Ich engagiere mich als Kletteraktivist für Klimagerechtigkeit. Die Regierungen, insbesondere auch die Ravensburger Stadtregierung, nötigen mich zu immer größeren Aktionen, weil sie auf Jahre des begründeten Protests nicht reagieren. Los ging es bei mir über Fridays for Future. Knapp ein Jahr nach den ersten Demos war ich Teil des Organisationsteams und kam darüber im Sommer 2020 ins Augsburger Klimacamp. Dort lernte ich viele neue Aktionsformen kennen, meldete meine ersten Demos an und leistete zum ersten Mal zivilen Ungehorsam. Nachdem ich im Herbst im besetzten Dannenröder Forst klettern lernte, konnte ich im Dezember eine erste Baumbesetzung in Ravensburg starten, aus der sich dann die Waldbesetzung gegen Kiesabbau im Altdorfer Wald entwickelte.
Und jetzt sind Wahlen und ich soll meine Stimme geben, in der Hoffnung mit dem Setzen des Kreuzes an der richtigen Stelle die notwendigen Maßnahmen in Berlin endlich umgesetzt zu sehen. Aber wo macht man denn sein Kreuz, damit Deutschland vom aktuellen Pfad der Klimazerstörung auf einen Pfad der Klimagerechtigkeit kommt?
Ich kann keiner der Parteien im Bundestag vertrauen, ausreichende Maßnahmen zur Lösung komplexer Probleme wie der Klimakrise konsequent umzusetzen. So wies kürzlich das Konzeptwerk Neue Ökonomie nach, dass keines der Parteiprogramme eine Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze vorsieht. Aber auch ein Blick in die jüngere Vergangenheit sät Misstrauen. Immer wieder wiederholt sich dasselbe Szenario: Eine progressive Partei mit scheinbar extremen, tatsächlich aber einfach problemangemessenen Maßnahmenvorschlägen gewinnt an Zustimmung, passt ihre Forderungen an, um ihren Zuspruch noch zu steigern, wird letztendlich von vielen Menschen gewählt und kommt so in Regierungsverantwortung. Dort beginnt dann das Desaster so richtig. Immer mehr Ideale gehen auf dem Weg verloren.
"Das Problem liegt im politischen System"
So war es beispielsweise in Hessen mit dem Dannenröder Forst, bei dem sich die Grünen hinter einem Beschluss für den Bau der Autobahn 49 durch den Forst versteckten anstatt sich gegen ihn zu stellen. Das ist kein Einzelfall, dieses Szenario betrifft die meisten Parteien. Das Problem liegt also nicht nur bei den Parteien, sondern vielmehr in unserem politischen System. Parteien streben Wiederwahl an und sind deshalb auf breite Zustimmung angewiesen. Die erhält man jedoch meist nicht mit progressiven Lösungen oder solchen, die Probleme an den Wurzeln anpacken, sondern eher mit einem solidem "weiter so". Diese systembestimmende Logik wirkt so lähmend, dass ausreichende Maßnahmen zur Lösung großer Probleme selten umgesetzt werden.
Zudem manipulieren intransparente Lobbyverbände von Partikularinteressen den politischen Prozess. Es häufen sich die Korruptionsskandale und auch sonst spielt es in der Politik eine wichtige Rolle, wie einflussreich und zahlungsstark man ist. Dabei sollten doch eigentlich die PolitikerInnen als gewählte VolksvertreterInnen Entscheidungen im Sinne ihrer WählerInnen treffen. So aber muss man sich immer fragen: Wessen Interessen vertreten sie wirklich?
Der mögliche Rückschluss, dass wählen gehen nichts bringe, weil zuerst das System verändert werden müsse, greift aber auch zu kurz. Es gibt zwar keine Partei mit Einzugsaussicht, die aufgestellt ist, alle Probleme zu lösen. Die wird es nie geben. Mit unserer Stimme können wir aber diejenigen Parteien abwählen, die mit besonders viel Energie Klimazerstörung verfolgen und Politik nur als praktischen Ort für Korruption verstehen – sprich: wir können Schadensbegrenzung betreiben.
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Prof. Dr. Wolfgang Ertel
am 11.10.2021