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Vonovia-Sozialwohnungen in Stuttgart

Zu wenig Rendite

Vonovia-Sozialwohnungen in Stuttgart: Zu wenig Rendite
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Europas größte Wohnungsgesellschaft Vonovia will wieder Gewinn machen. Dafür lässt sie in Stuttgart Sozialwohnungen aus der Bindung fallen und setzt auf deutlich erhöhte Mieten, wie Dokumente aus dem Rathaus zeigen. Die bisherigen Mieter:innen müssen sehen, wo sie bleiben.

Freitagabend im Gläsernen Büro Rosenstein beim Stuttgarter Nordbahnhof: Tische werden zum Quadrat zusammengeschoben, Köpfe zusammengesteckt und Dokumente akribisch begutachtet. Die Vonovia-Mieterinitiative hat zur Versammlung geladen. Es geht um Mieterhöhung, CO2-Steuer, Nebenkosten. Eine WG-Mieterin fragt, ob Vonovia wirklich zehn Prozent mehr Miete als "Untermietzuschlag" verlangen darf. Doch vor allem will die Mietinitiative über die Balkone beraten: Dutzende ließ Vonovia vergangenes Jahr im Nordbahnhofviertel abreißen, andere werden inzwischen mit hölzernen Pfeilern gestützt.

Im Frühjahr 2024 sei bei ihm der Balkon abgerissen worden, erzählt der 55-jährige Nuno Rodrigues. 1997 ist er im Nordbahnhofviertel eingezogen, damals gehörte die Wohnung noch der Eisenbahn-Siedlungsgesellschaft. In dieser kleinen Runde, ein Dutzend ist gekommen, sind zwei Betroffene mit abgerissenem Balkon. Erst zwei Wochen vor dem Abriss habe Vonovia ihn mit einem Schreiben informiert, erzählt er. Jetzt ist die Balkontür fest verschlossen, nicht mal mehr kippen könne er sie, das mache das Durchlüften der Wohnung schwer. Und noch etwas bereitet ihm Sorgen: Der Wohnungskonzern mit Sitz in Bochum habe angekündigt, dass die Kontrolle von Brandschutztüren bei der nächsten Nebenkostenabrechnung aufgeführt werden könnte. "Es gibt aber gar keine Brandschutztüren", wundert sich der Berufsschullehrer. Darüber habe er zwar Vonovia informiert, dennoch wird er bei der nächsten Nebenkostenabrechnung ganz genau darauf achten.

Das Immobilienunternehmen ist deutschlandweit berüchtigt wegen seines schlechten Umgangs mit Mieter:innen – und dafür, die ortsübliche Vergleichsmiete mit falschen Abrechnungen und absurden Begründungen zu überschreiten. Jüngst berichteten taz und "Zeit", dass der Konzern in Berlin vereinzelt die Miete erhöhen wollte wegen guter ÖPNV-Anbindung und Einkaufsmöglichkeiten – Kriterien, die im gesetzlichen Mietspiegel überhaupt nicht verankert sind. Darüber hinaus hält es der Konzern nicht mehr für nötig, sich an die Abmachung mit der Hauptstadt zu halten, die Mieten innerhalb von drei Jahren nur um elf statt um die gesetzlich zulässigen 15 Prozent zu erhöhen. Und in der baden-württembergischen Landeshauptstadt Stuttgart kassiert Vonovia auch gerne mal mehr für den Hausmeisterdienst, als dieser eigentlich kostet. Oder berechnet Rollläden, die gar nicht existieren.

