Die Gestapo-Beamten gehen mit Karl Hirth, den sie vormittags an seinem Arbeitsplatz im Hotel Württemberger Hof festgenommen hatten, die Treppen hoch. Zum Verhör. Auch Hirths Mutter Maria, eine Schwester von Georg Elser, war bei der Arbeit festgenommen worden. Doch das erfährt ihr Sohn erst Monate später.
Niemand erklärt ihm, was geschehen ist
Zwar sieht das Hotel Silber, in dem bis vor Kurzem noch Büros des baden-württembergischen Innenministeriums untergebracht waren, nicht mehr so aus wie damals, doch Franz Hirth kann sich noch gut an seinen Schicksalstag erinnern. "Der wachhabende Beamte, der in der Pförtnerloge saß, hat mir dann einen Stuhl angeboten. Und mit diesem Stuhl sollte ich mich in diese Ecke setzen." Erst am Abend bemerkt einer der Beamten, die Hirths Vater verhaftet hatten, dass er den Jungen vergessen hatte. Jetzt bringt man ihn mit der Straßenbahn in ein nahe gelegenes Waisen- und Kinderheim. Auch dort erklärt ihm niemand, was geschehen ist.
Gut eine Woche später, am Tag seines Geburtstags, hört Franz Hirth in einer Sondersendung aus dem Volksempfänger im Schwesternzimmer den Name des Hitler-Attentäters. "Ich war natürlich erschrocken. Das kann doch nicht wahr sein", sagt Hirth. Zunächst hofft er, dass er sich verhört hat. Doch die Meldung wird mehrfach wiederholt. "Ich habe mich unheimlich für diese Tat geschämt", erinnert sich der Elser-Neffe. Er ist mit den Nerven am Ende. Georg Elser ein Mörder, sein Onkel. Er war neben den Eltern seine wichtigste Bezugsperson, da er als Kind mehrere Jahre im Hause Elser in Königsbronn (Landkreis Heidenheim) gelebt hat. Seine Eltern haben in Stuttgart gearbeitet, aber noch keine eigene Wohnung gehabt.
"Ich war an diesen Tagen nicht mehr ansprechbar." Und mit niemanden kann der Junge über das traumatische Erlebnis sprechen. "So habe ich diese Nachricht allein verkraften müssen. Aber der Makel, ein Elser zu sein, ist mir noch Jahrzehnte nachgegangen", sagt Franz Hirth, der bis zu seinem Ruhestand als Vermessungsingenieur bei der Stadt Stuttgart gearbeitet hat.
Georg Elser wird einen Monat vor Kriegsende im KZ Dachau durch Genickschuss getötet, seine Leiche verbrannt, seine Asche verstreut. Nichts soll an den Mann erinnern. Ein Kalkül, das aufzugehen scheint. Auch Hirth spricht nach dem Krieg lange Zeit nicht über den Onkel, nicht einmal mit seinen Kindern. "Ich hatte immer das Gefühl, hier läuft der Neffe von Georg Elser", berichtet er. "Ich hatte Angst, den Namen Elser zu sagen. Das war für mich eine große Hypothek." Auch in der Familie und in Königsbronn, das in der Nazizeit und teilweise auch danach "Attentatshausen" genannt wird, ist das Thema tabu.
Für Franz Hirth bleibt Georg Elser ein Unthema
Vom Widerstand gegen die Nazis wollen die meisten Deutschen in dieser Zeit ohnehin nicht viel wissen. Und wenn, dann werden zunächst vor allem Adelige und Militärs genannt, die Männer, die im letzten Kriegsjahr Hitler umbringen wollten. Erst als die außerparlamentarische Opposition einen anderen Umgang mit der NS-Vergangenheit fordert und der Historiker Lothar Gruchmann 1970 das Vernehmungsprotokoll von Georg Elser veröffentlicht, weitet sich der Blick allmählich. Doch für Franz Hirth und Königsbronn bleibt Elser weiterhin ein Unthema.
7 Kommentare verfügbar
Willy Baireuther
am 28.03.2015Das ist bei Georg Elser ja wohl nicht der Fall. Er hat vielmehr versucht, einen Massenmörder zu beseitigen.