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Mieterhöhung der SWSG

Auf Kosten der Mieter

Mieterhöhung der SWSG: Auf Kosten der Mieter
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Die Wohnungsgesellschaft der Stadt Stuttgart wird wohl kommendes Jahr ihre Mieten erhöhen. Die offizielle Begründung: um mehr Wohnungen bauen zu können. Dabei hat sie dafür bereits ausreichend Geld auf der hohen Kante.

Immerhin: Oberbürgermeister Frank Nopper, CDU, hat die SWSG-Mieterinitiative Ende August zum Gespräch geladen. Bei Fritz Kuhn, dem grünen Vorgänger des Stuttgarter Oberbürgermeisters, hatten sie es vergeblich versucht. "OB Nopper hat sich angehört, was wir zu sagen haben", berichtet Ursel Beck von der Mieterinitiative. "Natürlich war auch Thomas Fuhrmann dabei." Der Wirtschafts- und Finanzbürgermeister (CDU) ist auch Aufsichtsratsvorsitzender der städtischen Wohnungsgesellschaft, die im nächsten Jahr ihre Mieten erhöhen will. Zuletzt war die Miete 2016 erhöht worden. 2019 hatte der Gemeinderat noch gegen eine Erhöhung votiert.

Stuttgart ist nach Angaben des Büros F+B, das seit 1996 jährlich den bundesweiten Mietspiegelindex erstellt, in punkto Mieten die teuerste Großstadt Deutschlands. Die Mieten steigen und steigen, zuletzt jährlich um 3,85 Prozent. Die Gehälter kommen da nicht mit. Und ein Ende ist nicht in Sicht. Die Durchschnittsmiete lag im vorigen Jahr bei 10,34 Euro pro Quadratmeter. Das macht bei einer 70-Quadratmeter-Wohnung 724 Euro kalt, wobei für die MieterInnen erst die Warmmiete den Ausschlag gibt, wie viel Geld noch zum Leben bleibt.

Dass die Durchschnittsmiete nicht höher ist, liegt an den Bestandsmieten. Wer in Stuttgart eine neue Wohnung sucht, muss dagegen von durchschnittlich 14,70 Euro pro Quadratmeter ausgehen – dann kostet die 70-Quadratmeter-Wohnung schon 1.029 Euro kalt. Bei Neubauten sind es sogar 18,30 Euro, in diesem Fall also 1.281 Euro.

Dies sind alles Zahlen aus dem städtischen Wohnungsmarktbericht, in dem auch steht, dass die Mietbelastung 30 Prozent des Nettoeinkommens nicht übersteigen sollte. Wobei sie in Stuttgart bereits im Durchschnitt bei 30 Prozent liegt, wenn man von der Warmmiete ausgeht sogar bei 34 Prozent. Doch dieser Durchschnitt sagt nicht viel aus. Wenn SpitzenverdienerInnen beispielsweise nur einen kleinen Teil ihres Einkommens für die Miete aufwenden, kann das bedeuten, dass Ärmere einen viel höheren Anteil zahlen müssen. Und tatsächlich: Elf Prozent der Stuttgarter MieterInnen, also mehr als 35.000 Haushalte, geben mehr als die Hälfte ihres Nettoeinkommens für die Kaltmiete aus. Betroffen sind gerade die niedrigen Einkommen. Wer weniger als 13.000 Euro netto verdient, zahlt durchschnittlich 55 Prozent davon für die Miete. Für alles andere bleiben dann weniger als 500 Euro.

Sozialwohnungen sind weiter Mangelware

KrankenpflegerInnen, ErzieherInnen, RentnerInnen – wer jeden Monat nicht genug nach Hause trägt, um sich die Mieten am Markt noch leisten zu können, hat prinzipiell Anspruch auf eine Sozialwohnung. Davon gibt es in Stuttgart aber nur 14.000, Tendenz sinkend. Das reicht bei weitem nicht aus. In den vergangenen 20 Jahren sank die Zahl sogar im Schnitt jedes Jahr um 200.

Einer Studie des Deutschen Instituts für Urbanistik aus dem Jahr 2015 zufolge, hätten schon damals 50.000 Stuttgarter Haushalte Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein gehabt. Nach Zeitungsberichten, die sich wiederum auf die Verwaltung berufen, sind es neuerdings sogar 100.000 Haushalte, also die Hälfte aller Mieterhaushalte. Es fehlen also bis zu 86.000 Sozialwohnungen.

