KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Leiharbeit

Hund verhandelt Wurstpreis

Leiharbeit: Hund verhandelt Wurstpreis
|

Datum:

In der Leiharbeit warten alle auf den Mai. Dann wird das Bundesarbeitsgericht entscheiden, ob und wie geringere Löhne für Leiharbeiter:innen ausgeglichen werden müssen. Diese geringeren Löhne haben die Gewerkschaften ausgehandelt.

"In Leiharbeit gehe ich nicht mehr." Der Diplom-Betriebswirt aus Frankfurt hat seine Erfahrungen gemacht. Mehrere Jahre hat er als Leiharbeiter geschafft, war bei zwei Zeitarbeitsfirmen mit Jobs zwischen sechs Wochen und zehn Monaten, und seinen Namen möchte er nicht in der Zeitung lesen. Interessant sei die Zeit gewesen, und gerade in größeren Entleihfirmen hätte er teilweise mehr verdient als die Stammkräfte – "weil ich mit der Entleihfirma geredet habe" –, in anderen so zwischen 12 und 14 Euro die Stunde. "Als ich mit Zeitarbeit angefangen habe, dachte ich, ich mach das nur kurz, weil ich bestimmt schnell übernommen werde. Aber das war nicht der Fall." Aktuell ist er arbeitssuchend und optimistisch, dass es bald klappt. "Da läuft gerade einiges."

Wie es in der Leiharbeit zugehen kann, zeigte ihm in einem Konzern die Antwort auf seine Frage, wie er in Festanstellung kommen könne. Der Weg sei folgendermaßen: Von der externen Verleihfirma wechseln in die konzerneigene Verleihfirma, von da aus in einen befristeten Job und dann in einen unbefristeten. "Das ist doch unglaublich", sagt der Frankfurter, der sich seit Jahren in Verdi engagiert, ehrenamtlicher Arbeitsrichter ist und im IHK-Prüfungsausschuss. Als Leiharbeiter wollte er sich auch für die Belange der Leiharbeiter:innen engagieren. In die Tarifkommission habe er es nicht geschafft, sagt er. Vielleicht weil er zu viel kritisiert hat: "Ich hatte in Info-Veranstaltungen zum Beispiel gefordert, dass es mehr Zeit für Qualifizierung geben müsste."

"Es ist schon etwas absurd"

Die Tarifkommission entscheidet, ob das Ergebnis von Tarifverhandlungen angenommen wird oder nicht. Einige ihrer Mitglieder sind auch in der Verhandlungskommission, gestalten also die Tarifverhandlungen aktiv mit. "Wenn aber in der Tarifkommission für Leiharbeit Disponenten von Leiharbeitsfirmen sitzen – dann ist das schon etwas absurd", sagt Johannes Aevermann, selbst Mitglied dieser Kommission und einer der wenigen echten Leiharbeiter. Disponenten sind diejenigen, die die Vermittlung von Leiharbeiter:innen in Entleihfirmen organisieren müssen. Nun lässt sich fragen, wie passend es ist, wenn diejenigen über Tariflöhne mitverhandeln, deren Interesse es nicht ist, dass Zeitarbeiter:innen viel verdienen. Das macht sie ja teurer.

Viel Zeitarbeit, wenig Verdienst

2021 wurden 816.000 Leiharbeiter:innen gezählt (2002 waren es 318.000). Die 25 führenden Zeitarbeitsfirmen steigerten 2021 die Umsätze um 21 Prozent, auf zusammen 9,3 Milliarden Euro, meldet die IgZ.

Mit den Löhnen der Zeitarbeiter:innen hat sich die Bundesarbeitsagentur beschäftigt. Demnach verdienten Helfer in der Leiharbeit im Schnitt 1.799 Euro brutto im Monat und damit ein Viertel weniger als ihre fest angestellten Kolleg:innen. Bei Fachkräften betrug der Lohnunterschied 24 Prozent. Zudem, so die Bundesagentur, würden überdurchschnittlich viele Leiharbeiter:innen aufstocken, also ergänzende Leistungen aus der Grundsicherung beziehen. Bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten aller Branchen sei es gut ein Prozent.  (gvl)

In der Verdi-Tarifkommission für Leiharbeit sitzen mindestens vier Männer von Randstad. Betriebsräte der größten Zeitarbeitsfirma der Republik, in der nach Unternehmensangaben rund 3.000 Frauen und Männer intern damit beschäftigt sind, rund 44.500 Leiharbeiter:innen zu vermitteln. Dafür bekommt die Firma Geld von der Entleihfirma, davon bekommen die Leiharbeiter:innen ihren Lohn, den Rest behält Randstad. Das Geschäftsmodell ist klar und es lohnt sich. 2021 hat Randstad Deutschland seinen Umsatz im Vergleich zum Vorjahr um 21 Prozent erhöht auf 1,9 Milliarden Euro. Einen Tarifvertrag für die internen Beschäftigten gibt es übrigens nicht.

