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Arbeit, Geld und Börse

Die Dividende-Preis-Spirale

Arbeit, Geld und Börse: Die Dividende-Preis-Spirale
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Ein paar Ökonomen und Expertinnen warnen, dass höhere Löhne die Inflation anheizen, weil mehr verfügbares Geld die Preise in die Höhe treiben soll. Seltsamerweise schlägt bei Dividenden in Rekordhöhe niemand Alarm.

Sagt jetzt nicht, euch hätte niemand gewarnt! Die Tarifeinigung im öffentlichen Dienst "wird alles teurer machen", titelt aktuell der "Münchner Merkur", in der "Wirtschaftswoche" zeigen sich Ökonomen (es sind tatsächlich nur Männer) wieder einmal besorgt, dass die "Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale" nun deutlich erhöht sei und die Springer-Zeitung "Welt" hatte bereits im November 2021 das inflationsbedingte Verlangen nach höheren Löhnen als "heikel" benannt, weil sich ein Teufelskreis abzeichne: also steigende Löhne und steigende Preise, die sich gegenseitig befeuern. Ein Experte sah schon damals "die Lohn-Preis-Spirale für 2022 als reale Gefahr", und bewahrheitet hat sich das zwar nicht – aber für viele Medien ist das kein Grund, darauf zu verzichten, die gleiche Botschaft immer wieder zu verbreiten.

Kurios dabei: Keiner der Ökonomen, die so sorgenvoll auf die Bedrohung durch zu hohe Löhne hinweisen, benennt eine andere Einkommensquelle als Problemfeld: Dividenden in Rekordhöhe. Sie erscheinen den renommierten Fachkreisen offenbar als völlig unbedenklich – ganz als mache es einen qualitativen Unterschied, ob das zirkulierende Geld selbst erarbeitet oder dank Aktienbesitz angeeignet wurde.

Wie das Statistische Bundesamt im Februar bekannt gab, sind die Reallöhne in der Republik im Jahr 2021 um durchschnittlich 4,1 Prozent geschrumpft. Das Folgejahr war offenbar noch schlimmer. Laut Berechnungen der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung sanken die Reallöhne 2022, typisch für das Zeitalter der großen Rekorde, noch einmal um 4,7 Prozent – ein "historisch hoher Wert". Es gab zwar durchaus Gehaltserhöhungen. Doch die enorm gestiegenen Verbraucherpreise haben diese mehr als nivelliert: Für den März 2023 hat das Statistische Bundesamt eine erneute Steigerung von 7,4 Prozent gegenüber dem Vormonat berechnet. "Damit ist die Inflationsrate im Vergleich zum Vormonat gesunken und ist auf dem tiefsten Stand seit August 2022", teilt das Amt mit.

Warum überhaupt noch arbeiten?

Nach einer Reihe von Streiks konnten Gewerkschaften nun zum großen Ärger arbeitgebernaher Institute für einige tariflich Beschäftigte einen Inflations-Teilausgleich erstreiken. Andere mussten dafür weniger hart kämpfen. Im April 2022 machte die Meldung die Runde, dass die börsennotierten Unternehmen in Deutschland ihren Anteilseigner:innen 70 Milliarden Euro auszahlen, ein Plus von beinahe 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Dieser Rekordwert konnte aktuell erneut getoppt werden, auch wenn sich der Zuwachs auf "magere" neun Prozent beschränkt. Ein Trostpflaster: Im Gegensatz zum Einkommen durch eigene Arbeit werden Kapitalerträge deutlich niedriger besteuert, nämlich mit höchstens 25 Prozent.

Insgesamt sei 2022 "ein sehr erfreuliches Jahr für die Aktienkultur in Deutschland", urteilt Christine Bortenlänger, die Chefin des Deutschen Aktieninstituts. Wobei der Wermutstropfen bleibt, dass "noch immer zu wenig Menschen in Deutschland an den attraktiven Erträgen" teilhaben würden. Die Armen haben Hunger? Sollen sie halt Aktien kaufen!

Momentan sind es 18,3 Prozent der Bevölkerung, die ihren Kontostand mit Gewinnen aufhübschen, für die sich andere krummgemacht haben, und am beliebtesten ist die Aktie in Baden-Württemberg, wo jeder Vierte investiert hat. Wobei das Aktionärstum nicht nur mit dem Wohnort, sondern "auch stark mit dem Einkommen korreliert", wie die FAZ berichtet: "Bei Nettoeinkommen von mehr als 4.000 Euro im Monat beträgt die Aktionärsquote 46 Prozent."

Wie aber ist es den Unternehmen, denen sie ihr Kapital zur Verfügung stellen, gelungen, trotz krisenhafter Rahmenbedingungen Reibach wie nie zuvor zu machen? Einen Erklärungsansatz liefert Henrik Ahlers, Vorsitzender der Geschäftsführung von Ernst & Young Deutschland. Das "Manager Magazin" fasst seine Analyse so zusammen: Den erfolgreichen Unternehmen an der Börse sei es "gelungen, hohe Kosten bei Personal, Beschaffung und Energie an ihre Kunden weiterzugeben".

Den Verdacht, dass unternehmerisches Profitstreben eine Teilschuld an Preissteigerungen haben könnte, artikuliert Ahlers allerdings nicht. Während die neoklassische Volkswirtschaftslehre predigt, dass der Konkurrenzdruck der Marktwirtschaft automatisch zu günstigen Produkten führe, kommt aktuell Kritik von unerwarteter Seite auf. Andy Jobst, Inflationsexperte der Versicherung Allianz Trade, sieht zunehmend Anzeichen für "übermäßige Gewinnmitnahmen" und unterstellt, mehr als ein Drittel der Verteuerungen in den vergangenen Monaten könne nicht mit den traditionellen Treibern wie Rohstoffkosten oder gestiegenen Energiekosten erklärt werden.


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13 Kommentare verfügbar

  • bedellus
    am 30.04.2023
    Antworten
    es gibt hier in deutschland nicht wenige menschen, die mit ihrer entlohnung so gerade eben ihr taegliches existieren finanziert bekommen. und es gibt ebenso menschen, die mit ihrer entlohnung ihr taegliches existieren finanziert bekommen und zusaetzlich die moeglichkeit zu weiteren einkuenften ueber…
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