Hier kommt die Wohnungsgesellschaft der Stadt Stuttgart (SWSG) ins Spiel, die städtische Wohnungsgesellschaft. Gegründet wurde sie nach der Weltwirtschaftskrise 1929, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Heute verfügt sie über fast 19.000 Mietwohnungen, darunter 7267 Sozialwohnungen und damit über mehr als die Hälfte aller Sozialwohnungen in Stuttgart. Die SWSG-Durchschnittsmiete liegt bei 7,54 Euro pro Quadratmeter – deutlich weniger als sonst, was allerdings auf den hohen Anteil an Sozialwohnungen und kostengünstigen Altbauwohnungen zurückzuführen ist. Neubauwohnungen kosten auch bei der SWSG, beispielsweise in der Keltersiedlung in Zuffenhausen, 12,50 Euro pro Quadratmeter, wie die Mieterinitiativen kritisieren.

Dass die SWSG nach sechs Jahren Mietenstopp nun die Mieten wieder erhöhen darf, hat der Gemeinderat im Juni beschlossen. Vorab wurde heftig debattiert. Kann man den Mieterinnen und Mietern mehr Geld abknöpfen, zumal viele im Corona-Jahr Einkommenseinbußen erleiden mussten? Die LinksfrAKktion war dagegen, die SPD wollte nur einen Inflationsausgleich in Höhe von einem Prozent genehmigen. Schließlich hat sich eine Mehrheit aus Grünen, CDU, FDP, Freien Wählern und AfD gegen eine Nullrunde ausgesprochen.

Stuttgarter Grüne finden höhere Mieten gerecht

Silvia Fischer, Gabriele Nuber-Schöllhammer und Jitka Sklenářová, die für die grüne Partei im SWSG-Aufsichtsrat sitzen, erklären auf Nachfrage per Mail, sie seien gegen eine Nullrunde, weil "nur wenige Mieter*innen in der Gesamtstadt" davon profitieren würden, "alle anderen Mieter*innen bei privaten Wohnungseigentümern nicht." Das heißt wohl: gerecht ist, wenn noch mehr Menschen hohe Mieten zahlen.

"Die turnusmäßig anstehende Erhöhung der Mieten wird sehr differenziert erfolgen", schreiben die grünen Aufsichtsrätinnen, "nach Lage/Ausstattung der Wohnung und der Leistungsfähigkeit der Mieter*innen." Gemeint ist damit, dass die Kaltmiete 30 Prozent des Einkommens der jeweiligen MieterInnen nicht überschreiten darf. Das war eine Idee von OB Nopper. Die Frage ist, wie dies vor sich gehen soll. Angedacht ist, dies an die Anträge auf Wohnberechtigungsscheine zu koppeln. Allerdings stellt nur ein Bruchteil der berechtigten MieterInnen einen Antrag – die Chancen, auf diese Weise zu einer Wohnung zu gelangen, sind zu gering. Nur 654 Wohnungen konnten 2020 vermittelt werden. Auf der Warteliste blieben 4634 Haushalte. Nochmal: bis zu 100.000 wären berechtigt.

Im Strategiepapier der Stadt, das im Juni beschlossen wurde, heißt es: "Die Mieten/Preise sollen die Kosten decken und eine angemessene Verzinsung erwirtschaften." Dass  VermieterInnen ihre Kosten decken müssen, bezweifelt niemand. Was aber ist eine angemessene Verzinsung? Das ist die Gretchenfrage. Vier Prozent weist der Geschäftsbericht aus. Ist das in Zeiten der Nullzinspolitik angemessen? Sind Geschäftsführergehälter um die 20.000 Euro im Monat angemessen?

Joachim Eyberg, Steuerberater aus Stuttgart-Vaihingen ist auf kommunale Unternehmen spezialisiert, interessiert sich deshalb auch für die SWSG und hat sich deren Geschäftsbericht näher angesehen. "So ein Geschäftsbericht verrät ja nicht alles", erklärt er. Zunächst ist der Gewinn mit 7,38 Millionen Euro angegeben. Das Geld geht in die Rücklagen. Mit zwei weiteren Rücklagebeträgen summiert sich der Jahresüberschuss aber auf 17,65 Millionen.