Entscheiden die Richtigen?

Betriebsräte aus einem tariflosen Unternehmen, das damit Geld verdient, dass es Zeitarbeiter:innen möglichst gewinnbringend – also günstig – verleiht, verhandeln also die Tariflöhne für eben jene Zeitarbeiter:innen. "Im Grunde verhandelt da der Hund den Wurstpreis", sagt Aevermann.

Werden die Löhne von Leiharbeiter:innen bei Verdi vielleicht von den falschen Leuten verhandelt? Das mag Verdi so nicht stehen lassen. Ja, in der Tarifkommission sei Randstad stark vertreten. "Das ist auch der größte Verleiher", erklärt Christian Schadow, bei Verdi für die Zeitarbeitsbranche zuständig. Und die Kollegen von dort seien eben gewählt. Zudem sei es nicht einfach, echte Zeitarbeiter:innen zu finden, die in einer Tarifkommission mitarbeiten wollen. Gerade diejenigen, die unter die Verdi-Tarifverträge fallen, arbeiteten sehr zerstreut in der Republik und oft in eher kleineren Betrieben. In Kontakt mit ihnen zu kommen, sei schwierig.

Alle warten aufs Bundesarbeitsgericht

Es sei jedenfalls wichtig, einen Tarifvertrag zu haben, der die Rechte von Leiharbeiter:innen festlegt und schützt, sagt Schadow. Aber gäbe es ohne Tarifvertrag nicht Equal Pay, also gleichen Lohn wie für die Stammbelegschaft? Das ist schließlich gesetzlich festgelegt. Nur per Tarifvertrag darf von Equal Pay abgewichen werden. Schadow: "Im Tarifvertrag ist ja noch mehr geregelt. Was wäre denn ohne Tarifvertrag in verleihfreien Zeiten?" Und das mit dem Equal Pay sei gar nicht so einfach. Was, wenn in einem Betrieb kein Tarifvertrag gelte, woran solle man sich dann orientieren und wie nachprüfen?

So wie die Tarifverträge für Leiharbeit derzeit sind, werden sie wahrscheinlich nicht bleiben können. Im Dezember hatte der Europäische Gerichtshof entschieden, dass weniger Lohn per Tarif zwar rechtens ist – aber nur, wenn dieser Nachteil angemessen ausgeglichen wird, um so den "Gesamtschutz" der Arbeitnehmer:innen zu gewährleisten. (Kontext berichtete) Nach Ansicht des Arbeitsrechtlers Wolfgang Däubler müssen damit die bestehenden Tarifverträge geändert werden. Er setzt auf das Bundesarbeitsgericht, das voraussichtlich im Mai entscheiden wird, was der Spruch des EuGH für Deutschland bedeutet.

Erst dann, so die Tarifparteien, könne gehandelt werden. Vorher schon mal ausloten, was die Parteien selber machen könnten, um einen Ausgleich herzustellen, werde "von Seiten beider Tarifpartner derzeit nicht für sinnvoll und notwendig erachtet", erklärt der Pressereferent des BAP (Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister) auf Kontext-Anfrage. Der zweite Arbeitgeberverband, der IGZ (Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen), stellt fest, dass "die Löhne der Zeitarbeitnehmer in der Regel nicht schlechter" seien. Er räumt aber ein, dass es Fälle gebe, wie den der Klägerin, die bis zum EuGH gegangen ist – weil sie 30 Prozent weniger verdiente als vergleichbare Festangestellte. Das Urteil des EuGH findet der IGZ offenbar nicht nachvollziehbar: "Das (sic) EuGH hat dabei jedoch weitgehend die in Deutschland herrschenden Gesamtschutzregelungen außer Acht gelassen", heißt es. "Aus unserer Sich ist der Gesamtschutz gewährleistet." Man warte eben nun aufs Bundesarbeitsgericht. Vorstellbar sei, dass entweder über den Manteltarif etwas geändert werden oder jeder Einzelfall entschieden werden müsse.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


1 Kommentar verfügbar

  • Peter Freimensch
    am 14.02.2023
    Antworten
    Einigungsvertrag Artikel 30 versprach seinerzeit allen Einwohnern des wiedervereinigten Deutschlands ein zivilisiertes und modernes Arbeitsrecht - wie es in der DDR Standard war.

    Auswüchse wie "im besten Deutschland aller Zeiten" heute regelmäßig anzutreffen, waren damals absolut undenkbar.
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!