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Filstal im Krisenmodus

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Die Autoindustrie muss sich umorientieren, Auftragsbücher sind nicht mehr prall gefüllt, und das erste, was Managern einfällt: Leute rauswerfen. Beobachten lässt sich das entlang der B10 im Filstal. Rund 2000 Industriearbeitsplätze stehen im Landkreis Göppingen auf der Kippe.

Wie ein Warnschild steht das Flipchart im Besprechungsraum der IG Metall Göppingen. Darauf eine lange Liste mit Firmennamen, dahinter eine Zahl, 60, 200, 600. Es sind die Stellen, die dort gestrichen werden sollen. Jedenfalls wenn es nach den Geschäftsführungen geht. "Wir rechnen derzeit mit etwa 2000 Industriearbeitsplätzen, die in den nächsten anderthalb Jahren hier wegfallen sollen", sagt Martin Purschke. Der schlaksige Zwei-Meter-Mann ist der Chef der örtlichen IG Metall und gemeinsam mit seinen Gewerkschaftskolleginnen und -kollegen seit Monaten im Filstal unterwegs um zu mobilisieren, informieren und zu verhandeln. Nicht immer ist der Konjunkturrückgang die Ursache für den betrieblichen Krisenmodus. Purschke begegnen auch "desolate interne Strukturen, betriebliche Umstrukturierungen, schlichte Gewinnmaximierungen".

Letzteres trifft auf die WMF zu, die Württembergische Metallwarenfabrik mit Stammsitz in Geislingen. 2012 hatte sich die US-amerikanische Beteiligungsgesellschaft KKR mit hohem Anteil in die WMF eingekauft, 2016 ging das Unternehmen für mehr als 1,5 Milliarden Euro an den französischen Hersteller von Haushaltsgeräten SEB, dem auch Marken wie Tefal, Silit, Rowenta und Moulinex gehören. In Geislingen, wo die WMF im 19. Jahrhundert gegründet wurde, sollen jetzt 400 Arbeitsplätze gestrichen werden. Zum einen soll die Kochtopfproduktion geschlossen werden, zum zweiten soll die Verwaltung neu strukturiert werden. Bekannt sind die Pläne seit geraumer Zeit, und genauso lange wehren sich die Geislinger. In Anlehnung an "Fridays for Future" treffen sich unter dem Slogan "Mondays for Jobs" jeden Montag um fünf vor zwölf Aktive aus dem Werk und Solidarische aus der Stadt vor Tor 1 der WMF und umrunden das Riesenwerk. Mit aktuell 1800 Beschäftigten ist WMF der größte Arbeitgeber in der 28 000-Einwohnerstadt.

Vor WMF müsste halb Geislingen auf den Beinen sein

An diesem Montagmittag kommen rund 140 Frauen und Männer zusammen, um trotz bitterer Kälte in gelben Warnwesten zu protestieren. Dabei ist auch der Vorsitzende des Personalrats der Geislinger Stadtverwaltung Ulrich Feitz. "Eigentlich ist jeder betroffen, denn jeder hat einen Verwandten oder Bekannten, der bei der WMF schafft", sagt er. Außerdem bedeuteten weniger Arbeitsplätze auch weniger Steuereinkommen für die Stadt und von Steuern würden schließlich nicht nur die Gehälter der städtischen Angestellten bezahlt, sondern auch Straßen, Kindergärten und so weiter. "Eigentlich müsste hier halb Geislingen auf den Beinen sein", findet Feitz.

Günther Härringer treibt die Wut raus. Er ist Betriebsrat bei WMF, arbeitet dort im Service Kaffeemaschinen. "170 Jahre lang hat die WMF vor Ort soziale Verantwortung gezeigt. Mit den Franzosen ist alles anders. Die wollen einfach nur mehr Gewinn machen." "Wir haben keine Not", bestätigt sein Betriebsratsvorsitzender Frank Schnötzinger. "Im Gegenteil. 2018 war das Rekordjahr schlechthin." Der Plan der Geschäftsführung sei, sich in Geislingen auf die erfolgreichen WMF-Kaffeemaschinen zu konzentrieren. "Früher, als es bei den Kaffeemaschinen mal nicht so lief, haben die Kochtöpfe das ausgeglichen und umgekehrt", erinnert sich Schnötzinger. "Heute ist jeder Zweig eigenständig und wenn einer mal nicht so läuft, heißt es gleich: weg damit." Dass die SEB nicht zimperlich mit ihren Betrieben umgeht, weiß er. "Als die SEB Rowenta gekauft hat, arbeiteten da 2000 Leute, heute sind's noch 180."

