Wenn einer bei uns Witze über die Stuttgarter Oberbürgermeisterwahl macht, dann sitzt halb Deutschland auf dem Smartphone und nimmt übel. Die taz-Glosse zum ersten Wahlgang, in der der Autor dieses Textes das Geschehene zusammengefasst und das nun Eingetroffene vorhergesagt hatte, sei unter anderem "ein Tiefpunkt", "beschämend" und, Tatsache, "zerstört die Demokratie". So urteilten stuttgartkundige LeserInnen aus allen Ecken unserer Republik. Sorry, Demokratie! Das war wohl nix. Versuchen wir's nach dem zweiten Wahlgang also nochmal. Aber nicht in der taz, sondern hier bei Kontext – sonst liest das am Ende wieder jemand.
Kehren wir erstmal die Scherben zusammen. Fragen wir uns gemeinsam, versöhnlich, liberal: Woran hat et jeleegen? Wir wollen ja auch unterm neuen Oberbürgermeister weiterhin friedlich miteinander leben in unserem Kesselkastensystem: Vermieter neben Mieter, Daimleraktionär neben Daimlerarbeiter, Halbhöhe neben Halbdackel. Nicht dass nächste Woche wieder Horst Seehofer die "Königsstraße" (Nopper) untersuchen muss.
Nehmen wir daher die Außenperspektive ein. Kommentiert wurde unsere im Großen und Ganzen völlig bedeutungslose Stuttgarter Schicksalswahl nicht nur vom Satireressort der taz, sondern auch von "Bild" bis Böhmermann. Der "Tagesspiegel" schrieb noch am Abend vor dem finalen Urnengang: "Dieser Nobody macht vor, wie man künftig Wahlen gewinnt." Und zwar indem man gegen den schlechtesten CDU-Kandidaten seit Boris Palmer verliert.
Wer schuld am Wählerwillen ist, ist allen klar: Es ist Doktor Frank Nopper selbst. Er hätte zugunsten seines Kollegen aus dem Mitte-Lager zurückziehen müssen, dann hätte sich Schreier vielleicht gegen den linksextremen Brutalradikalo Rockenbauch durchgesetzt.
Wäre ein morsches Stück Rinde öko genug gewesen?
Bitter ist der Ausgang dieser Wahl natürlich nicht für unseriöse Clowns wie unsereinen – wir sind's gewohnt zu verlieren, deshalb machen wir ja Witze. Entschuldigt sei an dieser Stelle auch, dass der letztendlich Zweitplatzierte in besagtem Demokratiezerstörungsartikel ebenfalls als Clown bezeichnet wurde. Mir war derselbe Fehler wie der SPD unterlaufen: Ich dachte, er wäre einer von uns.
Nein, bitter ist's zuvörderst für Stuttgarts jonge Leut', für Fridays for Future, die zu Recht auf eine linksgrüne Mehrheit gehofft hatten. Und die auf schmerzhafte Weise lernen: Dem großen Gott Weiterso fällt immer etwas ein, damit sich nichts Essenzielles ändern muss. Seien es wie in der Vergangenheit Konservative im grünen Mantel oder eben eine Schweizer Agentur, die die eigentliche Siegerin dieser Wahl ist. Sie hat sich eindrucksvoll für den deutschen Markt empfohlen, und ich hoffe, dass sie eines Tages meinen persönlichen Traum erfüllen und Christian Lindner zum SPD-Kanzler machen kann.
2 Kommentare verfügbar
Philipp Schwarz
am 05.12.2020