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Tarifrunde Hotels und Gaststätten

Lollis für Azubis

Tarifrunde Hotels und Gaststätten: Lollis für Azubis
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Der Kampf der IG Metall für mehr Geld ist in den Medien sehr präsent. Wenig öffentlichkeitswirksam sind die Tarifverhandlungen für die Hotel- und Gaststättenbranche in Baden-Württemberg. Die Gewerkschaft NGG fordert 15 Prozent, der Arbeitgeberverband Dehoga bietet nahezu nichts.

Kulis, Lollis und Flugblätter liegen auf dem Tisch vor Maren Schildenberger, dahinter steht ein Ausziehbanner: "Wir für dich. Du mit uns." Die 23-Jährige ist gelernte Brauerin und Gewerkschaftssekretärin der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG). "NGG – schon mal gehört?" "Nö." Am Infostand im Eingangsbereich der Landesberufsschule für Hotel- und Gaststättengewerbe in Villingen-Schwenningen geht sie offensiv auf die Azubis zu. Ihr Ziel: Die Gewerkschaft unter dem Nachwuchs bekannt machen. Das ist, wie diese Szene belegt, dringend nötig.

Zwei angehende Köche bleiben stehen. "Worum geht’s hier?", fragt Nico, der 17-Jährige ist im zweiten Ausbildungsjahr. Schildenberger erläutert: "Wir sind eure Gewerkschaft und gerade in der Tarifrunde. Da fordern wir 200 Euro mehr für Azubis." "Cool!" Der Einstieg ist geschafft, allerdings noch einiges zu klären. Zum Beispiel, ob die beiden zur Systemgastronomie oder zum Hotel- und Gaststättengewerbe gehören – da gelten nämlich unterschiedliche Tarifverträge. Die zwei vermuten sich in der Systemgastronomie, aber nein, das sind MacDonalds, Nordsee und ähnliche Fastfoodketten. Nico und sein 18-jähriger Kollege Jacob aber lernen in Hotels, gehören also zu "Hotel- und Gaststättengewerbe", abgekürzt Hoga. Der dort geltende Tarifvertrag weist etwas niedrigere Ausbildungsvergütungen aus: Ein Hoga-Koch im zweiten Ausbildungsjahr bekommt 1.050 Euro, während es in der Systemgastronomie 1.096 Euro sind. Die zwei jungen Männer sind verblüfft. "Was? Die verdienen mehr?"

Das mag mit der Durchsetzungskraft einer Gewerkschaft zu tun haben, schließlich ist es um einiges schwieriger, Beschäftigte in zig Restaurants und Hotels und Kneipen zu organisieren, wo mal fünf, mal 20, mal 50 Leute arbeiten, als in großen Betrieben mit ein paar hundert Angestellten. Die NGG versucht auch in der kleinteiligen Hoga-Branche nahe an potentielle Mitglieder heranzukommen, da ist Nachwuchsarbeit wichtig und so steht Maren Schildenberger in der Berufsschule. Die aktuelle Tarifrunde ist ein passender Zeitpunkt, um zu erläutern, was die Gewerkschaft eigentlich tut. Es geht nicht um Streikaufrufe und Ähnliches, sondern um Bekanntheit und Verstehen, dass die Höhe des Lohns nicht vom Himmel fällt, sondern in Tarifrunden ausgehandelt wird.

In Hessen und Bayern verdient man mehr

In der aktuellen Tarifrunde haben sich die Landesverbände der NGG und des Arbeitgeberverbands Dehoga (Deutscher Hotel- und Gaststättenverband) bislang einmal getroffen, für diesen Mittwoch ist die zweite Verhandlungsrunde angesetzt. Die Gewerkschaft fordert 15 Prozent mehr Lohn und Wochenendzuschläge – die gibt es bisher nämlich nicht. Ausgerechnet in einer Branche, in der die Menschen arbeiten, wenn andere ihren freien Sonntag genießen, beispielsweise mit einem Restaurantbesuch. In diesem Sommer wurde in Hessen der erste Tarifvertrag mit Wochenendzuschlägen vereinbart, der ist nun Vorbild für die hiesige NGG. Auch der Lohnabschluss war nicht von schlechten Eltern: Dort steigt nach der dreijährigen Ausbildung Frau oder Mann nunmehr mit 2.813 Euro ein, ab dem 1. März 2025 mit 3.000 Euro. In Bayern, wo ebenfalls schon abgeschlossen wurde, verdienen frisch Ausgelernte 2.750 Euro, ab 1. August nächsten Jahres 3.014. In Baden-Württemberg liegt dieser Lohn für Fachkräfte aktuell bei 2.417 Euro.

Mit Blick auf die Nachbarländer will die NGG im Südwesten mehr. Der für die Gastro zuständige Alexander Münchow sagt: "2023 war ein Rekordjahr im Tourismus, da haben Gastronomie und Hotels gut verdient. Ich kann der Arbeitgeberseite nur raten, jetzt ein deutlich besseres Angebot zu machen." In der ersten Verhandlung habe die gerade mal 3,3 Prozent für Ungelernte angeboten und null Prozent für Fachkräfte. Ohne Gehaltserhöhung trotz Inflation dürfe die Branche sich wohl auf einen stärkeren Fachkräftemangel einstellen, sagt Münchow. "Aktuell gibt es laut Dehoga 5.000 offene Stellen in Baden-Württemberg." Der Arbeitgeberverband hat die Gewerkschaftsforderung als "nicht passend zur schwierigen wirtschaftlichen Lage der Branche" zurückgewiesen. In den ersten Monaten diesen Jahres sei der Umsatz um 1,8 Prozent zurückgegangen, zudem leide die Gastronomie darunter, dass die Mehrwertsteuer seit dem 1. Januar wieder 19 Prozent betrage. Wegen der Corona-Pandemie war sie vorübergehend auf 7 Prozent gesenkt worden, um den Betrieben zu helfen.

