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Einhorn-Alarm im Remstal

Einhorn-Alarm im Remstal
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Eine Frau, die bei einer Gartenschau-Eröffnung mit Einhorn-Bodypainting auftritt und damit einen hysterischen Sex-Skandal auslöst: Wie verklemmt kann man eigentlich sein? Peinlich ist nämlich nur der Umgang mit Frauen, die aus der Reihe galoppieren.

Willkommen im Herzen Baden-Württembergs, dem Ländle der unbegrenzten Peinlichkeiten. Wo Bürger gerne Kehrwoch' machen. Wo Kultur hochgehalten wird, aber Hunderte Bands keine Proberäume finden. Wo Feinstaub verteufelt, aber öffentliche Verkehrsmittel im Schneckentempo ausgebaut werden. Wo Gemütlichkeit propagiert, Sitzmöglichkeiten in der Innenstadt jedoch sukzessiv abmontiert werden. Wo eine Eintrittskarte ins Staatstheater mit rund 200 Euro subventioniert ist und subkulturelle Veranstalter und Clubs um Existenzen kämpfen. Wo ein milliardenteurer Prestige-Bahnhof gebaut wird, den keine Sau wirklich braucht. Wo Zeitungen eingestampft und aufgekauft werden und sich inhaltlich den städtebaulichen Entwicklungen anpassen: grau. Spießig. Langweilig.

Schon klar, dass ein fleischgewordenes Einhorn die Hirnlappen vieler BürgerInnen und JournalistInnen frittiert, weil es Remsi, dem blutleeren Bienen-Maskottchen der Remstal-Gartenschau, die Show stiehlt und es offensichtlich trotz Wahlkampf grad keine aktuellen Aufreger gibt. Äh, was? Okay von vorn. What the actual fuck happened?

Rückblick. 13. Mai, Eröffnung der Remstal-Gartenschau 2019 in Schorndorf: Alle Ober- und anderen Bürgermeister der 16 teilnehmenden Kommunen waren angehalten, zur interkommunalen Eröffnung ein Maskottchen mitzubringen, das ihre Städte und Gemeinden repräsentiert. Wer sich nun fragt, was die jeweiligen Bürgermeister so mit auf die Bühne brachten, muss jäh enttäuscht werden. Denn darüber ist schlichtweg nichts berichtet. Der Oberbürgermeister von Schwäbisch Gmünd, Richard Arnold (CDU), hat mit seinem Maskottchen alle anderen Gemeinden in den Schatten gestellt und dafür gesorgt, dass seine Stadt und die Remstal-Gartenschau deutschlandweit Aufmerksamkeit bekommen. Jetzt ist Baden-Württemberg um eine Spießer-Posse reicher.

Oh. Mein. Gott. Sexferkel-Attacke auf der Gartenschau!

Vor 15 000 Besuchern präsentierte der CDUler die Interpretation des Wappentiers seiner Stadt in Fleisch und Farbe: eine Frau, die aufwendig vom zweifachen Mögglinger Bodypainting-Weltmeister Udo Schurr mit Bodypainting-Farbe und Kopfschmuck in ein Einhorn verwandelt wurde und breit grinsend und glitzernd mit den Bienchen um die Wette strahlt. Oh. Mein. Gott. Skandal! So gut wie nackt! Schlimm! Denkt dieser perverse Christdemokrat denn nicht an die Kinder?! Sexferkel-Attacke auf der Gartenschau!

Binnen Stunden verbreiteten sich die Bilder in den Sozialen Medien und schwangen sich zum Wutbürger-Crescendo auf, als die Nachricht die Runde machte: Das Einhorn ist kein Model, sondern die Schwäbisch Gmünder Linken-Stadträtin Cynthia Schneider. Wie gut ist das denn, bitte? War die Politikerin anfangs noch in ein Cape gehüllt, soll dem ebenfalls anwesenden Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) laut Ohrenzeugen ein erstauntes "Jesses, die isch ja ganz nackich!" entwichen sein. Der SWR übertrug die Einhorn-Show live im Fernsehen. Speziell für Remsi, das offizielle Remstal-Gartenschau-Maskottchen, muss der extravagante Auftritt des Schwäbisch Gmünder Unicorn-Tag-Teams ein Tiefschlag mit der Fliegenklatsche gewesen sein: Erschien der debil grinsende Brummer in Gegenwart des fleischgewordenen Einhorns doch noch viel langweiliger als zuvor.