In den nächsten Wochen werden die Verhandlungen mit dem WMF-Management beginnen. Die Forderungen der Gewerkschaft lauten: keine betriebsbedingten Kündigungen und Standortsicherung. Schnötzinger: "Ich bin gespannt. Bislang hat die SEB gesagt: Sowas haben wir noch nie verhandelt." IG-Metall-Chef Purschke lacht. "Tja, irgendwann ist immer das erste Mal."

Auch im Nachbarort Göppingen gehen montagmittags mittlerweile Leute vors Tor und zwar vor das von Schuler. Der vor 180 Jahren gegründete Pressenbauer beschäftigt in der Kreisstadt noch rund 1300 Frauen und Männer, weltweit sind es 6600. Purschke: "Hier schließen sie die Neumaschinen-Produktion, das sind so 245 Arbeitsplätze. Damit ist jegliche Produktion hier weg." Auch in Erfurt und an anderen deutschen Standorten werden Produktions-Arbeitsplätze gestrichen, insgesamt rund 500. Die Aufträge sollen in den Werken in Brasilien und China abgearbeitet werden. Die Schuler AG, die der österreichischen Andritz AG gehört, begründet das mit "veränderten Wettbewerbsbedingungen und dem gestiegenen Kostendruck" und nennt das Ganze "Zukunftskonzept". In Göppingen bleiben demnächst nur noch Verwaltung und Entwicklung übrig.

Mancher Manager scheint überfordert

Erst vor zwei Jahren wurde mit großem Promi-Tamtam der 54 Meter hohe "Schuler Innovation Tower" eingeweiht. Um die große Verbundenheit mit Schuler zu unterstreichen, beschloss der Gemeinderat damals, die neue Adresse "Schuler-Platz 1" zu nennen. Purschke: "Da kann die Stadt ja noch ein Einkaufszentrum reinpacken, wenn Schuler auch noch Verwaltung und Entwicklung verlagern." Manchmal hilft nur Sarkasmus. "Ich erwarte nichts mehr von unseren Lokalpolitikern", erklärt Purschke. "Vom Oberbürgermeister Guido Till und aus dem Landkreis kommen nette Worte für die Belegschaften, aber industrie- oder gar strukturpolitische Überlegungen sucht man hier vergebens."

Weiter auf der B10 gen Norden nach Uhingen. Der Ort wird von Allgaier beherrscht, der Firma, die dem ehemaligen Arbeitgeberpräsidenten Dieter Hundt gehört, der heute Aufsichtsratschef ist. 2017 feierte die Allgaier Group das erfolgreichste Jahr ihrer Geschichte: 445,5 Millionen Euro Umsatz und damit 30 Prozent mehr als im Vorjahr. Mit der IG Metall wird derzeit verhandelt über den "sozialverträglichen" Abbau von 108 Stellen im Werkzeugbau in Uhingen bei Allgaier Automotive. Laut Unternehmensmitteilung ist "der Auftragseingang seit geraumer Zeit massiv rückläufig", zudem holten die großen Automobilbauer zunehmend Arbeiten, die einst ausgelagert worden waren, zurück ins eigene Werk.

Letzteres sieht auch der zuständige IG-Metall-Mann als Trend. "Die großen Automobilisten wollen ihre eigenen Kapazitäten auslasten", sagt Purschke. Den angeblichen massiven Auftragsrückgang allerdings kann er nicht nachvollziehen. "Die waren jahrelang zu 120 Prozent ausgelastet, nun sind es noch 100 Prozent. Also eigentlich normal." Es sei schon merkwürdig, wie wenig Geld in vielen Unternehmen vorhanden sei, nach fast zehn fetten Jahren. Er sehe sich in seinen diversen Verhandlungen zunehmend "Schönwettermanagern" gegenüber, sagt Purschke. "Als das Geschäft von alleine lief, mussten die nix machen. Jetzt braucht es Ideen und da scheint mancher reichlich überfordert."

