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Unternehmertag Baden-Württemberg

Rente mit 70. Und Krieg.

Unternehmertag Baden-Württemberg: Rente mit 70. Und Krieg.
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Gewichtige Namen auf der Bühne, gewichtiges Publikum im Saal: Da lassen sich Botschaften platzieren. Beim Unternehmertag Baden-Württemberg in Stuttgart waren es: mehr arbeiten, länger arbeiten, weniger Steuern, weniger Regulierung, mehr Deutschland in Europa.

Einmal im Jahr laden die Unternehmer Baden-Württemberg (UBW) zum Unternehmertag ein. Tagsüber ist Mitgliederversammlung, abends wird die eigene Bedeutung mit einem mehr oder weniger hochkarätigen Programm hervorgehoben. Statt findet das in diesem Jahr am 23. Juli im modernen UBW-Haus in der Stuttgarter Türlenstraße, mit großzügiger Empfangshalle und Veranstaltungsräumen, das schicke Foyer im ersten Stock mit Ausgang zur großen Terrasse ist eine ideale Location für Treffen wichtiger Leute.

Beim Unternehmertag war es voll. Über 400 Anmeldungen, sagt Ex-UBW-Präsident Rainer Dulger, der am Nachmittag sein Amt an seinen bisherigen Stellvertreter Thomas Bürkle abgegeben hatte. "So viele hatten wir lange nicht mehr." Geschätzt 80 Prozent Männer, dazu einige Unternehmerinnen sowie Ehefrauen und Referentinnen. Dass es so voll ist, dürfte an den Podiumsgästen liegen: Wolfgang Ischinger, Günther Oettinger (CDU), Cem Özdemir (Grüne) und Manuel Hagel (CDU) – die letzteren beiden sind Spitzenkandidaten ihrer Partei für die Landtagswahl am 8. März 2026. Der Kommandeur der Bundeswehr Landeskommando Baden-Württemberg Kapitän zu See Michael Giss und der Chef des Landes-THW Dietmar Löffler haben vielleicht auch einige angezogen. Landeswirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) sitzt auf dem Podium, Polizeipräsidentin Stefanie Hinz ebenfalls und Bonita Grupp von Trigema darf sich mit ihrem Parteifreund Hagel unterhalten. Cem Özdemir wird mit dem frisch gewählten UBW-Präsidenten Bürkle befragt, das Podium mit Hagel finden getrennt davon statt, da dieser sich bekanntlich weigert, mit seinem Konkurrenten Özdemir auf einer Bühne zu sitzen.

Sollte dahinter die Befürchtung stehen, er könne mit dem deutlich weltläufigeren und erfahreneren Özdemir nicht mithalten, ist die an diesem Abend unbegründet. Beide Politiker präsentieren sich wenig eindrucksvoll. Hagel redet was über Zölle (keine Landesangelegenheit), dass Überstunden komplett steuerfrei seien (keine Landesangelegenheit) und alle mehr und länger arbeiten sollten (keine Landesangelegenheit). Und dass er als Ministerpräsident deregulieren will. Gähn.

Die Unternehmer sollen mal über Krieg nachdenken

Anschließend kommt Gegenkandidat Özdemir. Auch der ehemalige Bundeslandwirtschaftsminister schweift erstmal auf die Weltlage und nach Europa ab, wirbt für ein europäische Batterie-Industrie. Nach einer Ermahnung sagt er, er wolle als Ministerpräsident KI und Maschinenbau stärken, die Lehrerausbildung verbessern und nicht deregulieren, sondern vielmehr die Bürokratie beschleunigen. Unwillkürlich taucht der Wunsch nach inspirierteren Kandidat:innen auf.

Landespolitik ist fast abgehakt, weiter geht's mit Europa. Ischinger und Oettinger plädieren für eine stärkere EU. Der einstige EU-Kommissar und heutige Berater Oettinger befindet, in Deutschland befasse man sich mit den falschen Themen (seine Beispiele: Richterwahl, BSW und AfD). Es müsse um Wettbewerbsfähigkeit gehen. Und um militärische Stärke. So. Zack.