Doch damit nicht Skandal genug: Laut Medienberichten sei Schneider eigentlich als Privat-Einhorn auf die Veranstaltung gekommen und nicht als Stadträtin. Doch Arnold hätte sich nicht an die Abmachung gehalten, ihre Identität geheim zu halten, wofür sich der Rathauschef im Nachhinein auch entschuldigte. Was zwischen den beiden tatsächlich gelaufen ist, weiß niemand so recht. Ist aber auch vollends egal. Denn der eigentliche Skandal ist nicht eine Frau mit bunter Körperbemalung, sondern der Umgang der Medien damit. Anstatt auf voller Linie zu feiern, dass es im Remstal neben Bienchen, Blümchen, Viertele, ökumenischen Gottesdiensten und Helikopter-Eltern auch Diversität und Leute mit Humor gibt, mutierten Arnold und Schneider in zahlreichen Medien zum Aufreger der Woche. Die "Stuttgarter Zeitung" sprang ebenfalls auf den Skandalzug auf und veröffentlichte neben weiteren Texten sogar ein maximal verklemmtes "Pro" und "Contra" zur Remstäler Einhorn-Affäre. Als gäbe es nichts Verrückteres als eine Frau, die Spaß hat.

Okay, fair enough: Wären die Rollen umgedreht gewesen und Arnold hätte sich selbst als Einhorn präsentiert, wäre die Story vielleicht wirklich so etwas wie ein Skandal gewesen. Denn einen Oberbürgermeister mit Bodypaint hat Baden-Württemberg noch nicht gesehen. Das wäre vermutlich auch der Tenor, der in den Medien vorherrschen würde: Thematisch würde es sich um den Verlust von Seriosität handeln. Es würde diskutiert werden, inwiefern ein solcher Bürgermeister ernst zu nehmen ist in einer Welt, die von momohaften grauen Herren regiert wird.

Verklemmte Politszene kurz mal aufgemischt

Doch niemand würde sich anschicken, in der schlüpfrigen Art und Weise darüber zu berichten, wie es bei Schneider der Fall war. Niemand würde den Körper des männlichen Einhorns an sich so skandalisieren und seine Wirkung im öffentlichen Raum thematisieren, wie es mit Schneider geschehen ist. Niemand würde "die armen Kinder" vorschieben. Niemand würde seine eigenen Probleme im Umgang mit Körperlichkeit auf Kinder projizieren. Das passiert meistens mit Frauenkörpern. Dass Schneider auch noch eine Frau geheiratet hat, macht sie in den Augen vieler konservativer GegenwartsverleugnerInnen obendrauf noch zu einer besonders kindergefährdenden Kanaille. Der Sexkoffer lässt grüßen.

Dabei ist es nicht mal die klassische Spießbürgerlichkeit, mit der Frauenkörper abgehandelt werden. Die ist bekannt. Die ist berechenbar. Im Zuge diverser Sexismus-Debatten hat bald der letzte Honk begriffen, dass Frauen auch nur Menschen sind. Dass jedoch noch viel Aufklärungsarbeit in Hinsicht auf Sexismus zu leisten ist, zeigt ein Kommentar von Bettina Hartmann in der "Stuttgarter Zeitung". Sie ist der Meinung: "Wer mit einer Halbnackten eine Gartenschau eröffnet, vermittelt ein inakzeptables, da völlig überkommenes Frauenbild." Klingt erst mal nach einer feministischen Ansage, die mehr als zu begrüßen ist in einem Blatt, das von Männern verantwortet wird. Auch ihre Beobachtung, dass eine "fast hüllenlose" Frau neben lauter Anzugmännern Gedankenfeuerwerke entzündet, ist nicht falsch. Ebenso stellt Hartmann zur Disposition, dass Arnold doch selbst als Einhorn hätte auftreten sollen. Das sei jedoch dann "genauso rückwärtsgewandt wie der Auftritt der Stadträtin Schneider". Ist es nicht.

