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Zurück auf null in Korntal

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Die Aufklärung der Missbrauchsvorwürfe im Korntaler Hoffmann- und Flattichhaus fängt wieder bei null an. Grund ist die Absage eines Professors, der als neutraler Gutachter eingesetzt werden sollte. Jetzt machen engagierte Bürger Druck, begleitet von der Politik, die sich erstmals zu Wort meldet.

Die Opferhilfe Korntal will es nicht länger hinnehmen, dass sich die Aufarbeitung in der Evangelischen Brüdergemeinde dahinschleppt. "Für die betroffenen ehemaligen Heimkinder ist es wichtig, dass sie ernst genommen und gehört, nicht hingehalten werden", so ihr Sprecher, der Musikschuldirektor Peter Meincke. Wer sich endlich durchgerungen habe, über Demütigungen und erlittenes Leid zu reden, wolle nicht monatelang vertröstet werden. Das sagt auch die einstige Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Christine Bergmann (wir berichteten). Das sehen auch die die engagierten Bürgerinnen und Bürger so, die sich zur Opferhilfe zusammengeschlossen haben. Sie wollen die Aufarbeitung beschleunigen.

Das haben sie gestern mit einem "Arbeitspapier zur Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in Korntaler Kinderheimen" getan. "Es geht nicht darum, für oder gegen die Brüdergemeinde zu sein", sagt Peter Meincke, "es muss endlich etwas passieren." Die Aufarbeitung und den Dialog mit den Konfliktparteien könne, so die Opferhilfe, nur eine Person schultern, die das Vertrauen der Heimopfer und der Brüdergemeinde habe. "Die Suche nach einer geeigneten Persönlichkeit sollte weitgehend im Licht der Öffentlichkeit geschehen", fordert die Opferhilfe. Der oder die müsse von der Brüdergemeinde organisatorisch und finanziell unterstützt werden, eine Einflussnahme auf die inhaltliche Arbeit jedoch dürfe es nicht geben, heißt es in dem Papier.

Damit zieht die Opferhilfe die Konsequenzen aus dem jüngsten Scheitern der Evangelischen Brüdergemeinde. Die hatte vor wenigen Tagen verkündet, dass "ein Stuttgarter Professor", der die wissenschaftliche Aufarbeitung als neutrale Person vorantreiben sollte, abgesagt habe. Die Korntaler Pietisten nennen keinen Namen, veröffentlichen auch nicht die schriftliche Erklärung, und seitdem herrscht großes Rätselraten. Keiner kennt diesen Professor, keiner weiß etwas Genaues, das geht bis hin zum Verdacht, dass es diesen Mann womöglich gar nicht gibt. Sicher ist jedoch, dass damit die Aufarbeitung wieder bei null anfängt.

Die ist immer schwierig, heikel und schmerzhaft, besonders wenn es um christliche Träger geht, die sich dem Gebot der Nächstenliebe verschrieben haben. Doch auch Christen machen Fehler. Und auch und gerade dort haben die Missbrauchsopfer das Recht, dass die Verfehlungen vollständig aufgeklärt und aufgearbeitet werden. Daran versuchen sich die Pietisten der Evangelische Brüdergemeinde nun schon seit mehr als einem Jahr, um nun bekanntzugeben, dass sie mit ihrer Suche nach einer geeigneten Person gescheitert sind.

Das will der kirchenpolitische Sprecher der Grünen, Willi Halder, so nicht hinnehmen. "Wir brauchen eine schonungslose Aufklärung und keine juristischen Tricks wie Verjährung und Ablehnung der Prozesskostenhilfe", sagt Halder gegenüber Kontext. Der Landtagsabgeordnete aus Winnenden sieht nun die württembergische Landeskirche in der Pflicht, auch wenn die Evangelische Brüdergemeinde eine unabhängige selbstständige Körperschaft ist. "Da darf nichts verschleppt werden", sagt Halder. Er will sich der Sache annehmen und hält es auch für dringlich geboten, das Thema beim Stuttgarter Kirchentag 2015 aufzugreifen.

Seine CDU-Kollegin Monika Stolz äußert sich vorsichtig. Die ehemalige Landes-Sozialministerin ist mit dem Thema Missbrauch vertraut: Sie ist Vorsitzende der Kommission Sexueller Missbrauch, die der Bischof der Diözese Stuttgart-Rottenburg, Gebhard Fürst, schon 2002 eingerichtet hat. Ratschläge will die christdemokratische Landespolitikerin keine geben.

