Die gute Nachricht: Winfried Kretschmann ist lernfähig. Der baden-württembergische Ministerpräsident schreibt in seinem vergangenen Donnerstag veröffentlichten offenen Brief zum Radikalenerlass: "Eine erste Erkenntnis ist für mich, dass die Anwendung des Erlasses unverhältnismäßig war." Respekt, das ist mal wirklich eine neue Erkenntnis.
Doch im Ernst: Eine Reaktion Kretschmanns auf die im Mai 2022 veröffentlichte, vom Land in Auftrag gegebene Studie über den sogenannten Radikalenerlass von 1972, dessen Anwendung in Baden-Württemberg und die Folgen für viele Anwärter:innen auf öffentliche Stellen war mehr als überfällig. Monatelang hatten Kretschmann und sein Staatsministerium immer wieder darauf verwiesen, dass noch geprüft werde, dass die Studie ja ziemlich dick sei, dass es drängendere Probleme gebe (Kontext berichtete). Das wirkte schon deshalb unangemessen, weil Kretschmann zum einen selbst in einem Interview Anfang 2022 die Erwartung genährt hatte, sich bald zu äußern, zum anderen, weil die Ergebnisse nicht unbedingt vom Himmel fielen – manche wurden noch vor Erscheinen der Studie im Blog des Heidelberger Forschungsprojekts veröffentlicht.
Sollte das Staatsministerium eine kompetente wissenschaftliche Abteilung haben, und das ist ihm zu wünschen, hätte sich diese wegen einer Bewertung also schon zeitig darum kümmern können. So aber entstand der Eindruck, der Ministerpräsident wolle einer Stellungnahme dazu aus dem Weg gehen, fühle sich unbehaglich damit. Oder spiele bei der Aufarbeitung und Fragen einer Entschädigung oder Rehabilitation auf Zeit, wie es etwa der Mannheimer SPD-Landtagsabgeordnete Boris Weirauch formulierte, bis die "biologische Lösung" eintrete.
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Peter Meincke
am 29.01.2023