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Galeria Karstadt Kaufhof

Versagt der Markt, müssen die Städte ran

Galeria Karstadt Kaufhof: Versagt der Markt, müssen die Städte ran
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Was tun mit den bald leergeräumten Galeria-Karstadt-Kaufhof-Gebäuden? Bundesweit müssen sich um die 20 Städte damit beschäftigen. Die meisten warten auf den Prinzen namens Investor, manche kaufen die Gebäude selbst und überlegen, was da drin passieren könnte. Ziemlich konkret sind die Pläne in Esslingen.

Wenn das Kaufhaus weg ist, fehlt in der Innenstadt ein Laden, in dem nahezu alles zu kaufen ist. Das zieht Menschen in die Stadt, die dann auch woanders einkaufen. So jedenfalls die gängige Lesart. Seitdem Galeria-Karstadt-Kaufhof eine Pleite nach der anderen anmelden musste – kürzlich die dritte Insolvenz –, stehen immer mehr Kommunen mit einem in der Regel hässlichen, großen und nunmehr leeren Klotz in ihren Innenstädten da. Viele tausend Quadratmeter brauchen eine neue Nutzung, doch neue Kaufhausbetreiber sind derzeit rar. Und noch einen Benko will wohl niemand.

Die Debatten in den Kommunen laufen also. Am liebsten sind Investoren gesehen – ungeachtet der Erfahrung, dass diese in der Regel vor allem ein Interesse haben: Geld verdienen. Das Leben der Stadtbewohner:innen interessiert sie nur am Rande.

Kommunen, die darauf keine Lust mehr haben, kaufen selbst. Das planen derzeit unter anderem Hanau, Cottbus und Neuss. Auch Stuttgart hat den Kaufhof in der Eberhardtstraße erworben, in diesem Jahr soll das endgültige Nutzungskonzept erstellt werden, ein Haus der Kulturen gilt dabei bereits als gesetzt.

In Baden-Württemberg müssen ab diesem Jahr fünf Städte mit einem leeren Kaufhaus klarkommen. In Heidelberg hat der Kaufhof schon vorige Woche die Türen geschlossen. Nun wartet nach SWR-Informationen ein Heidelberger Interessent auf das Insolvenzverfahren, um das ehemalige Horten-Haus am Bismarckplatz zu kaufen. Pforzheim erklärt auf Anfrage, dass die Stadt mit dem Eigentümer – ein internationaler Immobilienfonds – sowie mit verschiedenen Kaufinteressenten seit vergangenem Frühjahr in engem Austausch stehe und meint, dass sich dabei "Lösungen abzeichnen", die im Sinne der Stadt sind.

Auch Reutlingen, dessen nunmehr geschlossenes Kaufhaus direkt gegenüber vom Bahnhof steht, erklärt, es hoffe auf einen Investor – würde allerdings auch selbst kaufen, wenn es nicht anders geht. Jedenfalls hat der Gemeinderat beschlossen, dass ein Käufer sich zu Handel, Büro, Gastronomie plus Begrünung verpflichten muss. Für den Fall, dass sich keiner findet, hat sich die Stadt das Vorkaufsrecht gesichert.

Ein Investor, der nicht investiert

In Esslingen schließt an diesem Mittwoch der Karstadt seine Pforten. Die Regale sind nahezu leer gekauft, Schaufensterpuppen gab es zum Schluss für 75 Euro. Die 95.000-Einwohner-Stadt am Neckar ist doppelt gebeutelt, da Ende Januar auch noch das Modehaus Kögel schließt, ein alteingesessenes großes Bekleidungsgeschäft. Mit dem Wegfall beider Häuser erhöht sich der Leerstand in der Innenstadt auf einen Schlag von 10 auf 30 Prozent, erklärte Esslingens Oberbürgermeister Matthias Klopfer (SPD) jüngst auf dem städtischen Neujahrsempfang und suggerierte Zeitdruck.

Der OB hatte bereits im Sommer per Pressemitteilung Ideen für die beiden Gebäude öffentlich gemacht: In den Kögel könnte die Stadtbücherei einziehen, in den Karstadt die Volkshochschule (VHS) plus Einzelhandel. Selbst kaufen will die Stadt das Karstadt-Areal nicht. Immerhin stand damit etwas Konkretes im Raum, das diskutiert werden konnte. Debattiert wurde allerdings vor allem über die Bücherei, deren Entwicklung und Standort schon seit Jahren für Streit sorgt. Bezüglich des VHS-Karstadt-Plans blieb es merkwürdig ruhig.

Der Esslinger Karstadt gehört einem US-amerikanischen Finanzinvestor, der für das Objekt die BPI Esslingen S.à r.l. gegründet hat – mit Sitz in Luxemburg und einer Adresse, an der noch 13 weitere Firmen eingetragen sind. BPI gehört nicht nur das Gebäude, sondern auch der angrenzende Karstadt-Parkplatz, der bebaut werden soll. Im vergangenen Jahr schaffte es der Investor, die Baugenehmigung zu bekommen. Demnach sind dort laut Stadtplanungsamt neben Handelsflächen auch 160 Wohnungen geplant, von denen ein Drittel Sozialwohnungen sein sollten, die in Esslingen dringend benötigt werden.

