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Betriebsratswahlen

Seltsame Brüder und Mutter Teresa

Betriebsratswahlen: Seltsame Brüder und Mutter Teresa
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Zwei Welten: Bei der Stanztechnik in Unterensingen wollen die Patriarchen partout keinen Betriebsrat und schikanieren, wo sie können. Bei Belden, ehemals Hirschmann, in Neckartenzlingen hat sogar der US-amerikanische Eigner dessen Nutzen erkannt.

Thomas Maier von der IG Metall ist sauer. "Ich hoffe, dass da demnächst die Staatsanwaltschaft vor der Tür steht", schimpft der Gewerkschafter, und mit "da" meint er die ST Stanztechnik, einen Betrieb in Unterensingen (Kreis Esslingen), der Metallteile für die Autoindustrie herstellt und rund 180 Frauen und Männer beschäftigt. Mit ihnen versucht er seit Sommer vergangenen Jahres einen Betriebsrat auf die Beine zu stellen. Ein ganz schwieriges Unterfangen, mit einer typisch schwäbischen Mittelstandsgeschichte.

Vor 45 Jahren haben die Brüder Günther und Volker Mayer die Firma gegründet. Seitdem gab es nie einen Betriebsrat. "Schon bei der Einstellung wurde einem klargemacht, dass derjenige, der das Wort 'Betriebsrat' in den Mund nimmt, gleich wieder gehen kann", erzählt ein Mitarbeiter, der vor mehr als 20 Jahren bei Stanztechnik angefangen hat. Und irgendwie lief's ja. Heute sind die beiden Geschäftsführer Mitte 80 und Ende 70, Nachfolger gibt es nicht und die Belegschaft macht sich Sorgen um die Zukunft.

Je kleiner, desto seltener

In der Privatwirtschaft werden 46 Prozent der Beschäftigten von einem Betriebsrat vertreten. Während es gerade mal in 9 Prozent der Betriebe mit 5 bis 50 Beschäftigten einen Betriebsrat gibt, wächst der Anteil mit der Unternehmensgröße auf 90 Prozent in Betrieben mit mehr als 500 MitarbeiterInnen. Im öffentlichen Dienst können 89 Prozent der Beschäftigten auf einen Personalrat zurückgreifen, meldet Destatis. Das Betriebsverfassungsgesetz gibt als Untergrenze für BR-Wahlen fünf Beschäftigte an.

Die Behinderung von BR-Gründungen ist strafbar, allerdings müssen die Betroffenen das anzeigen, was aus Angst oft nicht geschieht. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, SPD, hat angekündigt, die Behinderung betrieblicher Mitbestimmung als Offizialdelikt einzustufen. Damit könnten Staatsanwaltschaften von sich aus tätig werden. Wann es soweit ist, konnte das Bundesarbeitsministerium auf Kontextanfrage nicht sagen. (lee)

Da wäre es schon gut, einen Betriebsrat zu haben, der Einblick in die wirtschaftliche Lage hat, der für Transparenz bei Maßnahmen sorgt, der Schwierigkeiten bespricht, der Betriebsvereinbarungen zum Beispiel über Mehrarbeit aushandeln kann. Und der im schlimmsten Fall einen Sozialplan verhandeln kann, sollte der Laden insolvent gehen.

Nun ist so eine Arbeitnehmervertretung nicht mit links zu gründen: Die Beschäftigten müssen zum Notar, um dort an Eides statt zu hinterlegen, dass sie einen Wahlvorstand auf den Weg bringen wollen. Im Sommer zieht sich das hin wegen Urlaubszeit. Als das endlich erledigt ist, mit allen notwendigen Beurkundungen, geht das Ganze an die Geschäftsführung mit der Aufforderung, einen zeitnahen Termin zu nennen, um die Wahl zu besprechen. Antwort: Man melde sich baldmöglichst. Nichts passiert. So geht es ein paar Mal hin und her, schließlich lehnt das Patriarchen-Duo eine Wahlversammlung für den Wahlvorstand (den man braucht, um eine Betriebsratswahl zu organisieren) im Betrieb ab, darauf lädt die IG Metall in die Festhalle nach Unterensingen ein.

