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Linden-Museum und Kamerun

"Kulturgüter sind wichtig für die Identität"

Linden-Museum und Kamerun: "Kulturgüter sind wichtig für die Identität"
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Das Stuttgarter Linden-Museum hat die Initiative ergriffen und ein kamerunisches Komitee zum Dialog über die Rückgabe von Kulturgütern eingeladen. Das Museum hat allen Grund dazu: Seine Kamerun-Sammlung ist größer als die von Paris.

Glöckchen klingeln, Bambustrompeten ertönen – ungewöhnliche Klänge überraschen am Montagvormittag die Gäste im Wanner-Saal des Stuttgarter Linden-Museums. Sie begleiten zwei Monarchen und zwei Vertreter:innen traditioneller kamerunischer Königreiche auf dem Weg zur Auftaktveranstaltung des Dialogtreffens über die Rückgabe von Kulturgütern aus deutschen Museen.

Ein wenig Folklore für die Museumsbesucher:innen? Mitnichten. Der in Augsburg lebende Musiker – und nach eigener Auskunft Priester oder Schamane – Njami Sitson war von Kamerun beauftragt worden, der Delegation einen würdigen Empfang zu bereiten. So würden in seinem Heimatland Herrscher:innen traditionell eingeführt, erklärt Sitson. "Es geht darum, dass sie sich wohlfühlen."

Es ist das erste Dialogtreffen des kamerunischen Interministeriellen Komitees für die Rückführung illegal ausgeführter Kulturgüter mit Vertreter:innen von elf deutschen Museen, deren ethnologische Sammlungen mehr als 500 Objekte aus Kamerun besitzen. Einst wurden diese Objekte als "primitive Kunst" bezeichnet, sagt der kamerunische Botschafter Victor Ndocki, doch in Wirklichkeit handle es sich um Alltagsgegenstände oder Insignien der Macht.

Kamerun war von 1884 bis zum Ersten Weltkrieg deutsche Kolonie, die Hauptstadt Yaoundé ist eine deutsche Gründung. 1919 übertrug der Völkerbund vier Fünftel des Landes an Frankreich, den Rest an England, 1960 wurde das Land unabhängig. Die Deutschen sprachen während ihrer Herrschaft von Schutzgebieten, ohne freilich dazu zu sagen, wer hier vor wem geschützt werden sollte. In Berlin stand der Thron König Njoyas aus Fumban, der zur deutschen Kolonialzeit regierte, lange Zeit im Mittelpunkt der Afrika-Sammlungen des Völkerkundemuseums. In Stuttgart waren es Masken und Skulpturen des sogenannten Kameruner Graslands in den heutigen Provinzen West und Nordwest, die überwiegend aus der Kolonialzeit stammen. Die Forderungen nach Rückgabe bestehen seit rund 50 Jahren, seit einem Jahr gibt es das kamerunische Komitee für die Rückführung illegal ausgeführter Kulturgüter. Die deutschen Vertreter sagen lieber unethisch als illegal, denn einen Raub anzuerkennen, könnte weitere Wiedergutmachungsansprüche nach sich ziehen.

Und kompliziert ist die Restitution oft. Es sei ja in vielen Fällen nicht klar, an wen überhaupt restituiert werden solle, hat die Direktorin des Linden-Museums Ines de Castro noch vor einigen Jahren gesagt: an den jeweiligen Staat etwa oder an die Nachfahren der Vorbesitzer. Genau dies hat im Fall der Benin-Bronzen im vergangenen Jahr zu einer Kontroverse geführt, nachdem der nigerianische Staatspräsident Muhammadu Buhari die Werke dem Oba (König) von Benin übereignete.

