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Insolvenz von Galeria Karstadt Kaufhof

"Das Warenhaus ist nicht am Ende"

Insolvenz von Galeria Karstadt Kaufhof: "Das Warenhaus ist nicht am Ende"
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Galeria Karstadt Kaufhof ist pleite. Welche der 129 Häuser überleben werden, ist offen. Allerorten wird gejammert über Probleme des Einzelhandels, das Ende der Warenhäuser prophezeit. Das hält der Volkswirt Carsten Wirth für falsch.

Das Galeria-Aus

Die Galeria Karstadt Kaufhof GmbH gehört dem Immobilien- und Handelsunternehmen Signa Holding, Eigentümer ist der österreichische Unternehmer René Benko. Vor der Fusion von Karstadt und Kaufhof im Jahr 2018 arbeiteten in beiden Unternehmen zusammen 30.000 Menschen an 175 Standorten. Heute sind es 17.000 in 131 Häusern. Die erste Insolvenz wurde im September 2020 abgeschlossen. Während der Corona-Pandemie hat die Bundesregierung Galeria mit 680 Millionen Euro unterstützt.

Im Oktober 2022 meldete Galeria erneut Insolvenz an. Ende März soll abschließend bekannt gegeben werden, welche Filialen geschlossen werden und wie viele Beschäftigte ihre Arbeit verlieren sollen. Nach aktuellen Recherchen der "Süddeutschen Zeitung" sind 60 Standorte betroffen, Tausende sollen entlassen werden. Insolvenzverwalter ist Arndt Geiwitz, bekannt von der Schlecker-Pleite.  (lee)

Herr Wirth, Sie behaupten, dass das Warenhaus noch eine Zukunft hat. In einem Aufsatz fordern Sie in puncto Galeria Kaufhof, die Kommunen, Beschäftigte und die Bürgerschaft sollen die Insolvenzmasse übernehmen und die Häuser weiterführen, weil der Staat bereits Millionen hineingesteckt hat. Warum sollen die das besser können als das bisherige Management?

Bislang hat das Management versucht, über Mieteinnahmen Gewinne zu erwirtschaften. Der Einkauf, die Kund:innen, der Service wurden vernachlässigt. Eigentlich ging und geht es um Immobilienwirtschaft, nicht um Warenhauswirtschaft. Das läuft so seit den 1980er-Jahren. Stetig wurde überlegt, welche Flächen selbst bewirtschaftet werden, welche Flächen fremdvergeben werden. Das ging immer so weiter und am Ende haben wir nun Signa mit René Benko und der ist eigentlich ein Immobilienhändler.

Aber wenn durch Mieteinnahmen das Warenhaus querfinanziert wird, ist das doch nicht schlecht.

Na ja. Die Umsätze aus den Mieteinnahmen werden benötigt, um die weiteren Immobiliengeschäfte zu finanzieren. Nicht fürs Warenhaus. Letztlich wird so Geld aus dem eigentlichen, also dem Warenhausgeschäft rausgezogen. So bleibt das operative Geschäft immer in den roten Zahlen und irgendwann ist es pleite. Das ist nicht illegal, aber – ich sag's mal so: Da wird Insolvenz zum Geschäftsmodell. Am Ende ruft man dann nach dem Staat und nötigt die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Verzicht zu üben.

Nochmal: Warum sollten die öffentliche Hand, die Bürger, die Beschäftigten ein Warenhaus besser führen können?

Weil die die Bedingungen vor Ort besser kennen. Zunächst aber muss man diskutieren, ob eine andere Art von Warenhaus gewollt ist. Mit den Bürger:innen, den Beschäftigten, den Parteien, der Verwaltung. Wichtig ist zu erkennen: Welche lokalen Bedürfnisse gibt es und wie können die befriedigt werden.

