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Retourkutsche von rechts

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Mit einem Untersuchungsausschuss zum "Linksextremismus in Baden-Württemberg" will die AfD im Landtag einen Großangriff auf die von ihr so genannten "Altparteien" starten. Ungeniert werden Darstellungen verfälscht – immer im Bemühen, die Stimmung zu schüren und vom NSU-Ausschuss abzulenken.

Emil Sänze, Vize der abgespaltenen Fraktion Alternative für Baden-Württemberg (ABW), hat schon jetzt klare Vorstellungen davon, was am Ende der Arbeit – ins Auge gefasst haben die Antragsteller den Spätwinter 2019(!) – herauskommen wird: "Linksextreme Strukturen" würden "trockengelegt", "indirekte und direkte Finanzierungen" durch "öffentliche Gelder unterbunden" und auf diese Weise Steuerzahler und Polizei entlastet. "Wenn die Altparteien es mit der Einsparung von Steuergeldern ernst meinen, sollten sie unseren Untersuchungsausschuss unterstützen", so Sänze, der im Wahlkreis Rottweil mit 16,4 Prozent der Stimmen gewählt wurde.

Der frühere BW-Bank-Mitarbeiter ist bei Weitem nicht der Einzige, der seinem prognostischen Elan freien Lauf lässt. "Wir werden die Verfilzungen der Grünen und der SPD mit linksextremistischen Gruppierungen demaskieren und die Finanzierungen herausarbeiten", so Rainer Podeswa, stellvertretender Vorsitzender der ABW-Fraktion. Der immer meinungsstarke Heinrich Fiechtner weiß, dass es "ungemütlich wird für die Altparteien", was er an deren "wütenden und geradezu panischen Reaktionen" abliest. Linksextremismus sei "ein massives Problem" im Lande. Für den Vorsitzenden der ursprünglichen AfD-Fraktion, Heiner Merz, wird der Ausschuss ans Licht bringen, "dass die SPD und ihre Jugendorganisation mit linksextremen Gewalttätern gemeinsame Sache macht". Daniel Lindenschmid, stellvertretender Landeschef des AfD-Jugendverbands, freut sich schon, dass es jetzt "den Linksextremen an den Kragen geht". Für Matthias Boogk, einen hochaktiven Kommentator auf rechtsnationalen Seiten verschiedenster Provenienz, steht außer Zweifel, dass "ein Teil der Gelder" von Verdi kommt. Der AfD-Kreisverband Main-Tauber behauptet, dass "hier viel zu lange weggeschaut oder gar unterstützt wurde", und dessen Landtagsabgeordnete Christiana Baum, dass es sich bei den Aktionen an und vor der Stuttgarter Oper gegen die Bildungsplangegner im Oktober 2015 um eine "linksextremistische Ausschreitung" handelte.

Insgesamt 49 Fragen wurden von den beiden AfD-Gruppierungen aufgelistet. In der Qualität von: "Haben Ministerien oder Landespolitiker Einfluss auf die Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen und privaten Medien im Hinblick auf Linksextremismus genommen?" Oder: "Welche Verbindungen zwischen Vertretern des Landtags, den ehemaligen und gegenwärtigen Regierungsparteien und linksextremen Strukturen bestanden oder bestehen?" Oder: "In welchem Umfang nutzen Linksextremisten Straftaten, um politisch Andersdenkende zu bekämpfen?" Letzteres gibt einen Fingerzeig, worauf es den Populisten neben versteckten und offenen Unterstellungen in diversen Richtungen vor allem ankommt: Die Bildungsplangegner der "Demo für alle" sollen reingewaschen und deren Gegner im Gegenzug verleumdet werden.

Gerade Baum, die promovierte Zahnärztin, agiert nach dem schon nach 100 Tagen im Landtag erkennbaren typischen AfD-Muster, Halbwahrheiten zu verbreiten, um den eigenen Anhang in Stimmung zu bringen gegen den Politikbetrieb im Land. Die stellvertretende AfD-Landesvorsitzende fordert die CDU auf, sich dem Antrag auf Einrichtung des Ausschusses anzuschließen. Denn: Zehn ihrer Parlamentarier, die sie namentlich nennt, hätten "inhaltlich in dieselbe Kerbe geschlagen" und "Aufklärung über linksextremistische Ausschreitungen gegen Bildungsplangegner" verlangt. Haben sie nicht. Denn Sabine Kurtz, Thomas Blenke, Peter Hauk und Co. wollten zwar Punkte für die CDU machen bei den gut organisierten Bildungsplangegnern, waren aber weit davon entfernt, linksextremistische Ausschreitungen zu konstruieren. In ihrer Anfrage sprachen sie lediglich von nicht näher bezeichneten "Vorfällen".

Die Antwort der damaligen grün-roten Landesregierung kanzelt Baum als "oberflächlich" ab. Dabei sind Einzelheiten, die jetzt neu aufgerollt werden sollen, längst geklärt. So nennen AfD und ABW als Gegenstand der parlamentarischen Untersuchung unter anderem die Frage, "wieso ein politisches Banner auf dem Opernhaus entrollt werden konnte und wer dies zu verantworten hat". Die schriftliche Antwort von Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne): Bei der Aktion habe es sich um eine von Mitgliedern der künstlerischen Ensembles von Oper, Ballett und Schauspiel sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Werkstätten und der Technik der Württembergischen Staatstheater Stuttgart veranstalte künstlerische Performance gehandelt; künstlerische Arbeit sei " durch Artikel 5 Absatz 3 GG besonders geschützt".