Azubis können sich die Stellen aussuchen

Während und nach Corona waren nicht nur die Umsätze, sondern auch die Ausbildungszahlen in der Gastro eingebrochen. Das Image der Branche sackte in den Keller, auch weil sich in der Krise herausstellte, wie viele Unternehmen Aushilfskräfte schwarz beschäftigten oder Mini-Jobber:innen einfach rauswarfen – die meisten kamen nach Corona nicht zurück, sondern blieben lieber in Branchen mit fixen Arbeitszeiten und höheren Stundenlöhnen. Doch mittlerweile wollen wieder mehr Menschen in der Gastro arbeiten, die Ausbildungszahlen steigen, sagt der Leiter der Berufsschule in Villingen-Schwenningen, Robert Fechteler. In der Coronazeit sei die Zahl auf 1.300 abgesackt, aktuell habe er etwa 1.700 Schüler:innen, fürs nächste Jahr seien mehr als 1.800 angemeldet. Das Interesse wachse also zum Glück wieder, zudem werde die Branche zunehmend international: "Von unseren Schülern haben mehr als 40 Prozent einen ausländischen Pass." Auch wandelten sich die einst gängigen ruppigen Umgangsformen, für die gerade Küchen berüchtigt gewesen seien. "Das ist viel besser geworden", meint Fechteler. Die Unternehmen hätten gemerkt, dass sie ihren Leuten etwas bieten müssten, um sie zu halten. Der Schulleiter findet das super und ist überzeugt, dass sich das auch nicht mehr ändern wird.

Das mit dem besseren Umgang können die beiden angehenden Köche nur zum Teil bestätigen. Einer seiner Chefs habe ihn übel gemobbt und runtergemacht, erzählt Jacob. Er habe richtig Angst gehabt, zur Arbeit zu gehen. Doch dann habe er mit anderen geredet und schließlich den Mut gehabt, zurückzublaffen. "Seitdem ist es besser." Er grinst. "Die Küche funktioniert nur als Team", ist sein Schulkamerad Nico überzeugt. Das müsste sich eigentlich auch bei der Verteilung des Trinkgeldes niederschlagen, findet er. Während im Betrieb, wo Jacob arbeitet, das komplette Trinkgeld in einen Eimer kommt und gleichmäßig unter allen aufgeteilt wird, bekämen bei ihm die Spülkräfte deutlich weniger. "Das finde ich ungerecht."

Die beiden erzählen zudem, dass ihre Arbeitszeiten sehr unterschiedlich seien. Tariflich gilt die 39-Stunden-Woche, doch manchmal arbeiteten sie 40 bis 48 Stunden – oder auch weniger. "Im ersten Lehrjahr waren oft zu wenig Gäste da, da hatte ich manchmal nur eine Vier-Tage-Woche, habe Minusstunden aufgebaut", sagt Jacob.

Derartige Schilderungen kennt die Gewerkschaftssekretärin: "Minusstunden gibt es in der Ausbildung eigentlich nicht. Die Azubis haben keine Arbeitszeit, sie haben Ausbildungszeit und in der müssen die Ausbilder:innen den jungen Menschen etwas beibringen, da dürfen sie sie nicht einfach nach Hause schicken." Aber in der Branche gebe es eben alles, gerade weil sie so unterschiedlich sei – von Kneipe über Restaurant bis zu großen Hotelbetrieben. Oft habe man den Eindruck, Chefs glaubten, sie dürften machen, was sie wollen. Das hänge wahrscheinlich auch mit mangelnder Kompetenz zusammen. "Eine Kneipe kann halt jeder aufmachen."

Eine junge Frau kommt an den Stand der gelernten Brauerin, liest die Liste mit den Azubi-Vergütungen. Sie ist im dritten Ausbildungsjahr zur Fachkraft für Restaurant- und Veranstaltungsgastronomie und wundert sich: 1.150 Euro müsse sie bekommen? Sie bekomme nur 766. Nach einigem Hin und Her stellt sich heraus, dass sie netto rechnet, an der Tafel aber brutto steht. Ihren Bruttolohn weiß sie aus dem Stehgreif nicht. Schildenberger bietet an, sie könne sich ja nochmal melden, dann schaue man gemeinsam auf die Lohnabrechnung. "Und Urlaubs- und Weihnachtgeld stehen dir auch zu", sagt sie mahnend, die Azubine nickt und bedankt sich. Neben ihr steht ein junger Kollege, die Gewerkschafterin wendet sich ihm zu: "Hast Du noch Fragen?" Er schüttelt den Kopf. "Ich hab' zugehört, hat sich erledigt." Dann lächelt er und ergänzt: "Gut, dass es euch gibt."

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