Kaum hatte das als SARS-CoV-2 bezeichnete Virus im Frühjahr 2020 die Bundesrepublik erreicht, ertönten deutschlandweit die Rufe nach dem Sozialstaat. Seit der Jahrtausendwende im Rahmen der "Agenda 2010" und der Hartz-Gesetze mittels neoliberaler Reformen "um-" bzw. abgebaut, hielt man ihn für "systemrelevant" und seine Leistungen für unverzichtbar, als zahlreiche Menschen durch die Pandemie und die Infektionsschutzmaßnahmen an den Rand des wirtschaftlichen Ruins gerieten. Plötzlich sollte er die Einnahmeausfälle und Gehaltseinbußen möglichst zu 100 Prozent kompensieren, welche seinen Bürger:innen durch die Pandemie selbst, Infektionsschutzmaßnahmen wie den Lockdown und die davon mit ausgelöste Wirtschaftskrise entstanden waren. Selbst von einem "Unternehmerlohn" war paradoxerweise die Rede, den übrigens auch die FDP forderte – offenbar deshalb, um zu verhindern, dass ihre Klientel beim Jobcenter um Arbeitslosengeld II nachsuchen muss und mit den vielfach als Drückeberger, Faulpelze und Sozialschmarotzer diffamierten Hartz-IV-Bezieher:innen in einen Topf geworfen werden kann.
Da ihnen wegen der Covid-19-Pandemie die Aufträge, Engagements oder Auftritte wegbrachen, waren Soloselbstständige, Freiberufler:innen, Kreative, Künstler:innen und Kleinstunternehmer:innen, die keine finanziellen Rücklagen bilden konnten, die offensichtlichen Hauptleidtragenden der Coronakrise. Fast vergessen und teils noch schlimmer dran, waren Obdachlose und Bettler:innen, denen kaum noch Almosen zuflossen, weil die Straßen leer waren und sich Passant:innen vor Ansteckung fürchteten, sowie Transferleistungsbezieher:innen und Minirentner:innen, die im ersten Lockdown vor geschlossenen Lebensmitteltafeln standen.
Höchst umstritten war, wie ihnen geholfen werden sollte. Befürworter:innen eines bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) nutzten die Gelegenheit, um mit Hinweis auf die außergewöhnlichen Umstände für ihr Konzept zu werben. In einer Petition an den Bundestag wurde die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens von monatlich 800 bis 1.200 Euro pro Person für ein halbes Jahr gefordert.
Ähnlich vage wie die Bezifferung des auszuzahlenden Geldbetrages in der Petition fiel der Vorschlag insgesamt aus. Von einem schlüssigen Konzept kann nicht die Rede sein, denn es gibt zahlreiche Grundeinkommensmodelle, die sich vor allem in Bezug auf die ziemlich wichtige Frage der Refinanzierung widersprechen. Testen kann man das Grundeinkommen deshalb nicht, weil es quer zu den Konstruktionsprinzipien unseres Wirtschafts- und Sozialsystems steht, das für ein solches Experiment außer Kraft gesetzt werden müsste.
Ersetzen soll das Grundeinkommen die Sozialhilfe, das Arbeitslosengeld II, das Sozialgeld, die Grundsicherung im Alter, den Kinderzuschlag und das Wohngeld. Zu befürchten steht, dass über kurz oder lang alle genannten und zahlreiche weitere Transferleistungen abgeschafft würden, denn die Kosten des Grundeinkommens wären enorm. Meist werden die mit dem bedingungslosen Grundeinkommen verbundenen Kosten – zwischen mehreren hundert Milliarden und weit über einer Billion Euro jährlich – unterschätzt oder gar nicht erst thematisiert. Und wenn man es an Bedingungen wie einen hohen Bedarf knüpft, was die Kosten drastisch verringern würde, wäre es kein bedingungsloses Grundeinkommen mehr.
Ein bedingungsloses Grundeinkommen ist ungerecht
Mit einem bedingungslosen Grundeinkommen würde Sozialpolitik nach dem Gießkannenprinzip gemacht, statt ihre begrenzten Ressourcen im Sinne der Einzelfallgerechtigkeit auf jene Personen zu konzentrieren, die sie wirklich brauchen. So dürften selbst in einer Pandemie nicht alle Künstler:innen und Kulturschaffenden unterstützt werden müssen. Dieter Bohlen, Helene Fischer und Roland Kaiser brauchten während der Pandemie ebenso wenig Staatshilfe wie Gerhard Richter, weil sie allesamt Multimillionäre sind. Hingegen könnten die scheinselbstständige Maskenbildnerin, der freiberuflich tätige Messebauer, die Honorarkraft in der Erwachsenenbildung und die prekär beschäftigte Grafikdesignerin vom Grundeinkommen vielleicht noch nicht einmal ihre Miete zahlen, wenn sie in einer begehrten Großstadtlage wohnen.
10 Kommentare verfügbar
K. Schneider
am 23.05.2022Selten so einen Quatsch gelesen! Wenn 100 Mrd. € für kriegerischen Schrott aufgebracht werden, , dann ist das bedingungslose Grundeinkommen schon lange davor durchaus und nachweisbar…