Chef droht mit Aufgabe des Betriebs

Das Nein der Geschäftsführung hat es in sich. Sie habe noch nie einen Betriebsrat gebraucht, erläutert sie per Aushang, und dann kommt’s: "Sollte die Stanztechnik-Belegschaft tatsächlich einer Betriebsratsgründung zustimmen, muss ich persönlich davon ausgehen, dass ich Fehler in der bisherigen Führung gemacht habe, und schließe daraus, dass ich nicht mehr der geeignete Firmenlenker bin." Weiter heißt es: "Ich müsste dann für mich selbst und damit für die Firma die notwendigen Konsequenzen ziehen und dem Betriebsrat weitgehend die zukünftigen Geschäfte überlassen." Gezeichnet ist das Papier mit "Günther Mayer, Geschäftsführer". Das ist ein Wort.

Die Hoffnung allerdings, dass ein Betriebsrat die Firma überschrieben bekommt, dürfte verwegen sein. "Das versteht der als Drohung", schätzt ein Beschäftigter ein. "Die Mayers sind der Ansicht: Das ist unser Betrieb, da dürfen wir machen, was wir wollen. Das ging vielleicht vor 50 Jahren, heute geht das nicht mehr."

Unterdessen wird immerhin der Wahlvorstand gewählt und zwar in der Festhalle. Rund 50 KollegInnen waren trotz Drohungen von Vorgesetzten, wie erzählt wird, gekommen. "Der Aushang von Mayer hat die Leute eher mobilisiert", glaubt IG Metall-Maier und wundert sich über die fristlose Kündigung eines der Wahlvorstände einige Tage später. Begründung: "grobe Pflichtverletzungen". Trotz des Kündigungsschutzes, den Wahlvorstände gesetzlich genießen. Der Betroffene klagt dagegen mit Unterstützung der Gewerkschaft. Er will wie alle anderen Aktiven seinen Namen nicht in der Zeitung lesen, weil alle jetzt schon genug haben von den Schikanen durch die Geschäftsführung. Rausgerückt hat die wenigstens die Liste der Beschäftigten, die benötigt wird um festzustellen, wer überhaupt wahlberechtigt ist.

Bei Belden läuft es gut mit Betriebsrat

Rund 14 Kilometer südwestlich sitzt Anastasija Papadopoulou in ihrem Betriebsratsbüro bei Belden. Die Firma in Neckartenzlingen baut Netzwerkprodukte – Stecker, Kabel und technisch noch schwierigere Teile. "Neu ist, dass wir Pakete verkaufen, wo alles zusammenpasst, das macht sonst keiner und das läuft richtig gut", erklärt Papadopoulou sichtlich stolz. Seit 2006 vertritt die 51-jährige Deutsch-Griechin die Interessen ihrer etwa 700 KollegInnen. Erst als Betriebsrätin, seit 2014 als Vorsitzende. "Läuft", sagt die kleine, quirlige Frau.

"Hat aber gedauert. Fünf Jahre haben wir gebraucht, um mit den neuen Besitzern auf eine Ebene zu kommen, reden zu können." Denn Belden, die die Firma 2007 kauften, ist US-amerikanisch. Zunächst hätten sie nicht verstanden, was ein Betriebsrat ist, auch weil das etwas mit "Union" zu tun hat, also Gewerkschaft. Und Gewerkschaft "rotes Tuch". Doch mit viel Geduld und Spucke und geradem Rücken hätten sie und ihre KollegInnen es geschafft, die neuen Chefs davon zu überzeugen, dass es besser ist, mit der Belegschaft und deren Interessenvertretung zu reden, als ständig Unruhe in der Firma zu haben.

Nächste Woche wird bei Belden der Betriebsrat neu gewählt. Eine große Überraschung ist nicht zu erwarten, denn es gibt nur eine Liste, das heißt, die Beschäftigten können ihre persönlichen Favoriten ankreuzen, Persönlichkeitswahl also. Dennoch ist jede Kandidatin und jeder Kandidat gespannt, wie viele Stimmen sie beziehungsweise er bekommt. Ein gutes Ergebnis stärkt den Rückhalt und die Verhandlungsposition. Papadopoulou wird sicherlich wieder sehr gut abschneiden, sie ist eine anerkannte Kämpferin und Verhandlerin. Wenn Kollegen in Streit geraten, redet sie so lange mit ihnen, "bis die sich wieder eingekriegt haben", sagt sie, "bevor die nach oben rennen." Oben bedeutet Personalabteilung.

