Die breite Brust der Schaufensterpuppe ist nackt. Einst spannte sie schicke Hemden. Jetzt stehen die zwei Torsi ebenso verloren vor den blanken Regalen wie der Verkäufer in der Herrenabteilung. Von den Wänden verkünden riesige Banner Rabatte bis zu 70 Prozent, andere schreien in lauten Farben, was hier sowieso alle wissen: "Wir räumen diese Filiale". "So aufgeräumt war es hier noch nie", sagt der gut gekleidete Verkäufer lakonisch und mit einem Lachen, das die Augen nicht erreicht. Schluss. Ausverkauf. Feierabend. Bis zum 16. Mai wird er alles verramschen, was an Waren noch übrig ist. Am 30. Juni wird er besenrein übergeben, was einmal sein Arbeitsplatz war. So will es der neue Eigentümer René Benko, der in der Stuttgarter Karstadt Filiale weniger Arbeitsplätze sieht als eine Immobile in bester Lage.
Von den einst 230 Stuttgarter Karstadtmitarbeitern sind noch 150 an Bord. Die stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Gabriele Pilz, 37 Jahre Karstadt, seit Jahren Herrenkonfektion, gehört dazu. Gleich hinter den nackten Torsi liegt ihr Betriebsratsbüro. Deprimierend sei das inzwischen hier, Kunden beschwerten sich, weil sie ihre Größe nicht finden oder keine Bedienung. "Aber was gibt es bei drei paar Schuhen noch groß zu bedienen?", fragt die Betriebsrätin. Den Ausverkauf haben professionelle Abwickler übernommen. Sie entscheiden nun, welche Prozente auf welche Ware kommen und was noch nachbestellt wird. Sie sind die Totengräber, die mit der Schließung des Warenhauses Geld verdienen. Für eine wie Gabriele Pilz muss das wie Leichenfledderei wirken.
Das Karstadt-Aus lockt auch schräge Vögel an
Doch für morbide Gedanken hat sie keine Zeit. Kurz vor Ostern hat die Gewerkschaft verdi mit Karstadt einen Tarifsozialplan ausgehandelt, für die Stuttgarter Beschäftigten ebenso wie für die fünf anderen Filialen, die geschlossen werden. Rückwirkende Tarifleistungen, einen Betrag von 2300 Euro, um soziale Härten abzufedern, Wechsel in eine Transfergesellschaft - all das wird Gabriele Pilz nun wieder erklären, sie wird helfen bei der Jobsuche, wird trösten, aufmuntern, locker bleiben. Obwohl sie weiß: "Wir sind einer der besten Standorte, mit einem guten Umsatz. Uns hat die hohe Miete das Genick gebrochen." Profit sticht Arbeitsplatz, das Ende eines Stuttgarter Warenhauses. "Willst du auch noch etwas sagen?", fragt sie die Verkäuferin, die im Betriebsratsbüro sitzt. "Was gibt es da noch zu sagen?", fragt die zurück. Zuckt mit den Schultern. Geht.
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Manuela Kunkel
am 12.04.2015