Dass in punkto militärischer Stärke nicht nur die Rüstungsindustrie angesprochen ist, sondern auch andere Firmen, macht Kapitän Michael Giss klar. Er erklärt den Unternehmern, sie sollten nicht überrascht sein, wenn der Staat sie im Ernstfall dazu auffordere, etwas anderes zu produzieren. Sein Beispiel: Baut Porsche im Krieg den Motor für den 911er oder den für den Leopardpanzer? Das sollten sie alle doch mal durchdenken, damit sie nicht zum Problemfall würden, sagt er in den Saal. Dort ist es einigermaßen still.

Die Arbeitgebervertreter:innen, wahlweise Dulger, Bürkle, Hoffmeister-Kraut – ach nee, die ist ja Wirtschaftsministerin –, nennen an diesem Abend wirklich oft Friedrich Merz (Hoffmeister-Kraut: "Ich finde, Friedrich Merz hat einen grandiosen Start hingelegt."). Sie fordern mehrmals von ihrem hochgelobten Kanzler (die SPD spielt an diesem Abend keine Rolle), dass die Arbeitszeit flexibler, das Renteneintrittsalter auf 70 hochgesetzt und die Sozialsysteme geschleift, halt nein, "reformiert" werden müssten. Froh zeigt sich Rainer Dulger – nunmehr Ehrenpräsident des UBW – auch über die Merzsche Außenpolitik: "Deutschland ist wieder zurück.", "Wir sind wieder wer.", "Man erwartet, dass Deutschland eine Führungsrolle übernimmt.", "Das hat Friedrich Merz klar gemacht."

In China haben sie ja neun-neun-sechs

Ischinger ("Ich bin 80, sitze einmal am Tag im Flugzeug und acht Stunden am Schreibtisch – das geht.") und Oettinger lassen sich auf die Merz-Bejubelung weniger ein, betonen vielmehr, dass die EU sich einig sein müsse, wenn sie gegenüber den USA und China bestehen wolle. Zu China weiß auch Hoffmeister-Kraut was zu sagen. Da ist sie nämlich vor nicht allzu langer Zeit gewesen. In China hätten sie ja neun-neun-sechs erzählt sie sichtlich angetan. 996 bedeutet: arbeiten von 9 Uhr morgens bis 9 Uhr abends und das an sechs Tagen pro Woche. Das ist selbst in China illegal, aber das erwähnt die Ministerin nicht. Sie schwärmt, auch in der Entwicklung werde in Drei-Schicht gearbeitet, und sagt tatsächlich, "in Gesprächen mit den Menschen" habe sie deren "Lust auf Leistung" erlebt. Spontan stellt sich die Schreiberin dieser Zeilen vor, wie die Ministerin aus dem Werkstor einer chinesischen Fabrik tritt, zum nächsten Wanderabeiter geht und mit ihm angeregt über glücklichmachende Zwölf-Stunden-Tage spricht. Der Arbeiter als Vertreter "der Menschen" lächelt ob des fließenden Chinesisch der blonden Frau und nickt angesichts der Überwachungskamera am Straßenrand freundlich. Am Ende verbeugen sich die beiden voreinander und die blonde Frau denkt sich: So müsste es auch in Deutschland sein. Ach ja.

Am Ende wird viel Spaß und Erfolg beim Netzwerken gewünscht. Dabei bleiben die Unternehmer allerdings unter sich. Hagel, Özdemir, Oettinger, Hoffmeister-Kraut und Ischinger verlassen nach ihren Auftritten schnurstraks die Veranstaltung, der Rest erfreut sich an Spaghetti aus dem Parmesanlaib. Untermalt wird das Netzwerken von Salonmusik, Swing und Evergreens der Frankfurter Band Walk-a-Tones. Wenigstens die war wirklich gut.

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1 Kommentar verfügbar

  • Bernd
    vor 2 Tagen
    Antworten
    Krieg ist einfach super. Auch Firmen wie Heidelberger Zement steigen jetzt in die Rüstungsindustrie ein. Staatsgeld fließt in die Taschen der Unternehmer im Ländle und die Jugend kann es kaum erwarten im Schützengraben zu landen. Ach ist das geil. Endlich wieder Tod und Grausamkeit in unserer…
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