Das alles schaffte er nebenher, parallel zu den akribischen, auch konspirativen Recherchen für die "Doping-Dokumente" über den Betrug in der DDR und BRD (Stand 1990). Mit diesem Standardwerk und mit jeder Klage gegen weitere Dopingtäter und Hintermänner brannte sich mir ein Bild ein: Werner Franke hat den akademischen Elfenbeinturm vor allem deshalb so oft verlassen, um Athletinnen wie mir zu helfen. Um kriminelle Strukturen offen zu legen, Täter vor Gericht zu bringen, aufzuklären.
Er hat das für Menschen getan.
Zugleich setzte er klare Grenzen. Als ehemalige DDR-Doper den Versuch nicht unterlassen wollten, sich 30 Jahre später entschädigen zu lassen, obwohl sie nach geltenden wissenschaftlichen Standards darauf keinen Anspruch hatten. Und erst recht nichts zur Aufklärung beitrugen – dafür hatte er kein Verständnis. Er konnte es bis zuletzt nicht ertragen, diesen fortdauernden Betrug, die Feigheit und Geldgier. Erst recht nicht die Verlogenheit in Sport, Politik, und auch in den Medien. Und das sage ich als ehemalige Sprinterin und politische Journalistin. Denn der große Sport ist eben vor allem eins: too big to fail. Zu lukrativ, um zu scheitern.
Sie weinten Krokodilstränen, als Birgit Dressel starb
Vor dieser Kulisse stolperten wir jungen Sprinttalente in den Leichtathletik-Zirkus. Im feinsten Teenager-Trotz, "alles zu geben und nichts zu nehmen", waren wir schnell mit Doping konfrontiert. Selbstverständlich sprachen Athletinnen und Athleten über diese Mittel, sie kannten Namen von Präparaten und die Dauer ihrer Nachweisbarkeit, Namen von Trainern, die die Mittelchen freihändig "nach Stoppuhr" dosieren, und die Namen von Funktionären, die nur die Top-3- der nationalen Bestenliste grüßen.
Aber sie weinten Krokodilstränen, als im April 1987 die Siebenkämpferin Birgit Dressel elend an den Folgen ihres Dopings starb. Alle bedauerten diesen tragischen "Einzelfall", statt das Übel an den Wurzeln zu packen. Too big to fail.
Ich hatte Birgit sieben Monate vor ihrem Tod bei der Europameisterschaft 1986 in Stuttgart kennengelernt. Sie fand mich "Kleine" (18) drollig und ich sie (26) großartig. Am Tag vor Ihrem Siebenkampf, als sie im Neckarstadion Vierte wurde, hat sie mich im 200 m-Halbfinale gegen die Weltrekordlerin Heike Drechsler angefeuert.
Werner Franke sagte später, Birgit hätte das Multiorganversagen überleben können, wenn ihre Ärzte gewusst hätten, dass sie Anabolika genommen hatte. Der Arzt ihres Vertrauens war Armin Klümper, der "Guru" aus der Freiburger Mooswaldklinik, der seinen Patienten zuraunte: "Wenn ihr dopen wollt, dann kommt zu mir. Ich weiß, was ich tue". Wenige Wochen nach Birgits Beisetzung lag ich bäuchlings auf seiner Untersuchungspritsche und fragte ihn, was er ihr gegeben habe, woran sie gestorben sei? Klümper schob sich auf seinem Rollhocker zum Kopfende der Liege, ergriff meine Ohren und sagte mir ins Gesicht: "Wenn Birgit nur das genommen hätte, was ich ihr gegeben habe, würde sie noch leben."
Trost? Hybris? Wahnsinn!
Im Nachhinein erst wurde mir klar, warum ich in Stuttgart täglich (!) zur Dopingkontrolle bestellt worden war. Der Bundestrainer Spilker wusste: Ich nahm nichts, konnte also nicht "erwischt" werden. Damals konnten die nationalen Verbände selbst Athletinnen und Athleten zur Dopingprobe schicken, um ihr Testkontingent zu erfüllen. Eine Farce.
Nur Schwimmerin Kristin Otto weiß nichts
Ebenso erfuhren Vereine vom Deutschen Leichtathletikverband meist schon zwei Wochen vorher, wann ein Kontrolleur kommen würde. Da blieb genug Zeit, die Präparate abzusetzen und letzte Spuren aus dem Körper zu spülen. Und in der DDR gab es "Ausreisekontrollen" vor jedem internationalen Wettkampf, auf dass sie spätestens im Ausland "sauber" waren und schön siegen konnten im Wettstreit der Blöcke.
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