Und das ist noch nicht alles. Nach Abschreibungen in Höhe von 32 Millionen, die sich positiv auf die Bilanz auswirken, sowie Tilgungen, so Eyberg, ergäben sich Liquiditätsüberschüsse in Höhe von insgesamt 26 Millionen Euro, die wiederum für Investitionen in Bauvorhaben zur Verfügung stünden. Dazu kommen noch die so genannten stillen Reserven: Grundstücke, die im Wert gewaltig gestiegen sind. Sie tauchen in der Bilanz nicht auf.

Mit anderen Worten: Die SWSG muss nicht die Mieten erhöhen, um neue Wohnungen zu bauen. Und wenn die SWSG mehr Wohnungen bauen wolle, als sich mit den Überschüssen finanzieren lassen, sei die Stadt Stuttgart gefragt, ihr Kapital zu erhöhen, sagt der Steuerberater. "Es ist nicht die Aufgabe der Bestandsmieter der SWSG, durch ihre bestehenden und teilweise überhöhten Mieten oder durch weitere Mieterhöhungen Neubauten der SWSG zu finanzieren. Das ist unethisch."

Demo vor der Aufsichtsratssitzung

1137 Wohnungen hat die SWSG nach Auskunft der Stadt in den letzten vier Jahren neu gebaut. Davon sind aber nur 467 geförderte Wohnungen, einschließlich der Mietwohnungen für BezieherInnen mittlerer Einkommen (MME). Bei einem Verhältnis von zwei zu eins, also doppelt so vielen Sozialwohnungen wie MME, wie im Stuttgarter Innenentwicklungsmodell vorgesehen, sind das 310 Sozialwohnungen in vier Jahren. Im selben Zeitraum wurden aber auch ungefähr 300 Wohnungen abgerissen: in der Regel ältere Wohnungen, die oft weniger kosten als neue Sozialwohnungen. Unterm Strich hat die SWSG kaum mehr kostengünstige Wohnungen anzubieten als vorher.

Ein Manko, das sich leicht beheben ließe, findet Ursel Beck: "Die SWSG könnte jedes Jahr Millionen an Bankzinsen einsparen, wenn sie sich auf den Bau der fehlenden Sozialwohnungen konzentrieren würde. Dafür kann sie die Landesförderung von 80 Prozent der Baukosten für null Prozent Zinsen nutzen. Außerdem muss der jährliche Geldtransfer von der SWSG zur Stadt in zweistelliger Millionenhöhe für den Kauf von Erbpachtgrundstücken von der Stadt aufhören."

Tatsächlich bestätigt die Stadt auf Anfrage, dass sie ihrer eigenen Wohnungsgesellschaft Grundstücke verkauft: "Die Stadt wird auch weiterhin Grundstücke auf die SWSG als städtisches Tochterunternehmen übertragen." Die Ausgaben tragen die MieterInnen. Wie hoch sie sind, verrät die Stadt nicht: "Es werden grundsätzlich keine Detaildaten zur Grundstücksakquise der SWSG veröffentlicht."

Wie die anstehende Mieterhöhung konkret aussehen wird, muss der Aufsichtsrat der SWSG, in dem die Gemeinderatsfraktionen vertreten sind, noch beschließen. Auf der Sitzung am 20. September will die SWSG dem Aufsichtsrat ihr Konzept dazu vorstellen. Die endgültige Entscheidung soll am 8. November fallen. Die Linken fordern vorab in einem offenen Brief die Grünen auf, ihre Haltung zu überdenken. Die Mieterinitiativen verlangen, die Mieten um einen Euro pro Quadratmeter zu senken und rufen am 20. September um 18 Uhr zu einer Kundgebung vor dem Rathaus auf, wo an diesem Abend der Aufsichtsrat tagt.


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1 Kommentar verfügbar

  • Stefanie
    am 18.09.2021
    Antworten
    Zitat: "Die SWSG-Durchschnittsmiete liegt bei 7,54 Euro pro Quadratmeter"

    Es macht mich schon stutzig, dass die SWSG bei diesen bislang noch so günstigen Mieten und trotz des Umstandes, dass sie städtische Bauflächen ankaufen muss, trotzdem so satte Überschüsse erwirtschaftet.
    Da drängt sich mir…
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