"Von großen Plattformen wie YouTube und Facebook werden Desinformationen mittlerweile durch einen Algorithmus vorsortiert und schlechter bewertet, was sich schnell zum Nachteil für rechtsextreme Akteure entwickeln kann. Eine solche Sortierung hat man auf Telegram nicht", erklärt Miro Dittrich, Leiter des Projekts de:hate der Amadeu Antonio Stiftung. Er betreibt seit vier Jahren ein Monitoring von rechtsextremistischen und -populistischen Phänomenen im Internet und hat einen genauen Blick auf einschlägige Gruppen und Kanäle bei Telegram. Dort gebe es kaum Gegenrede, weshalb rassistische und menschenverachtende Positionen unhinterfragt stehen blieben. Dabei sieht er die App als eine Ergänzung zu geschlossenen Gruppen auf Facebook, die für extrem rechte Organisationen ebenfalls an Bedeutung gewinnen. "Stellungnahmen von Rechtsextremen zu politischen Großereignissen liest man heutzutage eher auf Telegram als auf den etablierten Plattformen. Das Kommunikationsmittel ist ganz klar für den harten Kern der Anhänger gedacht, die sich hier langfristig eine politische Basis aufbauen wollen", ergänzt Dittrich.
Gelöscht wird (fast) nicht
In den letzten Jahren hat sich Telegram in Deutschland mit etwa 7,8 Millionen aktiven Usern als einer der beliebtesten Messenger etabliert. Viele Menschen benutzen die App, um sich mit Freunden zu verabreden oder Kollegen zum Geburtstag zu gratulieren. Die Kommunikations-App wirbt vor allem mit ihrer starken Verschlüsselung, was sie für rechte Kreise interessant macht. Auf der Homepage des Unternehmens heißt es, der Schutz von privaten Daten vor dem Zugriff durch Behörden oder Marketingagenturen habe oberste Priorität. Dementsprechend seien Gruppen-Chats auch hinsichtlich illegaler Inhalte die Privatangelegenheit der jeweiligen Nutzer und die Betreiber würden keine Anfragen dazu annehmen. Terroristische Kanäle und illegale Inhalte wolle das Unternehmen blockieren, ohne sich jedoch dabei an staatlicher Zensur zu beteiligen.
Ein Blick in andere Kanäle macht deutlich, dass der Messenger selbst bei der Verwendung von NS-Symbolik oder bei rechten Gewaltphantasien nicht regulierend einschreitet: Schnell findet sich ein Kanal, dessen Name von mehreren Hakenkreuzen dekoriert wird. Auch ein Video des Anschlags auf die Synagoge von Halle, das der Täter mit einer Helmkamera aufgenommen hat, wurde von den Betreibern der App nicht gelöscht. Selbiges gilt für die Aufforderung, sich an den gewalttätigen Ausschreitungen in Chemnitz zu beteiligen.
In der Vergangenheit wurde die App bereits mit der Verbreitung islamistischer Propaganda in Zusammenhang gebracht. Nach dem Attentat in der Pariser Konzerthalle Bataclan im November 2015 und einem anschließenden Aktionstag von sechs europäischen Staaten hat der Messenger tausende Accounts gelöscht, die von Dschihadisten zum Informationsaustausch benutzt worden sind. Ohne staatlichen Druck ist auch hinsichtlich rassistischer oder rechtsextremer Positionen keine Änderung der bisherigen Praxis absehbar. Zu dem Kanal aus Baden-Württemberg haben sich die Betreiber der App auf Anfrage nicht geäußert.
Die Administratoren der Stuttgarter Gruppe rechnen offensichtlich damit, dass sich über Telegram noch mehr Menschen für ihre rechte Politik erreichen lassen. Dabei befindet sich die Gruppe aktuell noch in der Aufbauphase. Laut den Administratoren soll sie zukünftig um eine weitere Gruppe ergänzt werden, in der sich die Mitglieder miteinander unterhalten können. Zusätzlich planen die Organisatoren persönliche Treffen. Sie reagieren damit auf den Wunsch ihrer User nach besseren Möglichkeiten zum gegenseitigen Austausch. Schon im August erkundigte sich der erste Abonnent in einem Kommentar bei den Administratoren der Gruppe: "Wird dieser Channel eigentlich mal zur Vernetzung genutzt oder bekommen wir hier nur irgendwelche irrelevanten Links zugeschickt?"
4 Kommentare verfügbar
Jaheira
am 16.02.2020Rechte werden gegen…