Hat mal jemand dran gedacht, dass Schneider vielleicht einfach nur Bock auf Einhorn-Sein hatte? Dass sie keine Idiotin ist, die nicht wusste, was sie da tut? Dass sie als Automobilkauffrau und aktive Gewerkschafterin genau weiß, wo der Hammer hängt und sich nicht erzählen zu lassen braucht, dass sie sexistisch von Männern vorgeführt wird? Dass sie niemand dazu gezwungen und sie auch kein Geld dafür genommen hat? Wie patronisierend ist das denn? Ist es immer noch so "crazy", dass es Frauen gibt, die ihren Körper mögen und denen es Spaß macht, die ganze verklemmte Polit-Szene frei, unbezahlt und selbstbestimmt aufzumischen?

Wie fühlt sich die arme Sau im Breuni-Bär?

Das Problem in der Einhorn-Debatte ist nicht Sexismus. Das Problem ist, dass der weibliche Körper trotz Sexismus-Diskussionen und Body-Positivity-Bewegungen immer noch als schambehaftet gedacht wird und dieser Habitus tief eingebrannt ist, Frauen müssten sich doch eigentlich schämen, wenn sie blankziehen. Genauso müsse man sich als BetrachterIn schämen, wenn man "so etwas" ungefragt ins Gesicht gedrückt bekommt. Die Kombination aus Schamhaftigkeit und Weiblichkeit ist seit der Vertreibung aus dem biblischen Paradies so tief gesellschaftlich verwurzelt, dass es selbst 2019 nicht denkbar ist, dass eine (fast) nackte Frau in der Öffentlichkeit sogar Macht ausüben und Stärke repräsentieren kann. Nacktheit ist nicht gleich Sexismus. Der geht nämlich da los, wo Machtungleichheiten entstehen, die eng mit Klassenfragen, Geld und Hegemonie verbunden sind.

Hat sich schon mal jemand Gedanken darüber gemacht, wie sich die arme Sau fühlen muss, die den Breuni-Bär verkörpert? Oder wie es sein kann, dass es so etwas überhaupt "noch gibt": dass sich Breuninger einen Hofnarren hält, der dem Volk Bespaßung bieten soll und unter dem dicken Fell vielleicht bittere Studententränen weint. Wie rückwärtsgewandt und menschenverachtend ist das denn, bitte? Wo bleibt der Skandal?

Ein Bodypainting-Einhorn in einem Stripschuppen im Leonhardtsviertel ist sexistisch. Denn da arbeitet keine Frau, die sich nichts Schöneres vorstellen könnte, als eine glitzernde Wichsvorlage für fremde Männer zu sein. Just saying. Die ganze Aufregung um das Remstal-Einhorn ist am Ende nichts anderes als ein Beweis dafür, wie kleinbürgerlich und langweilig schwäbische Medien und Menschen sein können.


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7 Kommentare verfügbar

  • Cucu
    am 29.05.2019
    Antworten
    Das Bild zu diesem Beitrag zeigt das Einhorn umgeben von Kindern. Um deren Wohl muss man sich gewiss nicht sorgen. Aber es gibt auch ein Zeitungsfoto, das hier nicht zu sehen ist: Es zeigt eine nackte, wenn auch kunstvoll bemalte Frau umgeben von sechs Anzugträgern. Die Botschaft ist klar: Frauen…
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Ausgabe 459 / Grüne Anfänge mit braunen Splittern / Udo Baumann / vor 1 Tag 14 Stunden
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