Rote Zahlen wegen Russland

Für den größten Vermieter Europas waren die vergangenen Jahre finanziell schwierig. 62 Milliarden Euro Schulden weist der jüngste Quartalsbericht aus. Sie sind das Ergebnis der Vonovia-Strategie namens Erweiterung auf Pump. Dazu zählt auch 2021 der Kauf von fast 90 Prozent der Anteile an der Deutsche Wohnen, dem zweitgrößten Wohnungskonzern im Lande, für rund 17 Milliarden Euro. Damit besaß Vonovia mehr als 565.000 Wohnungen in Europa. In dieser Zeit schrieb der Konzern auch durchweg schwarze Zahlen – zwischen 409 Millionen Euro Gewinn im Jahr 2014 bis über 3,3 Milliarden Euro im Jahr 2020. Nach dem Kauf der meisten Deutsche-Wohnen-Immobilien sank der Gewinn zwar etwas, lag aber mit zwei Milliarden Euro im Plus.

Das sollte sich schlagartig ändern. Der Beginn des russischen Angriffskriegs im Februar 2022 und die deshalb in die Höhe schnellenden Energiepreise trieben die Inflation an. Um sie einzudämmen, hob die Europäische Zentralbank erstmals seit Langem den Leitzins an. Das ist zwar gut für Sparfüchse mit Festgeldkonto, aber schlecht für die Immobilienbranche: Denn auch die Zinsen auf Kredite stiegen, der Immobilienmarkt wurde unattraktiv, der Wert von Immobilien sank. So wurde Vonovias Portfolio im Zuge der Zinswende mehrmals in den vergangenen Jahren abgewertet und die Zahlen rutschten vom Schwarzen ins Rote: Fast 770 Millionen Euro Miese verzeichnete Vonovia im Jahr 2022, mehr als 6,7 Milliarden im Jahr darauf. Auch vergangenes Jahr lag der Verlust für den Konzern bei fast einer Milliarde Euro.

Vonovia braucht Cash für die Aktionäre

Um Liquidität zu schaffen und den Schuldenberg abzubauen, kündigte die Aktiengesellschaft 2022 an, Zehntausende Wohnungen zu verkaufen. 2023 gingen für rund eine Milliarde Euro 30 Prozent ihres Südewo-Portfolios, das über 21.000 Wohnungen in Baden-Württemberg umfasst, in einem Joint-Venture an das US-Investmentunternehmen Apollo.

Inzwischen glaubt die Vonovia-Geschäftsführung, die Talsohle durchschritten zu haben. "Vonovia tritt aufs Gaspedal und wird wieder wachsen", verspricht Konzernchef Rolf Buch im Geschäftsbericht zum vergangenen Jahr, der im März veröffentlicht wurde. Aber zur Wahrheit gehöre auch: "Dieser Weg war durchaus schmerzhaft." Sein "ausdrücklicher Dank" gelte den Mitarbeiter:innen, die diesen Weg mit dem Unternehmen gegangen sind.

Ob es auch die Mieter:innen dem Unternehmen danken werden, wenn dieses nun auf das "Gaspedal" drücken will? Das darf bezweifelt werden. Denn die Aktiengesellschaft rechnet in Stuttgart mit steigenden Mieteinnahmen. Und das ausgerechnet bei den Wohnungen, die derzeit von den finanziell Schwächsten bewohnt sind. Nachdem zum Jahreswechsel im Bohnenviertel schon 70 Sozialwohnungen wegfielen und nun dem freien Markt zur Verfügung stehen (Kontext berichtete), werden Ende 2025 alle übrigen im Stadtgebiet folgen – insgesamt 777 Wohnungen. Ein Szenario, das lange befürchtet wurde, ist nun besiegelt: Vonovia hat alle Angebote der Stadt, um die Sozialwohnungen zu erhalten, abgeschmettert. Das zeigen Dokumente aus dem Rathaus der Landeshauptstadt, die Kontext vorliegen.

Die Angebote der Stadt sind dem Konzern zu niedrig

Seit 2021 reden die Stadt Stuttgart und der Vonovia-Konzern über die auslaufenden Sozialbindungen. Im Mai 2024 übermittelte die Stadt dann ein erstes Angebot, bot Geld aus der öffentlichen Hand an, um die Sozialwohnungen bis 2050 zu erhalten. Die Mieten der Wohnungen sollten ein Drittel unter der ortsüblichen Vergleichsmiete bleiben. "Es scheint, dass unsere Vorstellungen hinsichtlich der machbaren und nachhaltigen Umsetzung dieser Fördermaßnahmen zu weit auseinanderliegen, um auf eine gemeinsame Linie zu kommen", anwortete Vonovia der Stadt.

