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Wolfram Weimer im Kulturkampf

Sprache schafft Fakten

Wolfram Weimer im Kulturkampf: Sprache schafft Fakten
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Ausgerechnet der Mann, der für Kultur verantwortlich sein soll, macht jetzt Sprachvorschriften. Kulturstaatsminister Wolfram Weimer verbietet seinen Angestellten Sternchen, Doppelpunkte und große Is. Das ist ein Verstoß gegen das Grundgesetz.

Es ist schon unheimlich, wie schnell sich die Befürchtung bewahrheitet hat, dass die Besetzung des Kulturstaatsministeramts mit Wolfram Weimer für das hiesige Kulturleben zu einer geistigen Katastrophe wird. Einem Mann, dem unzählige Kolleg:innen nach seiner Ernennung attestierten, dass er von Kultur "sehr wenig" verstehe. Bislang hat er auch sehr wenig gemacht – also für die Kultur. Und doch gelangte er bereits an einen Tiefpunkt: Der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien verbietet seinen rund 470 Mitarbeiter:innen beim Verfassen von "Briefen, E-Mails und Vermerken" die Verwendung von Sonderzeichen, die signalisieren, dass nicht nur das männliche Geschlecht gemeint ist. "Statt Formulierungen mit Sternchen oder Binnen-I zu verwenden, begrüßen wir die Adressaten mit der Anrede ‚sehr geehrte Damen und Herren‘", so Weimer in Schulmeistermanier. Gendern sei "bevormundende Spracherziehung", "erzwungen" und "spaltend" und dürfe nicht zum "Spielfeld für Ideologen" werden. Eine verwirrende Begründung, denn dies alles spiegelt sich ja gerade in seinem Verbot wider.

Und klar, alle Gegner:innen des gendersensiblen Formulierens kommen irgendwann mit diesem Argument angedackelt: Gendersprache beschädige die "Schönheit der deutschen Sprache", so raunzt auch Weimer. Es gehe ihm um den Erhalt "unserer Sprachkultur im Land der Dichter und Denker". Ja, ist denn das Bundeskanzleramt ein Literaturzirkel? Und ist Wolfram Weimer Heinrich Heine, dass er beurteilen kann, was "schöne Sprache" ist?

Zumal er selbst am laufenden Band Stilblüten produziert: Die "Gender-Ideologie der vergangenen Jahre" leugne "den Unterschied und die natürliche Aufeinander-Bezogenheit von Mann und Frau". Kotz! Oder: "Familie" sei das "Vaterland des Herzens". Ohmeingott! Oder: "Die freiheitsfeindliche Übergriffigkeit der Linken hat in der Cancel-Culture ihr aggressives Gesicht." What? Oder: "Wenn die Künste im Namen eines neuen Tugendterrors kanonisiert werden, gängelt man ja nicht nur die Künstler, vor allem bevormundet man die Adressaten." Hä? Rechte Parolen.

Wenn es Weimer wirklich um die Schönheit und Verständlichkeit von Sprache ginge, sollte er sich lieber mal dafür einsetzen, dass die Antragsformulare fürs Bürger:innengeld oder die Erklärungsbögen des Finanzamts schön und vor allem verständlich formuliert werden.

Der Mitgründer des "Cicero" und einstige Chefredakteur des "Focus" hat in seinem Ansinnen den Bundeskanzler erwartungsgemäß hinter sich. Der war ja schon im Wahlkampf 2021 populistisch befeuert aufs Erregungspferd des Genderns gesprungen und hatte für staatliche Stellen ein Genderverbot gefordert (was in Bayern 2023 dann auch eingeführt wurde). Friedrich Merz (CDU) fragte damals auch, wer denn Nachrichtenmoderator:innen das Recht gebe, "in ihren Sendungen einfach mal so eben die Regeln zur Verwendung unserer Sprache zu verändern?" Einfach mal so eben? Der wissenschaftliche Kampf für eine geschlechtergerechte Sprache begann in den 1970er-Jahren.

