Panorama natürlich auch nicht fehlen: Picasso, Gerhard Richter, Yves Klein, Georg Baselitz, Penck, Wolf Vostell und wie sie alle heißen. Interessanter sind allemal die Arbeiten der hierzulande wenig bekannten Künstler aus Osteuropa. Dies beginnt schon mit den realistischen Aquarellen von Alexander Deineka, der 1945 den Einzug der Roten Armee in das ausgebombte Berlin festhielt. 

Europa vor der Implosion bewahren

Sicher ist, dass die Geschichte der Kunst der Nachkriegszeit, wie sie bis vor kurzem gelehrt und geschrieben wurde, in vielerlei Hinsicht einer Ergänzung bedarf. So ist überall nachzulesen, der italienische Kritiker Germano Celant habe 1967 für Kunst, die mit "armen" Materialien statt mit Marmor und Bronze arbeitete, den Begriff Arte Povera geprägt. Das stimmt schon, nur gab es solche Kunst in Italien schon zehn Jahre vorher, wie einige Werke in der Ausstellung einwandfrei belegen. 

Freilich steckt in dem ambitionierten Vorhaben mehr als die Absicht, Kunstgeschichte neu zu schreiben. Nicht zufällig wandert sie von Brüssel über Karlsruhe nach Moskau. In Zeiten, in denen die Europäische Union wieder in Nationalstaaten zu zerfallen droht, wollten die Kuratoren Eckhart Gillen und Peter Weibel ein Zeichen setzen. "Ich möchte sagen", antwortet ZKM-Chef Weibel auf Kontext-Anfrage, "dass jeder, der die Ausstellung bisher gesehen hat, unweigerlich spüren konnte, was für einen wichtigen Beitrag diese Ausstellung doch eigentlich darstellt, um Europa vor der Implosion zu bewahren."

Ein Blick zurück. Um 1960 gärte es in der Kunst. Gerade erst schien sich mit der Documenta 2 die freihändige abstrakte Malerei durchgesetzt zu haben. Doch genau davon wollten viele Künstler wieder weg. Sie wollten keine Genies sein, die ihr Innerstes in einem freien Liniengewirr auf die Leinwand projizierten. Sie bevorzugten präzise Versuchsanordnungen und sprachen von "visueller Forschung". Sie arbeiteten mit Materialien wie Plexiglas, Spiegeln oder Neonröhren und wollten den Ausstellungsbesucher beteiligen.

Unter dem Namen "Neue Tendenzen" wurde diese Bewegung bekannt, vor allem durch Ausstellungen in Frankreich und Deutschland, wo sie bisweilen auf heftigen Widerspruch stieß. "Zum offenen Ausbruch kam der Groll", schreibt "Die Zeit" 1964 über eine Ausstellung im Schloss Morsbroich in Leverkusen, "als Direktor Dr. Udo Kultermann kürzlich 'neue Tendenzen' in der Malerei vorstellte, von denen er selber sagte, dass sie 'eine extreme Position der heutigen Kunst' dokumentierten."

Die Ausstellung "Nouvelle tendance" im Louvre, ebenfalls 1964, besuchte auch der amerikanische Kurator William C. Seitz. Er antwortete mit "The Responsive Eye" im Museum of Modern Art in New York und erfand dabei den eingängigeren Begriff Op Art (Optical Art), unter dem die neue Richtung nun auch in Europa Furore machte. Noch während der Laufzeit der New Yorker Ausstellung gründete etwa Hans Mayer in Esslingen seine (Op)Art Galerie. 

Neue Tendenzen weltweit

Die erste Ausstellung der "Neuen Tendenzen" hatte allerdings 1961 in Zagreb stattgefunden. Wohl gab es Verbindungen: Almir Mavignier, einer der Kuratoren der Ausstellung, hatte an der Hochschule für Gestaltung in Ulm studiert, wo auch Mayer herkam. Aber die Kroaten brauchten in aktueller Kunst keine Nachhilfe. 

Ivan Picelij, ebenfalls an der Konzeption beteiligt, gehörte bereits seit zehn Jahren der modernen Künstlergruppe Exat 51 an. "Auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges gelang es, Künstler von beiden Seiten des Eisernen Vorhangs zusammenzubringen", fasst die ZKM-Sammlungsleiterin Margrit Rosen zusammen.

Zagreb? Kroatien? War dort nicht der sozialistische Realismus vorgeschrieben? Oder sollte das blockfreie Jugoslawien eine Insel auf der sozialistischen Landkarte geblieben sein? Das mag sein, aber neue Tendenzen gab es auch in anderen Ostblockländern. An der dritten Ausstellung dieses Titels in Zagreb 1965 beteiligten sich auch Künstler aus der UdSSR, Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn.

Gerade in der Sowjetunion gab es eine starke Tendenz zur Verwissenschaftlichung. Das Prometheus Institut des Physikers und Ästhetik-Professors Bulat Galeyev in Kasan versuchte mit filmischen Mitteln Musik in Farben zu übersetzen. Rasterzeichnungen und kinetische (bewegliche) Objekte von Lev Nussberg und Francisco Infante-Arana von der Moskauer Gruppe Dvizhenie (Bewegung) unterscheiden sich kaum von Arbeiten westlicher Künstler wie François Morellet, Heinz Mack oder Gerhard von Graevenitz.