Gebaut werden sollte das alles in der allseits bekannten reizlosen Beton-Glas-Optik. So hatte es der 40-köpfige Gemeinderat einst abgenickt. Seit zwölf Jahren gehört BPI das Karstadt Areal und passiert ist nichts. In der Zwischenzeit sind die Baupreise gestiegen, der Einzelhandel floriert nicht gerade, was es schwierig macht, potenzielle Mieter zu finden. Und ab Februar kommt nicht mal mehr die Miete von Karstadt. Die Vermutung, dass der US-Investor kein Interesse mehr an dem Areal hat, liegt nahe. Die Wolff-Gruppe aus Stuttgart, die sich mit Immobilien und Baumanagement befasst, war vor geraumer Zeit bei BPI eingestiegen. Auf Kontext-Anfrage, wie es mit dem Areal weitergeht, antwortet allerdings nicht die Wolff-Gruppe, sondern ein Stefano Giardina der Alteris Capital Partners aus Großbritannien, Partner von BPI. Der wenig aussagekräftige Inhalt der Antwort: Man arbeite dran, wann es mal losgeht, könne man nicht sagen. Kein Wunder, dass die Stadt sich einen anderen Investor mit klareren Strukturen und eindeutigen Ansprechpartner:innen wünscht.

Volkshochschule als Mittel zum Zweck

Sollte sich ein Käufer finden, der die VHS in dem Gebäude haben will, müsste das der Gemeinderat beschließen. Das hat er schon einmal getan: 2012 zog die Bildungseinrichtung an den Stadtrand ins einstige Hengstenberg-Areal. Das wurde nach dem Rückzug der berühmten Sauerkrautfirma aufwendig saniert und bebaut, und zwar von der Esslinger Wohnungsbau (EWB), einer GmbH, bei der die Stadt der größte Anteilseigner ist. Auch da entsprach der Gemeinderat dem Wunsch des damaligen Oberbürgermeisters Jürgen Zieger (SPD).

Entwickelt hat sich die VHS dort gut – trotz aller Unkenrufe wegen des nicht ganz so zentralen Standortes. Wobei 1,2 Kilometer Entfernung vom Bahnhof Esslingen nicht wirklich weit ist – Esslingen ist nicht groß. Mehr als 10.000 Kursteilnehmer:innen pro Jahr vermeldet der städtische Eigenbetrieb, Tendenz steigend. Bei einem Umzug in die City wäre also eine Menge los, was Esslingen gut täte, bislang werden die Bürgersteige dort gegen 20 Uhr hochgeklappt.

Da eine VHS nicht wirtschaftlich arbeiten kann, schoss die Stadt im vorigen Jahr insgesamt 824.000 Euro dazu. Allein die Miete für 3.500 Quadratmeter beträgt laut Haushaltsplan für dieses Jahr 257.500 Euro, also etwas mehr als sechs Euro pro Quadratmeter. Das ist mehr als günstig und wohl einem Deal zwischen Stadt und EWB zu verdanken.

Im Karstadt dürfte es teurer werden. Laut dem Mietspiegel für Gewerbeimmobilien der Kreissparkasse Esslingen-Nürtingen von 2022 bewegt sich die Miete für Büroflächen in 1A-Lagen – und das ist Karstadt in der Innenstadt zweifellos – zwischen 10 und 15 Euro pro Quadratmeter, für Einzelhandel zwischen 20 und 45 Euro. Für die VHS sind dem Vernehmen nach mehr als 4.000 Quadratmeter in den oberen Etagen gedacht. Die Miete stiege also deutlich – selbst wenn nur die ermittelten Büro- und nicht die Handelsmieten angesetzt werden.

Die, die zahlen, werden wohl nicht gefragt

Und das wäre eine dauerhafte Ausgabe für die Stadtkasse, also für die Bürger:innen. Wie das alles finanziert wird, ist noch unklar. Wichtig wäre es für den Gemeinderat, zu wissen, wie hoch die Miete wird und was das Gebäude kosten würde. Dann könnte überlegt und ausgerechnet werden, ob es nicht schlauer wäre, wenn die Stadt selbst kauft – auch um autonomer entscheiden zu können, was in der Innenstadt passieren soll.

Inwieweit der Gemeinderat sich bereits konkret mit der VHS im Karstadt beschäftigt hat, ist unklar. Im Amtsblatt schreibt der Linken-Stadtrat Tobias Hardt etwas kryptisch, mit den OB-Plänen für Karstadt und Kögel drohten "horrent (sic) hohe Mieten" und ein "Beschluss in nicht öffentlicher Sitzung". Nicht öffentlich, das ist in vielen Rathäusern außerordentlich beliebt, so werden Bürger:innen vor vollendete Tatsachen gestellt und lästige Debatten abgewürgt. Dabei könnte es im Fall des Karstadt-Areals bereichernd sein zu hören, welche Ideen die Esslinger:innen für ihre Innenstadt entwickeln.

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4 Kommentare verfügbar

  • nesenbacher
    am 19.01.2024
    Antworten
    Herr Kögel hat die Zeichen der Zeit erkannt, das Geschäftsmodell am Platz ist nicht mehr rentabel. Also soll die Immobilie an die Stadt Esslingen vermietet oder verkauft werden. Zu profitabelsten Konditionen. Schließlich ist der Unternehmen nicht doof und sitzt für die Freien Wähler im Esslinger…
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