Da läuft die CDU der AfD hinterher

Nun sind die Zitierten nicht gerade die intellektuellen Speerspitzen unseres Landes. Gemäß dem befürchteten Backlash unter Merz, der Rassismus und Diskriminierung hoffähig macht, verwenden sie im Falle des Genderns dasselbe abfällige Vokabular wie die AfD, und genau wie dieser sind ihnen wissenschaftliche Erkenntnisse gerne mal schnurz. Sonst wüssten sie, dass es beim Gendern nicht um eine "linke Marotte" geht. Etliche wissenschaftliche Studien, die seit den 1990er-Jahren durchgeführt werden, bestätigen, dass eine geschlechtergerechte Sprache sich langfristig positiv auf die gesellschaftliche Gleichstellung von Mann, Frau und allen dazwischen und außerhalb auswirkt. Warum? Weil sie das Bewusstsein erweitert.

Eine Studie von vielen: 2001 führten die Psychologinnen Dagmar Stahlberg, Sabine Sczesny und Friederike Braun mit 100 Proband:innen Assoziationstests durch. Unter anderem wurden die Testpersonen gebeten, Idole etwa aus den Bereichen Musik oder Sport zu nennen. Die Fragen wurden unterschiedlichen Gruppen in unterschiedlicher Form gestellt: im generischen Maskulinum (wie: Lieblingssportler), in der Doppelform (wie: Musikerin und Musiker), in einer neutralen Form (wie: Berühmtheiten der Musikbranche) und der Schreibung mit großem Binnen-I (SportlerInnen). Das für sprachsensible Menschen nicht sehr überraschende Ergebnis: Die Gruppe mit dem generischen Maskulinum nannte vor allem männliche Stars. Die anderen Gruppen auch viele Frauen. Interessant: Die Gruppe "großes I" nannte die meisten Frauen. In anderen Studien wurden Kindern Listen mit Berufen vorgelegt. Wenn die Bezeichnungen sowohl männlich als auch weiblich waren, interessierten sich mehr Mädchen für typisch männliche Berufe.

Generisch hin oder her: Menschen denken, wenn sie maskuline Personenbezeichnungen hören, vor allem an eines: an Männer. Ist doch logisch. Sprache schafft Fakten. Andere Geschlechter bleiben unsichtbar. Bestimmte Leute irgendwie mitzumeinen, ist etwas völlig anderes, als die angeblich Mitgemeinten ausdrücklich anzusprechen.

Das Grundgesetz verpflichtet staatliche Stellen, ihre hoheitlichen Aufgaben und Befugnisse diskriminierungsfrei auszuüben. Und das Bundeskanzleramt als zentrale Regierungsbehörde muss hier Vorbild sein. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes machte dazu 2024 eine klare Ansage: "Wird ein inklusiver und geschlechtergerechter Umgang mit Sprache durch den Staat verboten, ist das verfassungsrechtlich problematisch." 

Aber wie will Weimer eigentlich sein Verbot durchsetzen? Holt er sich scharfe Hunde an die Seite, die alle Beschäftigten kontrollieren? Und was passiert, wenn die Angestellten trotzdem gendern? Wird Weimer seine Kolleg:innen unehrenhaft aus seinem Amt entlassen? Da gibt es nur eins: Liebe Verwaltungsangestellte des Bundeskanzleramtes, bitte gendert so viel ihr könnt. Widerstand beginnt im Kleinen!

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13 Kommentare verfügbar

  • Werner
    am 11.08.2025
    Antworten
    Guten Abend Schnippchen,
    wenn ich jetzt prüfen sollte ob Regulierung oder Nicht-Regulierung, dann muss ich feststellen, dass ich als eine einzelne Person das schon kontrovers beurteile. Mein Intellekt findet Regulierung wichtig, Klarheit und Eindeutigkeit und natürlich Ordnung. Ordnung finde ich…
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