"Doch alle Institutionen, die mit einer solchen Vergangenheit belastet sind, haben die Aufgabe, Aufklärung möglich zu machen und Wege zu finden, den Opfern Gehör zu verschaffen und ihnen gerecht zu werden", so Stolz auf Anfrage von Kontext.

Das beschäftigt auch Stolz' Kollegen von der SPD. "Natürlich will ich, dass die Evangelische Brüdergemeinde aufarbeitet", sagt Thomas Reusch-Frey, "aber ich sehe noch keine Lösungsmöglichkeit." Ein laufendes, juristisches Verfahren habe nun mal eine eigene Dynamik, da wolle er sich als Politiker nicht einmischen. Von außen könne er nur feststellen, dass "die Kommunikation nicht optimal" laufe. Der Pfarrer, der 16 Jahre lang der Kilianskirche in Bietigheim-Bissingen vorstand, sieht die Brüdergemeinde am Zug, sie müsse schnell eine Persönlichkeit finden, damit die Demütigungen und Missbrauchsvorwürfe aufgearbeitet werden können.

Den Stein ins Rollen brachte Detlev Zander, der von der Brüdergemeinde Schadenersatz in Höhe von 1,1 Millionen Euro fordert. Vor eineinhalb Jahren schon wandte sich Zander an die Korntaler Verantwortlichen, berichtete ihnen von Demütigungen, Kinderarbeit und sexuellem Missbrauch in seiner Zeit als Heimkind im Hoffmannhaus, forderte eine umfassende Aufklärung und Schadenersatz für erlittenes Leid. Längst ist Zander nicht mehr allein. Es hat sich eine Selbsthilfegruppe der Korntaler Heimopfer mit fünf Mitstreitern gebildet, bei der sich inzwischen 200 Betroffene gemeldet haben. Sie alle warten seit Monaten darauf, dass mit der Aufarbeitung begonnen wird. Doch die damit beauftragte Kommission der Brüdergemeinde kommt nicht voran. Ein Konzept sei schon in der Schublade, sagte Sprecher Manuel Liesenfeld bereits im Mai dieses Jahres. Es sei noch nichts entschieden, teilte Liesenfeld auf Kontext-Nachfrage Ende Juli mit. Der Professor habe leider abgesagt, heißt es nun in einer Pressemitteilung vom 12. November.

Noch zögern die Landespolitiker, Ratschläge zu geben. Noch hält sich die Landeskirche zurück, weil die pietistische Gemeinde eine eigenständige Körperschaft ist, die der württembergischen Kirche zwar angegliedert, aber ihr gegenüber nicht weisungsgebunden ist. Doch nach einem Jahr des Stillstands wird immer deutlicher, dass sich in Korntal etwas bewegen muss. Es scheint, dass der Anstoß von außen kommen muss.

Die Opferhilfe hat sich nun auf die Suche gemacht. "Wir brauchen eine unabhängige Persönlichkeit, die mit den Heimopfern und der Brüdergemeinde Gespräche führt", bekräftigt ihr Sprecher Peter Meincke. Auch die Kirchenverantwortlichen der Parteien sehen, dass wohl nur eine Art Schlichter die Aufarbeitung vorantreiben kann. S-21-Schlichter Heiner Geißler also als Korntal-Schlichter? Willi Halder könnte sich eher den SPD-Professor Erhard Eppler vorstellen. Thomas Reusch-Frey denkt an den ehemaligen Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche, Wolfgang Huber. Es wäre ein Zeichen, wenn noch vor Weihnachten Bewegung in den Korntaler Konflikt käme.


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4 Kommentare verfügbar

  • Heimkind1964
    am 27.11.2014
    Antworten
    Liebe Frau Stiefel,
    zuerst einmal ein dickes Lob für diesen Artikel.
    Die Brüdergemeinde tut sich sooooo schwer mit der Aufarbeitung,dass wir Heimkinder selbst noch aktiver werden um endlich bei der Aufarbeitung weiter zu kommen.
    Es geht ja um die Zeit der Heimkinder von damals und wir haben ein…
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