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Es irrt der Hirt

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Wohlfeil ist es, einfach nur Beifall zu klatschen. Für die schlecht bezahlten PflegerInnen, die einen gemeinsamen Arbeitgeber haben: die Kirchen. Für mehr Lohn fühlen die sich nicht zuständig.

Kaum ein Bericht im Fernsehen, Radio oder in der Zeitung, der im Zusammenhang mit der Corona-Diskussion nicht die aufopfernde Arbeit der Helden im Gesundheitswesen lobend hervorgehoben hätte. Aber kaum ein Bericht darüber, wer neben dem Staat eigentlich der größte Arbeitgeber in Krankenhäusern, Kindertagesstätten, Alten-, Behinderten- und Jugendhilfe-Einrichtungen in Deutschland ist. Es sind die evangelische und katholische Kirche mit über einer Million Mitarbeitenden, vorwiegend Frauen. Damit verbunden sind Einfluss und politische Macht, mit denen die Arbeitsbedingungen bestimmt werden, die sich wiederum nach den Gesetzen des Marktes richten. Hier verhalten sich Kirchen nicht anders als andere, voll auf Wettbewerb und Unternehmenskonzentration fixiert.

Auch kirchliche Initiativen hatten dazu aufgerufen, sich mit diesen "wahren Helden" zu solidarisieren, Kerzen als "Licht der Hoffnung" ins Fenster zu stellen, "Freude schöner Götterfunken" abzuspielen und zur Bekämpfung von Corona bei Glockengeläut zu beten, um so den Dienst für die Gesellschaft zu würdigen. Das mochte nun manch' schlechtes Gewissen beruhigen, erschien aber anderen zu wenig. Auch im Hinblick auf die tatsächliche Rolle der Kirchen, die über ihre Caritas (katholisch) und Diakonie (evangelisch) ein mitentscheidender Player in diesem Sektor sind.

Dazu schrieben nun etliche bekannte Personen einen offenen Brief an den Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, und an den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, und verlangten, sie mögen sich dafür einsetzen, dass Caritas und Diakonie mit gutem Beispiel vorangehen. Wenn Kirche glaubwürdig bleiben wolle, so hieß es, sollte auch für die Bischöfe gelten: "Statt Klatschen auf dem Balkon – gerechter Lohn".

Die Liste der Unterzeichner konnte sich sehen lassen: Nikolaus Brender, ehemaliger Chefredakteur ZDF; Matthias Deutschmann, Kabarettist Freiburg; Maria Etl, Bundesvorsitzende der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung Deutschlands; Peter Grohmann vom Bürgerprojekt Die Anstifter; Detlev Höhne, Aufsichtsratsvorsitzender Mainz 05, Prof. Dr. Carsten Kühl, Ex-Finanzminister; Prof. Eberhard Linke, Bildhauer; Klaudia Martini, Staatsministerin für Umwelt a.D. und Vorstand der Adam Opel AG; Prof. Dr. Thomas Münzel, Kardiologe an der Uni Mainz und Vorstand der Stiftung Mainzer Herz; Fritz Röhm, Ehrenvorsitzender der Offenen Kirche, Sükrü Senkal, ehemaliges Mitglied der Bremer Bürgerschaft; Marion von Wartenberg, Staatssekretärin a.D. und Sarah Wiener, Unternehmerin, Fernsehköchin und seit 2019 als parteilose Abgeordnete im Europaparlament.

Vom Balkon kein gerechter Lohn

Antworten ließ bisher nur Bedford-Strohm. Er mische sich "nicht direkt in die Politik ein", teilte er mit, sondern begleite die politisch Handelnden "aus christlicher Perspektive". Was die Diakonie anbelange, so arbeite selbige "eigenständig", ergo könne er für sie keine Zusagen machen. Aber er wünsche "viel Kraft und Zuversicht in dieser schwierigen Zeit". Nach "Zusagen" haben die Briefschreiber erst gar nicht gefragt, sondern gebeten, er solle seinen Einfluss geltend machen.

Ganz nebenbei: In diesen Kreisen pflegt man eine besonders subtile Form, seinem Gegenüber Geringschätzung auszudrücken. Bischof Bedford-Strohm antwortet nicht selbst, sondern lässt eine vornamenlose "Mitarbeiterin im Team Info-Service der evangelischen Kirche" schreiben – ihre Antwort hier.