Im benachbarten Ebersbach ist der Kampf um die 300 Arbeitsplätze bei Accuride, ehemals Südrad, bereits durch. Dort geht es nun noch um den Sozialplan. Mitte 2021 schließt der US-amerikanische Mutterkonzern den Standort, den er erst 2018 gekauft hatte mit der Ankündigung, Marktführer werden zu wollen. Passiert ist dann allerdings nichts. "Dass Stahlfelgen kein Zukunftsprodukt sind, war ja nun seit geraumer Zeit klar", sagt Purschke zynisch. "Da hat sich nie jemand um ein Zukunftsprodukt gekümmert." Besonders schwierig sei, dass viele der langjährig Beschäftigten über 50 Jahre alt seien und es sich vor allem um Un- und Angelernte handle. Für diese Kolleginnen und Kollegen neue Jobs zu finden, dürfte schwierig werden. Entsprechend gehe es in den Verhandlungen mit der Geschäftsführung vor allem darum, den Übergang in die Rente abzufedern.

Automobilisten halten sich zurück mit Investitionen

Im südlich der B10 gelegenen Hattenhofen macht die Schweizergroup der IG Metall Kopfzerbrechen. Hier hat in diesem Jahr das US-Beratungsunternehmen Marabec die insolvente Schweizer Group gekauft, doch 110 Arbeitsplätze seien schon gestrichen worden, sagt Purschke. Noch arbeiteten in Hattenhofen 250 Leute, allerdings fertige der Automobilzulieferer Alu-Druckgusserzeugnisse, die vor allem für den Verbrennungsmotor benötigt werden. "Das ist klar: Die müssen sich was Neues überlegen."

Die Liste der Unternehmen in der Region, die Jobs streichen, gestrichen haben oder streichen wollen, lässt sich verlängern. Mahle, EMAG, Saxona, Ex-Cell-O, Fysam – die eingangs geschätzten 2000 Industriearbeitsplätze, die Martin Purschke im Landkreis Göppingen gefährdet sieht, seien übrigens nur die halbe Wahrheit. Denn: "Leiharbeiter und Befristete sind da gar nicht mitgezählt."

Dennoch sieht er bei Maschinen- und Werkzeugmaschinenbauern keine Krise wie 2008/09. "Die Automobilisten halten sich gerade mit Investitionen zurück, aber das kommt wieder. Ich schätze, dass das kommende Jahr überbrückt werden muss und dann zieht es wieder an. Das heißt, wir brauchen Kurzarbeit, die voll durchgeht. Wir verhandeln über Arbeitszeitreduzierung und Qualifizierungsprogramme." Im Vergleich zur Krise vor zehn Jahren allerdings hat Purschke jetzt häufig den Eindruck, Managern gegenüberzusitzen, die wenig Ahnung haben. "Die waren damals noch nicht dabei, kommen oft aus anderen Branchen – die müssen jetzt lernen." Mit regionaler Verantwortung brauche man angestellten Geschäftsführern in global aufgestellten Unternehmen nicht zu kommen. "Die sind rein zahlengetrieben. Da kommt von oben die Anweisung, soundso viel Gewinn zu machen und die vor Ort müssen umsetzen. Wenn ich denen sage, ändert doch die Zahl, sind die immer ganz irritiert", hat Purschke festgestellt.


Info:

Am kommenden Freitag, 22. November, 15 Uhr, ruft die IG Metall Baden-Württemberg zu einer Demo auf dem Stuttgarter Schloßplatz auf. Unter der Überschrift "Jobabbau? Zukunftsklau? Halbschlau!" will sie gegen angekündigte Stellenstreichungen und Sparprogramme mobilisieren.


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2 Kommentare verfügbar

  • Waldemar Grytz
    am 22.11.2019
    Antworten
    Die Region Stuttgart als "Detroit 2;0" wird es wohl so nicht geben, aber wo war die IG Metall mit ihren Aufsichts- und Betriebsräten, "think tanks" und Stiftungen in den letzten 10 bis 20 Jahren, wenn es um die Entwicklung von Alternativen zur Erdöl abhängigen Mobilität ging? Und wer hat das Konzept…
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