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Runter von der Insel

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Warum gehen so viele unterschiedliche Menschen auf die Straße? Gegen etwas, was kein Bahnhof oder Flughafen ist, sondern so abstrakte Kürzel wie TTIP oder CETA trägt? Sie kommen von ihren Inseln herunter, das Gemeinwohl im Sinn, kommentiert unser Autor.

Selbst mit den Zahlen ist es ja nicht einfach: Waren am vergangenen Wochenende 320 000 Menschen auf den Straßen deutscher Städte, um gegen Freihandelsabkommen wie TTIP und CETA zu demonstrieren? Das war die Zahl, die die Veranstalter verkündeten. Oder doch "nur" 150 000 bis 200 000, wie sich aus den Schätzungen der Polizei ergab?

Wie auch immer: Man musste schon ein ziemlich gefestigtes Vorurteil im Kopf haben, um, wie die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung", den "Höhepunkt" des Protests "überschritten" zu sehen, weil es diesmal in sieben Städten nicht viel mehr gewesen sein sollten als vergangenen Oktober in Berlin (jedenfalls, wenn man den Polizeizahlen glaubt). Fest steht: Zum zweiten Mal binnen Jahresfrist hatte der Protest gegen TTIP, CETA und Co. so viele Demonstrantinnen und Demonstranten auf die Beine gebracht wie seit Jahren kein anderes Thema. Das sind übrigens keineswegs "Freihandelsgegner", wie sie manchmal bezeichnet werden. Sehr wohl allerdings sind sie Gegner einer konzerngesteuerten Globalisierung.

Woher kommt dieser Zulauf? Zunächst mobilisiert der Protest gegen die Freihandelsabkommen ein ungewöhnlich breites Spektrum an Personen und Organisationen. Es hat wohl selten ein politisches Projekt gegeben, das in so viele gesellschaftliche Bereiche eingreift. Damit tun die politischen Kräfte, die es betreiben, der Gegenbewegung sozusagen einen Gefallen: Viele Initiativen und Verbände, die sonst eher isoliert voneinander arbeiten, finden hier den gemeinsamen Nenner für ihren Protest gegen eine "marktkonforme Demokratie".

Wer eine der Demonstrationen besuchte, konnte sehen, wie weit dieses Spektrum reicht: von radikalen Antikapitalisten über sozialdemokratisch sozialisierte Gewerkschafter bis zu den Inhabern kleiner oder mittlerer Unternehmen; von Studentinnen und Studenten, die die endgültige Unterwerfung der Bildung unter Marktbedürfnisse fürchten, bis zu Krankenpflegern und Ärztinnen, die im Gesundheitsbereich das Gleiche kommen sehen; von Genfood-Gegnern bis zu Kirchenleuten, die sich um die Bewahrung der Schöpfung sorgen. Um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Allerdings: Aus gemeinsamen Protestmärschen oder Petitionen wird noch lange nicht automatisch eine Bewegung. Bisher haben all die Demonstrierenden die Inseln der Fachgebiete, auf denen sie sich sonst mühen, nur für diesen einen Moment verlassen. Noch ist nicht klar, ob und wie diese Inseln sich zu einer festen Landmasse verbinden könnten, auf der der Protest in vielfältiger Form, aber gemeinsam gedeiht. Noch gibt es – über punktuelle Demobündnisse hinaus – nicht die Plattform, auf der sich die vereinzelten Widerstandskräfte zu noch mehr politischer Wirksamkeit miteinander verbinden könnten.

Bei allen Unterschieden: Mögliche Ansätze zur Gemeinsamkeit ergeben sich womöglich beim zweiten Blick auf diese Protestbewegung. Das "Institut für Protest- und Bewegungsforschung", ein Zusammenschluss von Sozialwissenschaftlern, hat vor knapp einem Jahr Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Berliner Anti-TTIP-Demonstration befragt.

Heraus kam zum einen der klare Befund, dass die überwiegende Mehrheit sich (über ihr punktuelles Spektrum hinaus) klar im eher linken Spektrum verortet. Grüne und Linkspartei zusammen hätten unter ihnen eine komfortable absolute Mehrheit. Nebenbei: Das sollte alle zum Schweigen bringen, die sich nicht entblöden, der linken Bewegung vorzuwerfen, dass auch die AfD sich gegen CETA und TTIP ausspricht. Bei der Demonstration 2015 beantworteten drei Prozent die "Sonntagsfrage" mit "AfD", 46,2 hätten für die Linke gestimmt und 39,5 Prozent für die Grünen. Übrigens: Die SPD landete bei 5,8. Und das Demobündnis von 2016 hat sich klar von Positionen distanziert, die den Freihandelsabkommen aus nationalen bis nationalistischen Gründen eine Absage erteilen.

Heraus kam bei der Befragung aber auch, dass eine Mehrheit der Protestierenden sich für mehr einsetzen möchte als nur für den eigenen Themenbereich: Bei der Frage nach den Motiven landeten prinzipielle Überlegungen – Kontrolle der Macht großer Konzerne und Schutz der Demokratie – noch weit vor Aspekten wie Verbraucher-, Umwelt- oder Arbeitnehmerschutz.

Kann es sein, dass dieser Protest gerade nicht vor allem Ausdruck einer "Anti-Haltung" gegen dieses und jenes ist, sondern dass sich darin Ansätze einer Bewegung für eine demokratische Gemeinwohl-Orientierung zeigen? Es wäre fast zu schön, um wahr zu sein, wenn sich das demokratisch denkende Deutschland länger als für einen Samstag (oder zwei) hinter diesem Ziel versammeln würde. Wenigstens so machtvoll, dass beim nächsten Mal der SPD-Vorsitzende nicht nur wankt, sondern endlich scheitert mit seinem Versuch, diesen demokratischen Impuls ins Leere laufen zu lassen.


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2 Kommentare verfügbar

  • Bernhard Meyer
    am 21.09.2016
    Antworten
    "Das sind übrigens keineswegs "Freihandelsgegner"..."

    Warum diese Abgrenzung von Gegnerschaft zum Freihandel?

    Es ist doch eine ideologische Falle, wenn man automatisch annimmt, dass alles, was die Vorsilbe "Frei" trägt etwas Gutes und Gegenerschaft davon so schlecht sei, wie die Wörter…
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