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Was vergessen?

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Schnell dreht es sich, das Krisen-Karussel. Tut es ja eigentlich immer. Erdbeben in Türkei und Syrien, Ukraine sowieso, Inflation, Heizkosten, unbekannte Flugobjekte über Amerika, der VfB verharrt in der Abstiegszone. Aber war da nicht noch was, was wir vergessen haben? Tja, sehr viel vermutlich, aber ganz sicher die Situation im Iran. Fünf Monate ist es her, dass der gewaltsame Tod der jungen Iranerin Mahsa Amini am 16. September 2022 zur Bildung einer Protestbewegung gegen das Mullah-Regime führten. Waren die Nachrichten eine Zeitlang voll mit Berichten über die Freiheitsbewegung, so ist davon nicht viel geblieben. Zumindest in den Nachrichten.

Die Bewegung gibt es immer noch, daran erinnert am kommenden Sonntag ab 17 Uhr im Stuttgarter Theaterhaus eine Solidaritätsveranstaltung, die unter dem Motto der zentralen Parole der Proteste steht: "Jin, Jiyan, Azadi" – "Frau, Leben, Freiheit". Der Pianist Nima Farahmand Bafi wird eigene Stücke, solche von Leoš Janáček und Frédéric Chopin spielen, dazwischen spricht die iranische Publizistin, Künstlerin und Feministin Mina Khani über die aktuelle Situation im Iran. Zu den Veranstaltern gehört neben den Anstiftern, dem Theaterhaus und vielen Kultureinrichtungen auch Kontext.

Auf manche Termine wartet und wartet und wartet man ewig, vergisst sie zwischendurch, zweifelt, ob sie je kommen werden, wir sagen nur: Stuttgart 21. Lachen Sie nicht. So groß sind bisweilen die Zweifel am Zustandekommen, dass wir eine Mail mit dem profanen Betreff "Pressemitteilung des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 10. Februar 2023" kürzlich erst für einen schlechten Scherz oder Phishing-Versuch hielten. Denn in ihr stand, wiederum sehr sperrig, erst "Klagen der DB AG u. a. gegen das Land Baden-Württemberg, die Landeshauptstadt Stuttgart, den Verband Region Stuttgart und die Flughafen Stuttgart GmbH wegen der Finanzierung der Mehrkosten für das Projekt Stuttgart 21", und dann der entscheidende, kaum fassbare, magische Satz: "Mitteilung des ersten Termins zur mündlichen Verhandlung". Ist es zu fassen? "Meinen ersten Text dazu habe ich Ende 2017 geschrieben", entfuhr es spontan dem bei Kontext für S 21 zuständigen Redakteur Oliver Stenzel. Und da lief das Verfahren der Bahn gegen ihre Projektpartner, von denen sie mehr Geld für den Bau des Tunnelbahnhofs will, schon ein ganzes Jahr, seit Dezember 2016. Seitdem schickten die Kontrahenten diverse dickleibige Schriftsätze hin und her, äußerte sich hie und da ein Jurist dazu (auch in Kontext). Doch jetzt wird nicht mehr schriftgesätzt, jetzt wird verhandelt. Und zwar am 8. Mai im Verwaltungsgericht Stuttgart. Wir haben schon feuchte Hände vor Aufregung.

Ein anderer S-21-Termin dagegen scheint weiter dem bekannten Motto "Und täglich grüßt das Murmeltier" zu folgen. Mutmaßen zumindest die "Stuttgarter Nachrichten". Es "mehren sich die Anzeichen, dass das Projekt nicht Ende 2025 in Betrieb geht", schreibt dort Christian Milankovic. Die Bahn weist dies zurück, natürlich. Wir sind mäßig gespannt auf den neuen Termin.

Noch was vergessen? Vielleicht die libertären Autoritären. Wen? Gemeint sind etwa "Corona-Kritiker mit Blumenketten, Künstlerinnen, die naturwissenschaftliche Erkenntnisse infrage stellen, Journalisten, die sich als Rebellen gegen angebliche Sprechverbote inszenieren", schreiben die Literaturwissenschaftlerin Caroline Amlinger und der Soziologe Oliver Nachtwey zu ihrem Buch "Gekränkte Freiheit", das sie am Freitag im Literaturhaus Stuttgart vorstellen, Veranstalter ist die Heinrich-Böll-Stiftung. Thematisch vorbereitend hat Nachtwey Ende 2021 auch schon eine Studie zur Querdenken-Bewegung veröffentlicht, Kontext bescheinigte dieser damals unter anderem, dass sie "erstaunlich unbestimmt" bei den Verbindungen nach rechts bleibe. Mal sehen, wie genau die Autor:innen nun die "Aspekte des libertären Autoritarismus", so der Buch-Untertitel, bestimmen.

Nicht dem Vergessen anheimfallen sollte auch das Stuttgarter Kabelattentat vor genau 90 Jahren, zu dem heute Abend, Mittwoch, eine Veranstaltung im Theaterhaus stattfindet (Kontext berichtete). Autor Rolf Schlenker liest aus seinem Buch über die Aktion und spricht mit Moderator Goggo Gensch und Kontext-Redakteur Oliver Stenzel darüber. Beginn 20 Uhr, der Eintritt kostet 10 Euro.


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