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Auf der Spur eines Verbrechens

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Über den Tatort war längst Gras gewachsen. 14 französische Widerstandskämpfer hat die Wehrmacht 1944 in einem Wald bei Karlsruhe erschossen und verscharrt. Die Geschichte einer Spurensuche in vier Teilen.

Angesichts des sich abzeichnenden Kriegsendes wollte das NS-Regime weder Juden noch Oppositionelle, keinen irgendwie Verdächtigen, keine Widerstandskämpfer und keine Zeugen am Leben lassen. Nicht zuletzt aus Furcht vor den sicher erwarteten, da von den Alliierten immer wieder angekündigten Prozessen gegen Kriegsverbrechen. Propagandistisch waren die nationalsozialistischen Verbrechen vom Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda in Berlin gegenüber der deutschen Bevölkerung als Druckmittel benutzt worden, auch die Genozide an Juden, Sinti und Roma, die als "offenes Geheimnis" galten. Auf dass alle, da mitgehangen, nach der Niederlage, die deshalb mit allen Mitteln verhindert werden müsse, auch mitgefangen sein würden.

Als sich im Frühjahr 1944 die militärische Niederlage immer deutlicher abzeichnete, die Städte im Reich zerbombt wurden, fruchtete die von den Nazis ins Spiel gebrachte Drohung mit der "Kollektivschuld" nicht mehr. Den Nazis und ihrer Wehrmacht ging es nun, wie jedem anderen Verbrecher, darum, Spuren, also Akten und Zeugen, zu beseitigen.

                                                                                      ∗

Gerhard Brändle dreht sich, Schwarzer Krauser, eine Fluppe. Er dreht sie dünn. Brändle ist 65, hager, Bartstoppeln, er war Realschullehrer, hat Deutsch, Geschichte und Politik studiert. Er hat versucht, seine Schüler auf die Zukunft vorzubereiten, indem er sie mit der Vergangenheit vertraut machte. Brigitte Brändle, 64, war 22 Jahre lang Lehrerin in einem Abendgymnasium. Beide haben ein Faible für Frankreich und beschäftigen sich seit Jahrzehnten mit dem Thema Nationalsozialismus. Faible und Nationalsozialismus harmonieren nicht, passen aber manchmal zusammen.

Brändle hat die Fluppe ausgemacht und sorgfältig ausgetreten. Wir stehen auf einem Wall im Hardtwald in Karlsruhe. Im Rücken haben wir den Verkehr auf der Theodor-Heuss-Allee. Grundrauschen. Zwei Kilometer im Südwesten liegt das Wildparkstadion. Der Wall ist Teil einer Schießanlage, die zunächst von der Wehrmacht, dann von der US-Army benutzt wurde. Soldaten müssen schießen lernen, egal welche Uniform sie tragen. Auf wen sie dann schießen, ist eine andere Frage. 

Im Zuge der Recherchen haben die Brändles mit Karlsruhern gesprochen, die sich noch daran erinnern konnten, wie sie hier als Kinder in den Fünfzigerjahren Patronen gesucht und gefunden haben. Die Patronen wurden aufgesägt, das Schießpulver herausgeschüttet, damit konnte man ein schönes Feuerwerk veranstalten.

Die Erwachsenen wussten noch, dass sie als Kinder wussten, dass hier die US Army Schießübungen veranstaltete. Dass die Anlage älter war, wussten sie auch, nur nicht, was dort geschah. "Das wussten auch die nicht, die die Nazivergangenheit nicht wegdrücken", sagt Brigitte Brändle.

Ein Jogger rumpelt vorbei. "À la forteresse", so steht es in französischen Unterlagen, sei in Karlsruhe der Ort einer Exekution von zwölf Franzosen und zwei Belgiern, Widerstandskämpfern, gewesen. Am 1. April 1944. Das lasen die Brändles und fragten sich dann, so Gerhard Brändle: "Welche Festung in Karlsruhe soll das sein?" Kein Zweifel: "Es gibt keine Befestigungsanlage in Karlsruhe", sagt Brigitte Brändle.

Die 14 Leichen wurden an der Friedhofsmauer verscharrt

Die Suche nach dem Ort, an dem 14 Widerstandskämpfer erschossen worden waren, begann. Erschossen von Soldaten der Division 465, stationiert in Ludwigsburg. Von dieser Division wurden auf dem Schießstand Ludwigsburg 90 Prozent der Erschießungen vorgenommen; wenn es in Süddeutschland zu Erschießungen nach Wehrmachtsurteilen kam, dann waren es meist die Ludwigsburger, die schossen. 

Von Marie-Madeleine Fourcade stammt der Satz mit "à la forteresse". Die Urheberin dieser Ortsbeschreibung zu finden war wesentlich einfacher als herauszufinden, wo in Karlsruhe "à la forteresse" ist. Doch Madame Fourcade persönlich zu befragen ist nicht mehr möglich, sie war am 20. Juli 1989 im Alter von 79 Jahren in Paris gestorben. 

Die 14 Leichen wurden von den Soldaten der Division 465 an der Friedhofsmauer des Karlsruher Hauptfriedhofs neben dem Eingang zum jüdisch-liberalen Friedhof in eine Grube geworfen und verscharrt. Als die französische Armee Karlsruhe befreite, wurden die 14 Leichen im Mai 1945 exhumiert und in Anwesenheit von Marie-Madeleine Fourcade, der Leiterin der französischen Widerstandsorganisation Réseau Alliance, identifiziert. Am 30. Juni 1945 wurden sie mit allen militärischen Ehren auf dem Militärfriedhof, der vom Karlsruher Hauptfriedhof separiert worden war, bestattet. Bis sie dann am 3. Juli 1947 erneut exhumiert und in ihren Heimatgemeinden beziehungsweise in Straßburg auf dem Militärfriedhof Cronenbourg beerdigt wurden.

Doch wo ist der Schießplatz Fürstenberger Schlag, von dem Marie-Madeleine Fourcade schreibt, er sei "à la forteresse"? Auf aktuellen Stadtplänen ist der Schießplatz nicht mehr eingezeichnet, natürlich gucken die Brändles dort zuerst nach. Im Unterschied zu den Plänen der Jahre 1952 und 1979. Da war er noch drauf: im Hardtwald. Also haben die beiden den Hardtwald erkundet. "Wir sind zwei Mal dusselig auf der anderen Seite der Theodor-Heuss-Allee im Wald rumgedappt", sagt Gerhard Brändle. Da ist nichts. "Nur ein Tennisplatz", sagt Brigitte Brändle, und das Wohngebiet Waldstadt. Nach 1945 für Flüchtlinge und Vertriebene entstanden. Die Brändles haben beim Herumtappen herumgefragt, auch eine Frau mit Hund. Die erzählte was von einer Mauer. Drüben, auf der anderen Seite der Theodor-Heuss-Straße: "Einen kleinen Weg hoch und dann links, nicht zu verfehlen."

 

Fortsetzung in der nächsten Ausgabe.


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