Endlich kommt die Rückgabe in Gang

Kamerun hat hier vorgebaut: Das Interministerielle Komitee versteht sich als nationale Angelegenheit, betont dessen Leiterin Rekia Nfunfu Ngeh. Am allerwichtigsten sei ihr aber gewesen, das Komitee inklusiv zu gestalten und die Lokalherrscher:innen und die Zivilgesellschaft einzubeziehen. Kamerun bestand in vorkolonialer Zeit aus hunderten kleiner Staatsgebiete, heute gibt es alleine 80 Herrscher:innen ersten Ranges. Die vier Repräsentant:innen traditioneller Königreiche, die nach Stuttgart kamen, sprechen für vier geografisch sehr unterschiedliche Kulturregionen, erklärt Bruno Mvondo, der die Fang-Béti im Süden des Landes vertritt.

Er komme für alle lokalen Herrscher seiner Region, betont Mvondo, sie sprächen mit einer Stimme. Den Dauerkonflikt der englischsprachigen Gebiete an der Grenze zu Nigeria mit der Zentralregierung erwähnt die kamerunische Delegation nicht. Als Emissärin des Fon (König) der Nso ist mit Sylvie Vernyuy Njobati allerdings auch eine Stimme aus dem englischsprachigen Nordwesten vertreten.

Dass es zu diesem Dialog überhaupt kam, ist in zweierlei Hinsicht der Verdienst von Bénédicte Savoy: Die Kunsthistorikerin, Professorin an der Technischen Hochschule Berlin, hat vor fünf Jahren mit ihren Empfehlungen für den französischen Präsidenten Emmanuel Macron, zusammen mit dem senegalesischen Autor und Ökonomen Felwine Sarr, die Restitutionen in Gang gebracht. Und sie hat danach mit einem vierzehnköpfigen Team die Kamerun-Bestände der deutschen Museen und Sammlungen aufgearbeitet.

Die kleine Französin, die auch Germanistik studiert hat, ist eine unglaublich agile Person, der die Teilnehmer:innen des Treffens in Stuttgart aufmerksam zuhören. Zwar schafft sie es doch nicht ganz, die vier Jahre Arbeit, die in ihrem "Atlas der Abwesenheit" stecken, in zwölf Minuten zusammenzufassen. Doch niemand will, dass sie abbricht. Ihr erstes Stichwort: Verblüffung. In deutschen Sammlungen gibt es weit mehr kamerunische Objekte als in allen anderen Ländern der Welt: 40.000 insgesamt, davon 8.800 in Stuttgart. So viele hat nicht einmal das Musée du quai Branly in Paris.

Savoys zweites Stichwort: Ultra Violence – extreme Gewalt. 181 so genannte Strafexpeditionen hat ihr Team in der deutschen Kolonialzeit gezählt. Sie dienten zuallererst dazu, das Land zu unterwerfen, aber auch ganz bewusst der Aneignung von Kulturgütern, wie etwa aus Briefen Felix von Luschans, des ersten Leiters der Afrika-Abteilung des Berliner Völkerkundemuseums, hervorgeht. Luschan sammelte auch menschliche Schädel, um seine rassistischen Vorstellungen zu untermauern.

Die Museen bereiten vor, Politik entscheidet

Auf kamerunischer Seite stößt das Thema auf größtes Interesse. Zahlreiche Journalist:innen von Radio, Fernsehen und Presse sind mitgekommen, um über den Dialog zu berichten. Von offizieller Seite sind neben Vertreter:innen des Ministerpräsidenten, des Außenministers und der lokalen Herrscher auch die Leiterinnen des Komitees, der Denkmalbehörde und des Nationalarchivs, der Direktor des Nationalmuseums und ein Vertreter der Zivilgesellschaft dabei.

Die Stuttgarter Museumschefin Inés de Castro hat sich das Thema zu eigen gemacht. Nachdem das Linden-Museum bereits die Provenienzforschung zu kolonialen Objekten initiiert, Kulturgüter an Namibia und Nigeria restituiert hat und sich nun zeigt, dass Stuttgart die meisten Kamerun-Objekte besitzt, hat sie zu dem zweitägigen Kennenlerntreffen eingeladen. Der Dialog mit den Partner:innen aus Kamerun leistet eine wichtige Vorarbeit für die Rückführung von Kulturgütern, doch am Ende entscheidet die Politik, wie de Castro und ihre Kollegin aus Leipzig, Léontine Meijer-van Mensch, hervorheben.