All das empfindet Uli Maier als Hohn. Er ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Mitarbeitervertretungen der Diakonie Württemberg, und arbeitet als Heilerziehungspfleger in der Diakonie Stetten, eine der großen Sozialeinrichtungen der evangelischen Kirche. "Seit Jahren mischt sich die Kirchenleitung skrupellos in die inneren Angelegenheiten unserer Einrichtungen ein", sagt er, "um kircheneigenes Arbeitsrecht durchzusetzen, um einen Wettbewerbsvorteil im Sozialmarkt zu holen". Wenn es um bessere Arbeitsbedingungen, um bessere Bezahlung, um Tarifverträge gehe und darum, das Tarifdumping zu beenden", kritisiert Maier, "stiehlt sich der Bischof aus der Verantwortung". Das müsse ein Ende haben – "klatschen reicht nicht aus!"

Wie groß der Einfluss der Kirchenoberen auf die Diakonie ist, sieht man an den Namen und Funktionen der Mitglieder der Aufsichtsgremien. Vorsitzender des Aufsichtsrates der "Diakonie Deutschland" beispielsweise ist Markus Dröge, Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Der Rat der EKD, und damit Heinrich Bedford-Strohm, entsendet nach der Satzung direkt eine Person (Jacob Joussen, Ruhr-Universität Bochum), Sitz und Stimme haben Jochen Cornelius-Bundschuh, der Landesbischof der Evangelischen Landeskirche in Baden, Stephanie Springer, Präsidentin Landeskirchenamt der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers und Johann Weusmann, Vizepräsident, Landeskirchenamt der Evangelischen Kirche im Rheinland.

Genauso nachhaltig ist der Einfluss der Bischöfe auf katholischer Seite. Die Satzung des "Caritasverband für Stuttgart e.V." regelt, dass der Verband unter der Aufsicht des Bischofs von Rottenburg-Stuttgart steht. Der Leiter der Hauptabteilung Caritas des Bischöflichen Ordinariates nimmt an den Mitgliederversammlungen teil, ebenso der Stadtdekan und der Verwaltungschef des Katholischen Stadtdekanats Stuttgart.

Fritz Röhm, der Ehrenvorsitzende der (liberalen) Offenen Kirche, fragt nun den evangelischen Ober-Bischof, ob es fair war, bei der Talksendung "hart aber fair" besseren Lohn für Pflegekräfte zu fordern, sich aber im eigenen Bereich der (kirchlichen) Diakonie nicht dafür einzusetzen.

Sylvia Bühler, im Verdi-Bundesvorstand für Gesundheit und Kirchen zuständig, hält Bedford-Strohm vor, dass eine Pflegehilfskraft nach zehn Jahren Arbeit bei der Diakonie fast 14 Prozent weniger verdient als wenn sie im öffentlichen Dienst tätig wäre. Die Kirchen könnten mit ihrer "Marktmacht" im Gesundheits- und Sozialwesen soziale Berufe aufwerten, wenn sie ihren tariflichen Sonderweg aufgeben. "Gewerkschaftliche Rechte dürfen nicht vor kirchlichen Krankenhäusern und Altenpflegeeinrichtungen enden."

Und Matthias Deutschmann, der Kabarettist aus Freiburg sagt und fragt zugleich: "Es irrt der Hirt: Der EKD-Ratspräsident lässt antworten, er habe keinen Einfluss auf den Sozialdienst seiner Kirche, erhoffe sich aber eine bessere Bezahlung der Pflegekräfte. Was ist das für ein Kirchenmann, der lieber auf dem Balkon 'Danke' singt, als dass ihm das Wort Gerechtigkeit über die Lippen käme. Irre!"


Der Autor gehört zu den Unterzeichnern des Offenen Briefs an Bedford-Strohm.


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5 Kommentare verfügbar

  • D. Hartmann
    am 04.05.2020
    Antworten
    Hirtenknabe! Hirtenknabe!
    Dich auch pflegt man dort einmal.
    (Frei nach Ludwig Uhland)

    Gut, nur vielleicht und wenn, dann kann sich ein ehemaliger Landesbischof aufgrund der Höhe seines beamtengleichen Ruhegehalts natürlich die Pflege in einer gehobenen Einrichtung leisten. Dort wird der…
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