Marcel Stoessel wird 1904 in Dornach, einem Stadtteil von Mulhouse im Elsass, geboren. 1927 heiraten er und Marie Madelaine Jaegle. Er arbeitet als Kranführer und ist Gewerkschaftsmitglied, 1936 ist er Sprecher bei einem Streik bei der Textilfirma Schaeffer. In seiner Freizeit leitet er die Abteilungen Kunstradfahren und Radball des Sportclubs "Solidarité" in Mulhouse. Nach dem Überfall der Wehrmacht auf Frankreich und der Besetzung des Elsass kommt er im Herbst 1941 über seinen Kollegen René Kern in Kontakt mit einer der Widerstandsgruppen, die von Georges Wodli, einem Gewerkschafter und Mitglied der Kommunistischen Partei, geleitet wird. Marcel Stoessel engagiert sich mit dem Decknamen "Louis" in der Aufklärungsarbeit gegen das Nazi-Regime und die Besetzung seiner Heimat: Er beschafft Schreibmaschinen, schreibt Flugblätter, lässt sie drucken und sorgt für ihre Verbreitung. Die "Groupe Wodli" verteilt unter anderem die Zeitschrift "Der freie Gewerkschafter", sammelt Spenden für Familien von Verhafteten und organisiert die Flucht von Gefährdeten über die nahe Grenze in die Schweiz beziehungsweise in die noch nicht von der Wehrmacht besetzte Zone Frankreichs, in der die formell unabhängige, aber nazitreue Vichy-Regierung herrschte.
Bis heute ist nicht geklärt, ob die Gestapo durch Unvorsichtigkeit ihrer Gegner oder durch Verrat auf die Spur der Résistance-Gruppen im Elsass kommt, jedenfalls werden zwischen März und Juli 1942 im Großraum Mulhouse über 100 Antifaschisten verhaftet, so auch Marcel Stoessel am 12. Mai 1942 an seinem Arbeitsplatz. Bei der Hausdurchsuchung finden die Gestapo-Leute nichts Verdächtiges, trotzdem sperren sie ihn wie seine Mitstreiter René Kern, Alphonse Kuntz und Edouard Schwartz, alle Eisenbahner bei der SNCF, ins Gefängnis in Mulhouse. Die Nazis wissen nichts von Waffen-Depots und den Plänen der Gruppe für einen Anschlag auf die Eisenbahn-Linie Basel-Mulhouse-Straßburg. Ebenfalls Ende Mai 1942 verhaftet die Gestapo vier weitere Résistance-Kämpfer der "Groupe Wodli": René Birr, auch Eisenbahner, die Lehrer Eugène Boeglin und Auguste Sontag sowie den Schreiner Adolphe Murbach. Alle acht Widerstandskämpfer werden ins sogenannte "Sicherungslager" Schirmeck-Vorbruck verschleppt, dort verhört und gefoltert. Georges Wodli, Gewerkschafter und Kommunist aus Schweighouse-sur-Moder nördlich von Straßburg, der die Résistance-Gruppe ins Leben gerufen hatte, gerät erst im Oktober 1942 in die Fänge der Polizei des Vichy-Regimes. Im Januar 1943 liefert ihn dessen mit Nazi-Deutschland kollaborierende Regierung an die Gestapo aus.
Januar und März 1943: Verurteilung in Straßburg
Die acht Widerstandskämpfer aus dem Süd-Elsass stehen in zwei Prozessen am 23. Januar bzw. am 19. März vor dem Ersten Senat des Volksgerichtshofs unter dem Blutrichter Roland Freisler, der in Straßburg tagt. Die Urteile lauten jeweils: Todesstrafe wegen Hochverrat. René Birr, mit gerade 20 Jahren der jüngste der Verurteilten, erklärt: "Wir haben gegen Barbaren wie Sie gekämpft. Wir haben Waffen gesammelt, um Sie aus unserem Land zu jagen. Sie werden alle untergehen, auch wenn ich sterben muss. Unser Beispiel, verbunden mit dem heldenhaften Kampf der Roten Armee, wird Tausende neue Kämpfer hervorbringen. Unser Land wird frei werden … Wir werden sterben, und zwar für eine edle Sache, aber in einem Jahr, da werden Sie für Ihre Verbrechen bezahlen." Am Tag seiner Verurteilung zieht René Birr in einem Brief an seine Eltern die Bilanz seines Lebens als militanter Kommunist und schreibt, dass er es nicht bereut, sein Leben für seine Ideale zu geben: "Für euch hätte ich einen besseren Ausgang dieser Sache gewünscht, aber die Dinge sind so, wie sie sind. Man muss diesen Weg hinter sich bringen. Seid mutig, überwindet euren Schmerz. Ihr könnt euch mit Stolz und erhobenen Hauptes zeigen."
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