Foto: Britta Hüning

Carsten Wirth, 60, hat VWL studiert. Er war in der Erwachsenenbildung tätig, hat an der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung (das ist die Vorläuferorganisation der Hochschule der Arbeitsagentur) gelehrt, war Professor an der Fachhochschule Kempten und lehrt seit 2014 an der Hochschule Darmstadt Arbeitswissenschaft, Organisations- und Personalmanagement. Er lebt in der Nähe von Heidelberg. (lee)

Sie meinen, das haben die bisherigen Betreiber nicht bedacht?

Die Warenhausleiter vor Ort waren Befehlsempfänger von weit entfernten Zentralen. Die sehen sich in Konkurrenz zu anderen Konzernen. Aber das Haus vor Ort konkurriert mit dem Einzelhandel vor Ort. In Konstanz ist es vielleicht sinnvoll, auch im September noch Badehosen zu verkaufen, da ist der Bodensee, das Wetter ist mild. Aber in Frankfurt am Main wären Badehosen im September eher unsinnig. Das heißt, man muss den Markt vor Ort sondieren.

Aber dass es der stationäre Einzelhandel schwer hat durch den Onlinehandel, stimmt doch. Vor allem jüngere Menschen haben sich längst an "Klick und gekauft" gewöhnt, warum sollen die in ein Warenhaus gehen?

Ja, mag sein. Aber zum einen gibt es eine zunehmende Zahl von Älteren. Und auch Jüngere gehen in die Stadt, wenn es da für sie ein sinnvolles Angebot gibt. Zum Beispiel Beratung im Haus, dort auch bestellen, dort auch die Möglichkeit haben zurückzugeben. Die Expertise von Verkäufer:innen sollte man nicht unterschätzen. Wenn ich eine Hose brauche, schaut eine gute Verkäuferin mich an und sagt: Ich empfehle Ihnen Größe 32 oder 33. Und gibt mir zwei Hosen mit, die ich anprobieren kann. Im Internet gibt’s das nicht.

Insgesamt hadert gerade der alteingesessene stationäre Einzelhandel mit dem Online-Handel. In Baden-Württemberg hat das Wirtschaftsministerium jüngst 1,76 Mio. Euro verteilt für "Einkaufserlebniskonzepte im Einzelhandel". Ist das sinnvoll, um den Einzelhandel zu stärken?

Das machen auch andere Länder. Wenn die Geld verteilen, geht das üblicherweise in den Erlebniskauf, was meistens nichts anderes bedeutet, als ein Event zum Massenkonsum anzubieten. Ökologisch ist das eher bedenklich und es ist sehr kurzfristig gedacht. Wichtiger ist die Befriedigung gesellschaftlicher Bedürfnisse vor Ort. Eine Region braucht keinen Erlebniskauf, sondern ein aufeinander abgestimmtes Konzept, um die Bedürfnisse vor Ort und in der Region zu befriedigen.

Das mutet sehr theoretisch an. Könnten Sie das konkretisieren?

Nehmen wir das Auto. In den Innenstädten will man das eigentlich nicht mehr haben. Also muss es ein sinnvolles Park & Ride-System geben. Der Abtransport von Waren muss für die Kundschaft organisiert werden, zum Beispiel über eine Beschäftigungsgesellschaft. Der ÖPNV muss ausgebaut werden. Es muss viel beachtet werden. In Heidelberg, wo ich wohne, ist beabsichtigt, das Gebiet zwischen Hauptbahnhof und Bismarckplatz zu einer Flaniermeile auszubauen. Ich bin sicher, das wird den Einzelhandel in der Hauptstraße in der Altstadt schwer treffen. Weil dem Kaufkraft abgezogen wird. Das finde ich nicht sinnvoll. Da wurde eben im Vorfeld nicht in Zusammenhängen gedacht.

Waren vielleicht die Warenhäuser einfach zu groß, um ordentlich zu funktionieren?

Nein. Die sind ja eher immer kleiner geworden, haben Flächen reduziert, Personal eingespart. Hier in Heidelberg war ja auf der Fläche teilweise nur noch eine Verkäuferin verfügbar. Als ich neulich einen Dosenöffner kaufen wollte, habe ich kaum jemanden gefunden. Und ich verstehe auch, dass die einzige Verkäuferin dann eher das Ehepaar berät, das ein Kaffeeservice kaufen will, als mich mit meinem Dosenöffner. Aber Service ist das eben nicht.

