Beim Umgang der Firma Solvay mit gefährlichen Chemikalien fühlt man sich an ein berüchtigtes Ungeheuer aus der griechischen Mythologie erinnert: Kaum ist ein Haupt der vielköpfigen Hydra abgeschlagen, wachsen ihr zwei neue nach. So auch beim Chemiewerk des belgischen Fluorchemiekonzerns in Bad Wimpfen (Kreis Heilbronn): Gerade erst hatte Solvay mitgeteilt, hier ab Anfang des Jahres 2026 die Produktion der Ewigkeitschemikalie Trifluoracetat (TFA) einzustellen und somit die seit Jahren heftig kritisierte Einleitung der hochproblematischen Substanz in den Neckar zu beenden (Kontext berichtete), und schon sorgt der Standort für den nächsten Umweltskandal.
Begonnen hatte es mit Messergebnissen, die die Wissenschaftler:innen des Instituts für Atmosphäre und Umwelt der Goethe-Universität Frankfurt am Main jahrelang vor ein Rätsel stellten. Wie sollten sie sich Daten erklären, die ihre Messstation auf dem 825 Meter hohen Kleinen Feldberg im Taunus wieder und wieder lieferte: weitaus überhöhte Konzentrationen von Schwefelhexafluorid (SF6), des stärksten bekannten Treibhausgases, 24.000-mal schädlicher als CO2. Und das mitten in der Pampa, wo weit und breit keine Produktionsstätte des Klimakillergases zu finden ist. Ein Messfehler war rasch ausgeschlossen. Woher aber kamen diese exorbitanten Werte, die immer dann nach oben schossen, wenn der Wind aus südlicher Richtung blies? Die Forschenden rund um Professor Andreas Engel machten sich auf die Suche und arbeiteten sich nach Süden vor, um schließlich 120 Kilometer entfernt von der Messstation fündig zu werden: beim Fluorchemieproduzenten Solvay in Bad Wimpfen.
Spurensuche im Schwefelnebel
Es war fast wie im Jahr 2016 beim letzten Solvay-Umweltskandal, als die Trinkwasseruntersuchung eines Doktoranden eine extrem überhöhte TFA-Konzentration aufzeigte und eine detektivische Spurensuche nach der Nadel im Heuhaufen begann (Kontext berichtete). Dem Team der Frankfurter Uni war dieses Mal aber rasch klar, dass die unglaublichen Mengen an Schwefelhexafluorid in der Atmosphäre nur von hier stammen konnten. Denn die Chemiefabrik von Solvay im Heilbronner Unterland ist der einzige Produzent von SF6 in ganz Europa. Sicherheitshalber erörterte man dennoch sämtliche Alternativen: War es eventuell das Verbrennen von Turnschuhen, deren Sohlen früher mit SF6-Gas aufgeschäumt worden waren? Das konnte ausgeschlossen werden, diese Produktionsweise ist schon lange verboten. Oder handelte es sich um das Recycling von Schallschutzfenstern, die ebenfalls SF6 enthielten? Extrem unwahrscheinlich, denn damit lässt sich die gewaltige Konzentration des Gases nicht erklären. Und so blieb als einzig möglicher Emittent am Ende Solvay in Bad Wimpfen übrig. Auf 30 Tonnen schätzen die Frankfurter Forscherinnen und Forscher die Emissionen von hier, etwa ein Drittel der gesamten deutschen SF6-Emissionen.




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