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Der Bahnhof ist weg!

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Jetzt hat auch Stuttgart sein Monopoly. Käuflich sind im Spiel nicht nur der Schlossplatz, sondern auch Mercedes, der VfB und das Pressehaus. Nicht zu kaufen ist allerdings eine ganz besondere Immobilie – Realsatire für die ganze Familie.

Monopoly! Das raffigste aller Rafferspiele. Bei dem man keine Verwandten, keine Freunde mehr kennt, nur noch Konkurrenten, Gegner, Feinde! Und die gehören alle kaputt gespielt, die sollen alle ihre materielle Existenz verlieren. Los geht’s! Immobilien kaufen, kaufen, kaufen. Häuser und Hotels draufstellen. Mieten kassieren, bis keiner mehr zahlen kann. Bis einem alles gehört und man allein am Brett sitzt, Herr aller Immobilien und allen Geldes. Jawohl, so geht Kapitalismus! Und in dieser Rein- und Rohform, also ohne schönfärberisches Ökonomie- und Politik-Gequatsche, wird er seit gut achtzig Jahren eingeübt, gerade auch von Kindern. Ein als Spiel verkleidetes Kapitalismus-Lernprogramm, erfolgreicher als alle Sparkassen-Schulbesuche oder FDP-Broschüren.

Wer wird sich da noch über Kriegsspielzeug aufregen, schaut nur mal zu beim Monopoly! Diese lieben Kinder: Mit fiebrigen Augen hocken sie am Tisch, mutiert zu biestig-kleinen Geldeintreibern, die Mama, Papa, Oma und die Geschwister ins Armenhaus würfeln. Ach was, Armenhaus! Sowas gibt es in der Monopoly-Welt ja gar nicht. Ohne Besitz löst man sich hier rückstandsfrei auf. Dieses global erfolgreiche "Spiel" infiziert die Welt inzwischen auch in ungezählten Sonderversionen. Monopoly wird etwa angeboten in den Varianten "Benjamin Blümchen", "D-Day", "Fast & Furious", "Game of Thrones" und, jawohl, das darf nicht fehlen, auch "Bundeswehr". Sodass AKK also schon mal üben kann, wie die Chinesen kleinzukriegen sind.

Auch die Monopoly-Versionen "Mogeln und Mauscheln", "Banking Ultra" und "FC Schalke 04" sind im Angebot (Vorsicht: Verwechslungsgefahr!), dazu Ländervarianten wie "Ostfriesland" und endlich auch "DDR", in deren kommunistischer Realform das kapitalistische Spiel nämlich verboten war. Und nun hat sich auch bei den Städteversionen was getan, nun hat, neben Berlin, Baden-Baden oder Bottrop, auch Stuttgart sein Monopoly! Unsere Stadt also (wenn auch nur im emotional-ideellen Sinn), die sich für ein Immobilienwucher- und Schacherspiel so extrem gut eignet und in der die realen Mieten gerade die von München überholt haben! Die Schlossallee, in der Klassikfassung die teuerste der zweiundzwanzig Straßen, heißt bei uns natürlich Schlossplatz und die Parkstraße, die zweitteuerste, natürlich Königstr- ... äh, nein, stimmt gar nicht, sie heißt hier Mercedesstraße.

Die Ereignisse im Monopoly-Stuttgart: vom Pressehaus diktiert

Die Stuttgarter Spielregeln aber, die von einem Cartoon-Kapitalisten mit Zylinder und Zetsche-Schnauzbart formuliert werden, sind die alten: "Denk daran: Dein Ziel ist nicht nur, unglaublich reich zu werden, sondern du musst alle anderen Spieler in den Bankrott treiben." Also ran an den Fernsehturm, ans Schloss Solitude, die Grabkapelle, den Schiller- und den Porscheplatz. Dazu die Oper, klar, dort werden ja bald eine Milliarde öffentliche Gelder abgegriffen. Lukrativ auch der VfB samt Stadion, der von Thalia aufgekaufte Buchladen Wittwer und natürlich das Pressehaus – weil auf diesem Monopoly-Brett die Stuttgarter Zeitung, die Stuttgarter Nachrichten und der Radiosender 107,7 die Ereigniskarten bestimmen. Decken wir mal eine auf: "Durch eine Werbekampagne in der StZ und den StN gewinnt dein Geschäft mehrere Neukunden. Du erhältst M 150." Könnte es sein, dass der Monopoly-Hersteller Hasbro die Felder schon vor dem Spiel als Werbeflächen verkauft hat?

Aber jetzt mal weiter mit der Rafferei! Also noch schnell die Staatsgalerie, das Linden-, das Naturkunde- und – häh? – das Schweinemuseum eingesackt. So. Haben wir jetzt alles? Nein, wir nehmen noch den Landessportverband BW und die Stiftung Olympianachwuchs mit, auch wenn die kein Straßen- oder Gebäudebild zur Verfügung stellen. Dazu das Wasser- und das Elektrizitätswerk ("besitzt der Eigentümer beide Versorgungswerke, multipliziere dein Wurfergebnis mit 10"), auch wenn sich die EnBW hier nicht zu ihrem Eigentum bekennt.

Jetzt bloß noch die vier Bahnhöfe! Hm, wo sind denn die? Wenigstens dieser eine, der mit dem Turm, der gehört doch irgendwie zu Stuttgart. Wie? Schon abgerissen? Jedenfalls nicht mehr da. Tja, in der nächsten Auflage des Stuttgarter Monopoly ist dann bestimmt der neue S-21-Bahnhof zu kaufen, so etwa im nächsten Jahrtausend wird das wohl sein.


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