Welch ein strategischer Irrwitz, welche Ignoranz gegenüber den Lehren aus dem Sieg des Hitlerfaschismus im Gefolge der Weltwirtschaftskrise 1929/32! Menschen, die den teilweise als "Populismus" verharmlosten Rechtsextremismus bekämpfen, begegnet heute wieder der Einwand, genauso gefährlich wie dieser sei der "Linksextremismus", weshalb man Verfassungsfeinden, Fanatikern, "Hasspredigern" oder politisch motivierten Gewalttätern ganz allgemein entgegentreten müsse. Dabei hat nichts den Kampf gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Gewalt in der Vergangenheit stärker behindert als die reflexartige Gleichsetzung von Nationalsozialismus und Kommunismus in der Weimarer Republik, Hitlerfaschismus und Stalinismus im Kalten Krieg sowie Rechts- und Linksextremismus bzw. -populismus oder Fundamentalismen aller Art in der Gegenwart.
Antisemitismus in den eigenen Reihen wird für die Mehrheitsgesellschaft erträglicher, wenn er nicht bloß Rechtsextremisten, sondern auch der Labour Party unter Jeremy Corbyn und Muslimen im eigenen Land angelastet werden kann. So behauptete der junge CDU-Bundestagsabgeordnete Paul Ziemiak in der Sendung "Anne Will" am 16. September, dass sich "alle Extreme" im Antisemitismus einig seien, der bei Rechtsradikalen, Linksradikalen und Islamisten gleichermaßen auftrete. Als der frühere Spiegel-Chefredakteur Georg Mascolo das Signum des gegenwärtigen Zeitalters im "Toben der Extreme" sah und die AfD mit den in der Bedeutungslosigkeit versunkenen Republikanern verglich, war das Thema "Die Demokratie gemeinsam retten" endgültig durch.
Die falsche Gleichung der Extremismustheorie
Extremismustheoretiker bieten statt einer Definition nur eine Addition von Merkmalen; sie klassifizieren bloß, erklären aber nichts, weder die Ursachen einer politischen Strömung noch die Handlungsmotivation von deren Akteuren oder dahinterstehende Macht- und Herrschaftsinteressen. Todfeinde wie Faschisten und Kommunisten befinden sich nunmehr "im selben Boot", wohingegen ihrer Herkunft, ihren geistigen Wurzeln und ihrer Ideologie nach eng mit dem Rechtsextremismus verwandte Strömungen wie Deutschnationalismus und Nationalkonservatismus einer anderen Strukturkategorie zugeordnet werden. Grau- bzw. "Braunzonen", ideologische Grenzgänger und inhaltliche Überschneidungen zwischen (National-)Konservatismus und Rechtsextremismus, wie sie bei den Themen "Zuwanderung", "demografischer Wandel" und "Nationalbewusstsein" offen zutage treten, werden nicht thematisiert oder sogar tabuisiert.
Aus diesem Grund ist "Extremismus" ein völlig inhaltsleerer Kampfbegriff, welcher als Diffamierungsinstrument gegenüber der Linken fungiert. Nur wer noch in den politisch-ideologischen Schützengräben des Kalten Krieges liegt, kann beispielsweise auf die Idee kommen, AfD und Linke hätten mehr gemeinsam als AfD und CSU, deren Kernforderung nach einer "Obergrenze" bei der Flüchtlingsaufnahme auch Rechtspopulisten, Rechtsextremisten und Neofaschisten zustimmen, während die Linke mit ihrer Forderung nach offenen Grenzen auf der Grundlage unserer Verfassung genau das Gegenteil vertritt. Deren in Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes enthaltene Fundamentalnorm lautet eben nicht: "Die Würde des Deutschen ist unantastbar", sondern: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt."
Um punktuelle Gemeinsamkeiten zwischen zwei Vergleichsgegenständen – Linksextremismus und Rechtsextremismus – besonders akzentuieren zu können, blenden Extremismustheoretiker deren zentrale Differenz aus: Während der Rechtsextremismus die Beseitigung der Demokratie anstrebt, geht es dem Sozialismus um die Überwindung des Kapitalismus (und eine Verwirklichung oder Vervollkommnung der Demokratie, die hierzulande stark darunter leidet, dass sich Arme im Gegensatz zu Reichen kaum noch an Wahlen beteiligen). Daraus folgert Richard Stöss, dass der Rechtsextremismus prinzipiell, also von seiner Idee her und den Zielen nach antidemokratisch, der Sozialismus/Kommunismus aber nur dann "Linksextremismus", d.h. gegen die Demokratie gerichtet ist, wenn er (im Sinne einer "Diktatur des Proletariats" oder des Politbüros einer KP) missbraucht oder pervertiert wird.
9 Kommentare verfügbar
Peter Nowak
am 02.10.2018a dabei
am 28.09.2018Albrecht Häge
am 12.01.2019Schwa be
am 27.09.2018Ohne solche öffentlichkeitswirksamen Lautsprecher/Plattformen/Quellen im Rücken erscheinen trollige Kommentatoren/Schergen wie Peter Hermann wie ein Fisch auf dem trockenen.
Peter Hermann
am 27.09.2018Eine Frage
am 27.09.2018Matti Illoinen
am 01.10.2018Schwa be
am 26.09.2018Endlich wird einmal das wichtige Thema der von der sogenannten politischen "Mitte" und den "Leitmedien" m.E. bewusst aufgebauten "links/rechts-Falle" (so wie ich es nenne) bearbeitet. Diese keiner sachlichen Prüfung standhaltende (propagandistische) links/rechts-Falle hat m.E. insbesondere den Zweck von der antisozialen, repressiven und kriegerischen Politik der herrschenden, sogenannten politischen "Mitte" abzulenken bzw. die politische "Mitte" als das (alternativlos) "Gute" erscheinen zu lassen.
Dennoch möchte ich zwei Dinge kritisch anmerken
Erstens müsste die Politik der sogenannten "Mitte" als m.E. Verbreiter/Erfinder dieser haltlosen Behauptungen der links/rechts-Falle sowie das kritiklose übernehmen dieser links/rechts-Falle durch die Verantwortlichen der "Leitmedien" (Talkshows, Zeitungen, etc.) in diesem Zusammenhang mehr ins Rampenlicht gerückt werden. Im Artikel wird (m.E. wenig aussagekräftig) lediglich von Extremismustheoretikern gesprochen.
Zweitens bin ich mit dem 9. Absatz nicht wirklich einverstanden. Darin erwähnt Christoph Butterwegge drei Personengruppen welchen er politische Ausrichtungen zuordnet.
Gela Gela
am 30.09.2018