Was macht eine Wohnung zur Sozialwohnung?

Fürs Umwandeln von Miet- in Sozialwohnungen beantragen die Eigentümer:innen eine staatliche Förderung. Sozialwohnungen sind dann an bestimmte Kriterien geknüpft, darunter die sogenannten Sozialbindungen: Die Mietpreisbindung beschränkt den Mietpreis einer Wohnung und die Belegungsbindung bestimmt, dass in einer Sozialwohnung nur wohnen darf, wer einen Wohnberechtigungsschein besitzt. Nur wer ein bestimmtes Einkommen unterschreitet, kann diesen beantragen.

Wohnungen können allerdings nur für eine vorher festgelegte Frist in Sozialwohnungen umgewandelt werden. Wenn diese Frist ausläuft, stehen die Wohnungen wieder dem freien Markt zur Verfügung. Die Miete darf dann laut Gesetz bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete erhöht werden, in Stuttgart aber höchstens um 15 Prozent alle drei Jahre. Wenn Staat und Eigentümer:in sich einigen, kann die Frist für die Sozialbindung auch verlängert werden.  (ks)

Im Januar 2025 dann der zweite Vorschlag der Stadt: Bis 2035 sollte die Miete der ortsüblichen Vergleichsmiete entsprechen, einziehen dürften nur Menschen mit Wohnberechtigungsschein. Außerdem bot die Stadt dem Vonovia-Vorstand ein Gespräch mit Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) an. Doch auch auf dieses Angebot folgte im Februar eine Absage: "Leider müssen wir feststellen, dass eine Verlängerung der Bindungen unter den aktuellen Bedingungen weiterhin nicht wirtschaftlich darstellbar ist."

Laut dem Dokument der Stadt hat Vonovia Investoren an Bord, die sehr hohe Renditeerwartungen haben. Sehr viel Fördergeld aus öffentlicher Hand wäre deshalb nötig, um die vom Wohnkonzern errechneten Mindereinnahmen auszugleichen und damit die Sozialbindungen aufrechtzuerhalten. "Die Stadt sieht die Grenzen erreicht, wo Verhältnismäßigkeit nicht mehr gewährleistet ist", heißt es vonseiten der Stadt. Vonovia könne und wolle man nicht anders behandeln als andere Wohnungsunternehmen.

Wie groß die Differenz zwischen den Angeboten der Stadt und Vonovias Berechnungen sind, wollte ein Sprecher des Konzerns nicht sagen. Beide Seiten hätten Stillschweigen vereinbart. Nur so viel: "Wir haben auch Angebote gemacht." Jetzt seien die Gespräche aber ohne Einigung beendet worden, bestätigt der Sprecher. Und die Stadt erklärt auf Kontext-Anfrage, es sei zu bedauern, "dass die Vonovia trotz hoher Förderung durch Land oder Stadt nicht zu einer Verlängerung der Sozialbindungen bereit war. In anderen vergleichbaren Konstellationen ist es der Stadt Stuttgart sehr wohl gelungen, auslaufende Bindungen einvernehmlich zu verlängern." Die Stadt verweist auf das bis Ende 2028 weiterlaufende städtische Belegungsrecht und die Mietpreise, die derzeit zwischen sechs bis zehn Euro pro Quadratmeter liegen. Man schätze deshalb, dass viele Mieten noch lange Zeit unterhalb der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen werden.

800 ihrer rund 14.500 Sozialwohnungen verliert die Landeshauptstadt somit zum Jahresende. Ein bundesweiter Trend: Kommunen ringen überall um den Erhalt von Sozialwohnungen. 1990 gab es noch fast drei Millionen in ganz Deutschland, vergangenes Jahr etwas mehr als eine Million.

