Am Telefon meldet sich kein Vorzimmer, das durchstellt, nur Bauer. Es habe gedauert, erzählt Wolfgang Ertel, bis er begriffen habe, wer mit ihm sprechen wollte. "Ihre Dienstvorgesetzte ist am Apparat", klärte Frau Ministerin den Hochschullehrer auf, der kurz zusammen zuckte und dachte, auweia, da dräut ein Disziplinarverfahren. Falsch gedacht. "Wenn ein Professor auf die Bäume steigt", sagte Theresia Bauer, "muss an der Sache was dran sein". Deshalb rufe sie an.
Da ist was dran. Der 62-jährige Hochschullehrer klettert für das Klima auf Bäume, hält Vorlesungen im Baumhaus, hängt auch mal kopfüber am Seil, meterhoch über dem Boden, zusammen mit Transparenten ("System Change not Climate Change"), als wolle er seiner Botschaft Flügel verleihen. In jener Angelegenheit, die Frau Ministerin interessiert, hat er sich morgens um vier auf die Socken gemacht, um in luftiger Höhe zu berichten, was ihn seit zehn Jahren ärgert: dass die Hochschule Ravensburg-Weingarten ihre Hörsäle "volle Pulle" heize, auch an den Wochenenden, an Feiertagen und in den Ferien, und so jährlich 150 000 Euro durch den Schornstein blase, inklusive hunderter Tonnen CO2. Ertel sagt, das Problem sei funkgesteuert leicht zu lösen, aber das habe bei seinem Gang durch die Instanzen, bis zum Ministerium, niemand gekümmert. Bis er auf die Bäume geklettert ist.
Im Winter springt der Professor in den Eisbottich
An der fachlichen Kompetenz kann es nicht gelegen haben. Der Informatik-Professor leitet das Institut für Künstliche Intelligenz, gilt als KI-Koryphäe, arbeitet als Klimaexperte für die Scientists for Future, für den Klimabeirat der Stadt Ravensburg (was er bisweilen bereut, aber das kommt später), und kann auch als Bauherr des ersten Passivhauses in Oberschwaben (1998) eine Expertise vorweisen, die in diesem Landstrich noch eher selten ist. Auch privat betrachtet bringt der Sohn eines Leutkircher LKW-Fahrers eine hohe energetische Glaubwürdigkeit mit: Er fliegt nicht, ist meist mit dem Fahrrad unterwegs, seit fünf Jahren Veganer, springt im Winter in einen Eisbottich, zwischen zwei und vier Minuten lang bei bis zu zwei Grad minus Wassertemperatur und wärmt seine Füße mit groben Wollsocken.
Für Etliche hier ist der Allgäuer ein Aufrührer. Einer, der eigentlich entlassen werden müsste, der auf Steuerzahlers Kosten ein flottes Leben führt, womöglich junge Menschen verführt, ebenfalls auf Bäume zu klettern und rebellische Transparente über Straßen zu spannen. Wie in Kontext berichtet, tun sie das seit Dezember vergangenen Jahres, und tun es weiter auf einem Hügel im Altdorfer Wald, der abgeholzt werden soll, um dort Kies abzubauen, der dann wieder zu Straßen und Wänden wird.
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M. Teske
am 31.05.2021