Nicht nur sozialistischer Realismus

Weder war die Kunst im Osten immer linientreu, noch die im Westen immer unpolitisch. Nach der Niederschlagung des Aufstands in Ungarn 1956 malte der DDR-Maler Harald Metzkes, in Anspielung an Picassos Friedenstaube, ein Bild mit dem Titel "Die tote Taube". Der Situationistischen Internationale standen die niederländisch-belgisch-dänische Künstlergruppe Cobra und die Münchner Gruppe Spur nahe. Die Situationisten wollten mit künstlerischen Mitteln die Gesellschaft verändern. Das Buch "Die Gesellschaft des Spektakels" von Guy Debords gilt als wesentlicher Impuls für die 68er-Bewegung.

Zur selben Zeit begann sich das Happening zu verbreiten. Timm Ulrichs erklärte sich zum ersten lebenden Kunstwerk und stellte sich in einer Glasvitrine in einer Galerie aus. Die slowakischen Künstler Stano Filko, Alex Mlynárčik und Zita Kostrová gingen 1965 noch einen Schritt weiter und deklarierten alles, was im Verlauf einer Woche Bratislava passieren würde, zum Happening "Happsoc" – lesbar auch als "happy society" oder "happy socialism".

Sie waren nicht die einzigen: Im selben Jahr kündigte Július Koller, ebenfalls in Bratislava, ein "Anti-Happening" an. Milan Knížák, der 1963 die Künstlergruppe "Aktuální umĕní" (aktuelle Kunst) gegründet hatte, veranstaltete in Prag eine "Demonstration für alle Sinne" und eine "Kundgebung aktueller Kunst." George Maciunas, der wichtigste Propagandist der Fluxus-Bewegung, erklärte Knížák daraufhin zum Direktor von Fluxus-Ost.

Solche künstlerischen Aktivitäten waren nicht nur Teil, sie waren Kern jener Bewegung, die als "Prager Frühling" in die Geschichte eingegangen ist. Auch wenn die Panzer des Warschauer Pakts die Reformbewegung erstickten: Oppositionelle und Avantgarde-Künstler kannten sich und blieben in Kontakt. In der Charta 77 kritisierten sie später die Verhältnisse. Einer der Initiatoren, der Theaterautor Václav Havel, wurde 1989 Staatspräsident.

Der Kontinent, den die EU nie kennen wird

Soviel zur Geschichte. Zurück in die Gegenwart. Denn ein so großes Kunstprojekt wie in Karlsruhe kostet. "Die Ausstellung mit den zahlreichen Leihgaben aus 29 Ländern war natürlich, was die Logistik betrifft (Kuriere, Versicherung, Crates etc.), sehr teuer – etwas über eine Million", bilanziert ZKM-Chef Weibel. Das Auswärtige Amt und die Baden-Württemberg-Stiftung haben sich mit je 150 000 Euro beteiligt. Bei Kulturstaatsministerin Monika Grütters und bei der EU stieß der Direktor des ZKM dagegen auf taube Ohren.

Das knappe Budget brachte es mit sich, dass im fast 500 Seiten dicken Katalog bei weitem nicht alle Werke abgebildet sind, und zumeist nur in kleinem Format. Urheberrechte kosten. Ganze acht Pressebilder bietet das ZKM an, die das breite Panorama der Ausstellung in keiner Weise abbilden. So wird der "Kontinent, den die EU nicht kennt" – wie der Untertitel der Ausstellung lautet – wohl auch weiterhin eher unbekannt bleiben.

"Der Untertitel rührt aus meinen Überlegungen und Beobachtungen, dass Bürger nicht recht verstehen wollen, dass EU und Europa zwei verschiedene Dinge sind", meint Peter Weibel dazu, "und dass es gerade die EU ist, die mit ihren politischen, wirtschaftlichen und finanziellen Maßnahmen, Europa auseinandertreibt. Ich bin der Überzeugung, dass es die Kultur ist, die im Augenblick die Menschen und Nationen vereinen kann, aber zugleich die Kultur auch von der Politik derzeit noch nicht die ihr gebührende Bedeutung erhält. Die EU-Politik wirkt EU-separierend. Dass für diese Ausstellung abgesehen von der Finanzierung einer virtuellen Timeline keine größere Summe von der EU kam, lässt erkennen, wie desinteressiert und ignorant die EU-Politiker hinsichtlich der europäischen Kultur sind."

 

Info:

Die Ausstellung "Kunst in Europa 1945 - 1968" ist bis zum 29. Januar im ZKM in Karlsruhe zu sehen; die Öffnungszeiten sind: Mittwoch bis Freitag 10-18 Uhr, Samstag, Sonntag 11-18 Uhr; am 24,. 25. und 31.12. sowie am 1.1. ist das ZKM geschlossen, am 26. und 27.12. dagegen geöffnet; am 6. Januar ist der Eintritt frei.


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1 Kommentar verfügbar

  • Dieter Kief
    am 21.12.2016
    Antworten
    Uhh - Peter Weibel gegen die EU - das hätte der vor zehn Jahren nicht gemacht. Nachtigall, ick hör dir japsen - - - . Fehlt nur noch, dass einer dem Weibel die Sache mit den Target-Salden usw. steckt...Banca dei Monte Paschi usw....Wenn der Wind sich dreht, drehen sich eben viele Dinge mit.

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