Haben Sie einen Dosenöffner gefunden?

Ja, hat geklappt. War auch nicht so schwer, einen zu finden. Doch ich bin überzeugt: Man muss eher mehr Personal einsetzen, man muss anders arbeiten – dezentral, und man muss konsequent das Wissen vor Ort nutzen.

Und wie soll das funktionieren?

Zum Beispiel als Genossenschaft. Eine der großen europäischen Handelsgesellschaften, Mondragon in Spanien, ist eine Genossenschaft. Und die läuft. Edeka ist ein etwas anderes Modell, da geht es eigentlich nur noch um den gemeinsamen Einkauf, ansonsten hat sich das zu einem Franchisesystem entwickelt. Das passt für ein Warenhaus nicht. Ein Warenhaus kann aber auch als kommunaler Eigenbetrieb betrieben werden, wie die Stadtwerke.

Wenn ich mir vorstelle, die Stadt Stuttgart soll ein Warenhaus organisieren, wo ja noch nicht mal die ureigenen städtischen Dienstleistungen wie Bürgerämter funktionieren.

Das dürfte ein eigenes Problem sein. Aber wie die Kommune sich beteiligen kann, dafür gibt es ja schon Beispiele. In Heidelberg hat der OB angekündigt, dass er sich vorstellen kann, dass Flächen für öffentliche Dienstleistungen angemietet werden. Als Stützungsmaßnahme für das Warenhaus. Oder: Die Sparkasse hat Fläche des alteingesessenen Modehauses Kraus, das in Schwierigkeiten war, angemietet und dort Geldautomaten aufgestellt. Das hat dazu beigetragen, dass das Haus nicht insolvent ging. Kund:innen, Beschäftigte und die öffentliche Hand müssen zusammengeführt werden. Dann lässt sich ein Warenhaus sinnvoll führen. Das ist etwas ganz anderes als die Art, wie in den vergangenen Jahrzehnten Warenhäuser geführt und verstanden wurden.

Genossenschaft, kommunaler Eigenbetrieb, ökologische Logistikkonzepte, alle mitnehmen, öffentliche Dienstleistungen anbieten – das ist doch Sozialromantik.

Nein, finde ich nicht. Das ist purer Kapitalismus. Auch in dieser neuen Form müssen sich die Häuser ja am Markt bewähren. Das ist kein Rumspielen. Aber: Es geht nicht um 16 Prozent Gewinn für die Investorenausschüttung, sondern um Gewinn, der reinvestiert wird, um den Betrieb und damit die Versorgung vor Ort und in der Region zu sichern.

Kennen Sie konkret Gruppen, die sich mit Ihren Vorstellungen beschäftigen?

Die gab und gibt es. Kasernen wurden unter Bürgerbeteiligung zu Wohnungen, hier in Heidelberg ist das Collegium Academicum so entstanden. Es gibt die solidarische Landwirtschaft, die wächst, ich  teile mir inzwischen ein Abo. Und hier in Heidelberg haben wir zwei Galeria-Häuser, die möglicherweise nicht beide weitergeführt werden. Das ist womöglich eines zu viel, das muss man sich noch näher anschauen. Aber es sind Menschen im Gespräch, die dort etwas Neues gestalten wollen. Alles in allem bin ich optimistisch.


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7 Kommentare verfügbar

  • NKs
    am 27.02.2023
    Antworten
    Die öffentliche Hand soll die Kaufhäuser führen -echt jetzt? Schonmal in das Kommunalwirtschaftsrecht geguckt, Herr Handelsexperte? ZB § 102 GO BW.

    Wobei die Idee so falsch ja nicht ist. Habe in einem Urlaubsort im allgäu die Gründung eines Dorfladens erlebt, in Form eine UG…
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