Eine originäre Betriebsratsaufgabe ist das nicht unbedingt, doch Papadopoulou kann nicht anders. Ihr Spitzname im Betrieb: "Mutter Teresa". Im Ernstfall ist sie 24 Stunden lang erreichbar, was nicht ohne Folgen bleibt. Im vorigen Oktober ist sie umgefallen, "200er Blutdruck", sagt sie, "aber im Krankenhaus haben sie nichts gefunden." Tritt sie jetzt kürzer? "Naja. Alle sagen immer, ich soll´s ruhiger angehen, aber wenn viel los ist, ist eben viel los."

Mit ihren Leuten kämpft sie um jeden Arbeitsplatz und damit um jede Kollegin und jeden Kollegen. Zwar müsste die Firma beispielsweise nicht alle Azubis übernehmen, aber sie tut es auch weil der Betriebsrat darauf drängt. Und sie suchen rund 70 neue Beschäftigte. Leiharbeiter, die gerne genommen werden, um Auftragsspitzen abzudecken, und die der Betrieb dann wieder einfach los wird, gibt es nicht bei Belden. "Wir haben einen Flexpool aufgebaut für die Montage", erklärt Papadopoulou, "wir nennen das die Hausfrauenschicht". Die Kolleginnen arbeiten 17,5 Stunden pro Woche und sind ziemlich flexibel. Die ist beliebt, weil sie für viele die Vereinbarkeit mit der Kindererziehung bedeutet. Tariflohn inbegriffen.

Kinderbetreuung war für Papadopoulou Anlass, für den Betriebsrat zu kandidieren. "Als ich 2000 meine Tochter bekommen habe, hat mein Chef abgelehnt, dass ich Teilzeit arbeite", erzählt sie. Zum Glück sei ihre Mutter da gewesen. Damals habe sie sich geschworen, das besser zu machen, "vor allem für die Frauen". Mit einigem Erfolg. Ärger wegen Teilzeit bekäme heute niemand mehr. Papadopoulou lächelt breit.

Wer übergriffig wird, fliegt

Gelernt hat sie Kommunikationselektronikerin Richtung Informationstechnik, damals bei Hirschmann in Mettingen, gegenüber vom Daimler. Seit ihrer Ausbildung ist Papadopoulou in der IG Metall, besuchte dort Seminare und Wochenendschulungen. Ihre Eltern sind vor knapp 60 Jahren als Gastarbeiter aus Griechenland gekommen, Tochter Ana ist in Wendlingen aufgewachsen. Griechin ist sie trotzdem irgendwie. Es sei nicht immer einfach, zwei Seelen in der Brust zu haben, aber es helfe auch, sagt Papadopoulou. Bei Belden arbeiten viele Menschen aus anderen Ländern als Deutschland oder mit anderen Wurzeln. Sollte jemand rassistisch werden, kennt sie keine Gnade. "Da schreiten wir sofort ein. Das lassen wir nicht zu.", sagt sie, genauso bei Sexismus: "Wenn hier einer übergriffig wird, fliegt er. Das ist auch schon passiert."

Den Problem-Betrieb in Unterensingen kennt Papadopoulou. Als Jugendliche hatte sie bei ST Stanztechnik einen Ferienjob. Ihre Mutter hat dort geschafft. Als sie krank wurde, hat man ihr gekündigt. Sie kennt die Mayers also, "die waren schon damals so …". Sie zieht die Augenbrauen nach oben. Jüngst war sie morgens um sechs vor dem Tor: Flugblätter verteilen. "Was da abgeht. Unmöglich!"

Bei ST Stanztechnik bereitet der Wahlvorstand jetzt die Betriebsratswahl für Ende April vor. IG-Metall-Sekretär Thomas Maier ist gespannt, ob die reibungslos laufen wird. "Nach den Erfahrungen bisher bin ich da misstrauisch", betont er und verweist auf 35 Betriebsratsgründungen, die er begleitet hat. Das hier sei der "krasseste Fall von Behinderung", den er je erlebt habe.


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