"Sie können sich unserer Unterstützung sicher sein", versichert Anna Bartels vom Auswärtigen Amt, darin einig mit Wissenschaftsministerin Petra Olschowski (Grüne). Bartels fügt hinzu: "Kamerun bestimmt das Tempo." Eine "neue Ära der kulturellen Zusammenarbeit" erkennt Ingo Mix vom Kultur-Staatsministerium von Claudia Roth (Grüne) und berichtet, was alles schon in die Wege geleitet wurde: etwa ein deutsch-französischer Fonds zur Provenienzrecherche oder das MuseumsLab am ZKM in Karlsruhe für junge afrikanische und deutsche Museolog:innen.

Die gemeinsame Geschichte gemeinsam erforschen

"Haben Sie keine Angst davor, was passiert, wenn 40.000 Objekte aus den deutschen Museen verschwinden?", fragt der Journalist des kamerunischen Staatsrundfunks. "Wir müssen neu lernen", bekennt van Meijer-van Mensch. Die bisherigen Kenntnisse sind lückenhaft und von Vorurteilen geprägt. Man solle daher Restitution nicht als Verlust, sondern als Gewinn betrachten, meint sie.

Warum überhaupt restituieren? "Wir sind nicht schuld, aber wir tragen Verantwortung", findet van Meijer-van Mensch. Olschowski hat gleich einleitend die beste Begründung gegeben: "Kulturgüter sind wichtig für das Selbstbild und die Identität eines Landes", betont sie. In Deutschland befinden sich sehr viel mehr Kulturgegenstände aus Kamerun als im eigenen Land. In den Archivkarten der Museen ist das Wissen dazu gespeichert. Von den deutschen Universitäten, die dazu forschen, können afrikanische Länder nur träumen.

Mit ihrem "Atlas der Abwesenheit" meint Bénédicte Savoy daher nicht nur die Abwesenheit von Objekten, sondern auch das Abbrechen der Überlieferung und die fehlende Aufarbeitung. Neben der politischen Dimension habe Restitution auch die Aufgabe, ein geteiltes Wissen zu erarbeiten und an die gemeinsame koloniale Geschichte zu erinnern. Auf die Frage, welche Probleme es dabei gäbe, erklärt sie: Am Geld liege es nicht, mit den Mitteln, die sie für Forschung und Austausch bewilligt bekomme, ließe sich auskommen.

Was sie dagegen sichtlich auf die Palme bringt, ist der Umgang der deutschen Botschaften mit der Visa-Frage. Junge Wissenschaftler:innen würden in ihrer Arbeit behindert. Sie selbst habe oft mehr mit bürokratischen Hürden zu tun als mit der Forschung. Ein Beispiel: Ein junger Afrikaner, der in Berlin promoviert, wurde kurzfristig zu einer Konferenz in sein Land eingeladen und wartet jetzt seit zwei Monaten auf sein Visum, um in Berlin seine Doktorarbeit fortsetzen zu können.

Aber sind die restituierten Kulturgegenstände in Kamerun auch gut aufgehoben? Keine Sorge, beruhigt Hugues Heumen Tchana, der Direktor des dortigen Nationalmuseums. Für die lokalen Herrscher sind die Insignien und andere wichtige Gegenstände, die ihnen übergeben werden sollen, sehr wichtig, sind sie doch Zeichen der Legitimität ihrer Macht. Und es gibt bereits ungefähr fünfzig Museen im Land. Weitere müssten noch gebaut werden, erklärt Tchana.


Der "Atlas der Abwesenheit. Kameruns Kulturerbe in Deutschland" ist hier kostenfrei downloadbar.

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