AfD macht Konfetti zu Steinen und Minister zu Sympathisanten

Eine Vorladung Bauers wird diskutiert, eine von Kultusminister Andreas Stoch ist bereits angekündigt. Nie, so die Klage der AfD, habe er sich davon distanziert, "dass Kritiker seines Bildungsplans mit Steinen und Schlägen bekämpft werden". Auch da wird bewusst verfälscht, denn mit Steinen beworfen wurden ausweislich des Polizeiberichts nicht Menschen, sondern ein Reisebus, in dem Bildungsplangegner saßen. Außerdem schreibt die Polizei von "Bewurf mit Kastanien", "mit Konfetti befüllten Papiertüten" und "mit Algen aus dem Eckensee", was in den einschlägigen Foren unter der Überschrift "Gewalttaten" subsumiert wird. Von Schlägen ist nirgends die Rede.

Seltsam ist die Vorgeschichte der Idee für einen Linksextremismus-Ausschuss. Den Alt- oder Systemparteien im Landtag wird vorgeworfen, sich bei der Einsetzung des zweiten NSU-Ausschusses nicht kompromissbereit gezeigt zu haben gegenüber dem AfD-Begehren, seine Arbeit auszuweiten aufs linke radikale Spektrum. Thematisiert in der Landtagsdebatte zum Thema NSU wurde dies aber nicht. "Es kann nicht sein, dass Linksextremisten in Baden-Württemberg Narrenfreiheit genießen", so Baum inzwischen. Und Fiechtner nennt den Anstieg der Straftaten besorgniserregend. Der Verfassungsschutzbericht spreche eine klare Sprache, postet die Wieslocher Abgeordnete Claudia Martin, die mit ihrem Ergebnis von 18,6 Prozent der Stimmen deutlich überm Landesdurchschnitt lag.

Ein Blick in den Verfassungsschutzbericht hilft tatsächlich weiter. "Das Gros linksextremistisch motivierter Gewalttaten stand im Zusammenhang mit öffentlichen Auftritten des politischen Gegners", heißt es für 2015. Ausgewiesen wird für 2013, 2014 und 2015 ein immer etwa gleichbleibendes Potenzial von zwischen 700 und 800 "gewaltorientierten Personen" im Land und 126 Straftaten 2013, 78 im Jahr 2014 und 135 im Vorjahr. Wie viele Gewalttaten darunterfallen, erläutern die Verfassungsschützer nicht eigens, nennen aber deren nicht heimische Ziele wie die EZB in Frankfurt und den G-9-Gipfel im bayrischen Ellmau. Im – deutlich umfangreicheren – Kapitel zum Rechtsextremismus im Land ist ein Anstieg der gewaltorientierten Unterstützer von 610 (2013) auf 810 (2015) beschrieben und der Straftaten von 902 (2013) auf 1484 (2015), davon 71 Gewalttaten.

Die AfD kann sich leicht ausrechnen, wie im zweiten NSU-Ausschuss, der am 19. September die Arbeit aufnehmen soll, nicht nur das Umfeld des Trios noch einmal ausgeleuchtet wird, sondern die rechte Szene Baden-Württembergs insgesamt; "Personen, Organisationen und Einrichtungen", wie es im Einsetzungsbeschluss heißt. Schon im ersten Ausschuss hatte der Esslinger Professor Kurt Möller zu den "Ursachenzusammenhängen" von Rechtsextremismus, aber auch zu den fließenden Grenzen zwischen Rechtspopulismus, -radikalismus und -extremismus referiert. Letzterer sei "kein gesellschaftliches Randphänomen, da sich große Bestandteile extrem rechter Orientierung innerhalb jener Bevölkerungsteile finden, die sich selbst zur politischen Mitte rechnen".

Und dann zählte Möller zahlreiche Erkennungsmerkmale auf, die alle – mal stärker und mal schwächer – gerade in Äußerungen von AfD- und ABW-Politikern und -innen wiederfinden: "Antisemitismus, Rassismus, Sozialdarwinismus, die Befürwortung von und Einsatz für autoritäre und diktatorische politische (Führungs-)Strukturen, Islam- und Muslimfeindlichkeit, Antiziganismus, klassischer und modernisierter Sexismus, Heterosexismus oder Formen religiös legitimierter Ablehnungen." Der Professor wird sicher im zweiten NSU-Ausschuss noch einmal geladen. Unvermeidlich kommen dann auch die beiden rechten Fraktionen mit ihrem Hang, in der virtuellen wie der realen Welt genau diese niederen Instinkte zu bedienen, scharf in den Blick. Woran ein Linksextremismus-Ausschuss, wenn es je dazu kommt, übrigens überhaupt nichts ändern würde.


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7 Kommentare verfügbar

  • Kornelia
    am 21.08.2016
    Antworten
    Rechtsextrem = Asylbewerberheime, Versuchten Todschlag
    Linksextrem= Bänke, Sitze und Thröne bauen, musik hören, gemüterliches Beisamensein

    Danke, dass ihr "linksextremen" diese schöne, menschelnde und entspannte Atmosphäre organisiert habt.
    "Werkeln für den Frieden"....... mehr davon!
    Danke…
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