Vergesellschaften könnte etwas ändern

Überall ist es dasselbe Problem: befristete Mietbindungen und hohe Fördersummen für privatwirtschaftliche Unternehmen, die auf dem freien Markt mit mehr Rendite rechnen und sich die Differenz von den Kommunen bezahlen lassen. Wie könnte eine langfristige Lösung aussehen? Oft wird die Losung "bauen, bauen, bauen" heraufbeschworen, wodurch angeblich bezahlbarer Wohnraum geschaffen werden soll – ein Effekt, der bisher empirisch nicht belegt ist. Was allerdings nachgewiesen werden kann: Private Wohnungseigentümer verlangen durchschnittlich einen Euro pro Quadratmeter mehr als genossenschaftliche, staatliche oder gemeinnützige – so das Ergebnis einer Auswertung des Zensus 2022 durch die Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Die kommunale Wohngesellschaft der sächsischen Landeshauptstadt Dresden hat insofern gut daran getan, Ende 2023 der Vonovia über 1.200 Wohnungen abzukaufen. Auch Stuttgarts OB Frank Nopper (CDU) hat bereits 2022 Interesse an Wohnungen des Konzerns bekundet – ohne Erfolg. Der von der Vonovia geforderte Kaufpreis für die Wohnungen sei so hoch gewesen, dass die Stuttgarter Wohnungs- und Städtebaugesellschaft (SWSG) selbst viel zu hohe Mieten hätte verlangen müssen, sagt dazu die Stadträtin Johanna Tiarks (Die Linke). Welche Möglichkeiten bleiben der Stadt also, um bezahlbaren Wohnraum zu gewährleisten? "Vergesellschaftung", sagt sie. Denn auch für sie steht fest, dass der Bochumer Immobilienriese, den sie "gierig" nennt, nicht besser behandelt werden dürfe als andere Wohnungsunternehmen. Die würden die üblichen Fördersummen für Sozialwohnungen schließlich akzeptieren.

Dass es tatsächlich zur Enteignung von Vonovia in Stuttgart kommt, ist allerdings höchst unwahrscheinlich. Selbst in Berlin hat es der Senat seit nunmehr fast vier Jahren nicht geschafft, die Entscheidung eines entsprechenden Volksentscheids umzusetzen. Die Sozialwohnungen in Stuttgart sind also mit Jahresende weg. Die Suche nach einer bezahlbaren Wohnung in Stuttgart dürfte das noch weiter erschweren.

Dass Vonovia-Mieter:innen aber nicht jede Mieterhöhung oder gar abgerissene Balkone stillschweigend hinnehmen müssen, zeigt das Treffen der Vonovia-Mieterinitiative im Nordbahnhofviertel. Nuno Rodrigues erzählt, er habe ein paar Monate nach dem Abriss seines Balkons die Kaltmiete um 20 Prozent gemindert und Vonovia darüber informiert. Daraufhin kam zwar ein Schreiben von Vonovia, die zunächst weiter auf die volle Miethöhe bestand. Er verwies erneut auf den abgerissenen Balkon, bezahlte weiter weniger Miete – und hat seitdem nichts mehr vom Konzern gehört. "Es gehört auch ein bisschen Mut dazu", sagt er, schließlich wisse man nie, ob Vonovia eine Klage einlegt. Mit der Mieterinitiative will er nun Unterschriften im Nordbahnhofviertel sammeln, um andere Betroffene aufzuklären, und vor allem, um für alle eine Mietminderung durchzusetzen.

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5 Kommentare verfügbar

  • Werner
    vor 1 Tag
    Antworten
    Nun ja, was gibt es denn da zu meckern? Ich möchte nicht wissen wie viele dieser Mieter bei den Wahlen, ihr Kreuz bei einer dieser wirtschaftsliberalen Parteien gemacht haben, egal ob FDP/Grüne/SPD/CDU/CSU/AfD, politische Einheits-Pampe. Der Markt regelts liebe Leute, er regelt es, dass die…
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