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Viele kleine Bierbrauer

Viele kleine Bierbrauer
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Na denn Prost, dachte mancher Biertrinker, als im vergangen Jahr die weltweit größte Brauerei AB InBev ihren Konkurrenten SAB Miller schluckte. Doch die Megafusion löst offenbar keine Panik unter den hiesigen Familienbetrieben aus – im Gegenteil: Die Zahl der Brauereien und Biersorten legt zu.

Keine falsche Bescheidenheit: "Braurevolution" haben die Gesellen Marc Schmidt (28) und Felix Ungerer (26) vollmundig ihre eigene kleine Brauerei im schwäbischen Notzingen, Kreis Esslingen, genannt. Statt nach Standardrezept Export und Pils zu gären, experimentieren die Jungunternehmer im Sudkessel. Je nach Jahreszeit reifen so neben dem klassischem "Aufruhr", einem naturtrüben Export, und "Revolte", dem dunklen Hefeweizen, weniger bekannte Biersorten wie Drei-Korn-Ale oder unfiltriertes Bier Kölscher Art in den Gärtanks.

Ihre "Braurevolution" haben Schmidt und Unger im vergangen Jahr zeitgleich zu einer weit größeren Umwälzung in der Bier-Welt gegründet: Der größte Brauereikonzern der Welt, die belgisch-brasilianische Anheuser-Busch InBev (AB InBev), schluckte die englische SABMiller, die weltweite Nummer Zwei bei Bier. 103 Milliarden US-Dollar (93,8 Milliarden Euro) zahlte der Branchenprimus für die Übernahme seines größten Konkurrenten. Damit ist der Zusammenschluss der Biergiganten die viertgrößte Unternehmensfusion der bisherigen Wirtschaftsgeschichte.

Trotz dieser Mega-Fusion strahlen Schmidt und Ungerer Zuversicht aus: "Wir sind das krasse Gegenteil von AB InBev. Nicht nur nach Größe, sondern auch nach unserer Philosophie: Wir brauen Biere mit Hopfen, Malz und Leidenschaft", betont Schmidt.

Global rückläufig: Bierdurst

Beunruhigen könnte so manche Brauer dennoch, dass es mit der Leidenschaft auf Verbraucherseite global gesehen mau aussieht: Weltweit wird immer weniger Bier getrunken. Noch liegen keine endgültigen Zahlen vor, doch Experten erwarten, dass die Produktion 2016 zum dritten Mal in Folge gesunken ist. Ein Jahr zuvor flossen rund um den Globus noch 1,93 Milliarden Hektoliter Bier (das sind gut 770 randvolle olympische Schwimmbecken) durch durstige Kehlen. Hierzulande, wo man 2016 das 500. Jubiläum des Deutschen Reinheitsgebots feierte, fällt die Bilanz gleichfalls ernüchternd aus. Im vergangenen Jahr konnten deutsche Brauereien zwar insgesamt mehr als 96 Millionen Hektoliter Bier verkaufen und damit das Ergebnis des Vorjahres leicht übertreffen. Das leichte Plus von 0,3 Millionen Hektoliter geht aber vor allem auf die wachsende Nachfrage nach deutschen Bieren in Übersee zurück.

Laut Deutschem Brauer Bund (DBB) kletterte bis Ende November 2016 die Bierexporte um 4,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Mit 15,7 Millionen Hektolitern wurde in elf Monaten so viel deutsches Bier ausgeführt wie nie zuvor. Besonders in Asien und Amerika wächst die Nachfrage nach German Bier. Insgesamt verteidigte Deutschland seine Spitzenposition als größte Brauernation in Europa, weltweit belegt es Platz 4 hinter China, den USA und Brasilien.

Besonders geprägt wurde das vergangene Bierjahr von AB InBevs Expansionsdurst, und welche Dimension dieser Bier-Deal hat, zeigen die Konzernzahlen: AB InBev braute in 2015 fast 457 Millionen Hektoliter Bier und setzte damit über 43 Milliarden US-Dollar um. Zum Braugiganten gehören internationale Biere wie Budweiser, Corona, Stella Artois, Leffe sowie in Deutschland Beck's, Diebels, Hasseröder sowie Spaten, Löwenbräu und Franziskaner Weissbier aus München. Hierzulande produziert das Unternehmen an vier Standorten mit rund 2700 Mitarbeitern jährlich bis zu 9 Millionen Hektoliter Bier. Weltweit beschäftigt AB Inbev etwa 150 000 Mitarbeiter in 26 Ländern.

SABMiller, die Pilsner Urquell sowie in China das meistverkaufte Bier der Welt namens Snow im Portfolio haben, produzierte 2015 rund 249 Millionen Hektoliter. Für den Konzern arbeiten rund 70 000 Menschen in mehr als 80 Ländern. Letztlich entstand durch die Fusion ein Brauerei-Gigant, aus dessen Sudkessel mehr als jedes dritte Bier kommt, das weltweit getrunken wird. Mindestens 5500 Stellen sollen nach der Übernahme in den kommenden drei Jahre wegfallen.

Bier-Einerlei durch Megafusion? Sachte.

Die Mega-Fusion schmeckt deshalb nicht jedem. Zwar sind Zusammenschlüsse von Unternehmen grundsätzlich erlaubt und "als Ergebnis einer freiheitlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung auch erwünscht", meint das Bundeskartellamt. Sie können aber auch nachteilig für den Wettbewerb sein, warnt die Behörde zugleich: "Den zusammengeschlossenen Unternehmen kann es künftig leichter fallen, Preiserhöhungen, Qualitätsverminderungen oder andere Verschlechterungen seines Angebots am Markt durchzusetzen." Nach dem Gesetz müssen die Kartellwächter eine Fusion untersagen, sollte diese wirksamen Wettbewerb erheblich behindern. "Dies ist insbesondere der Fall, wenn zu erwarten ist, dass durch den Zusammenschluss eine marktbeherrschende Stellung erlangt oder verstärkt wird", sagt das Kartellamt.

Bald also Bier-Einerlei auch im Land von Hopfen und Malz? Sachte. Branchenkenner schließen momentan ein derartiges Szenario für den deutschen Biermarkt aus. Obwohl dieser in der Vergangenheit große Umbrüche erlebte, die vor allem auf Kosten mittelgroßer Brauereien gingen. Traditionsreiche Brauereien wurden von Konkurrenten aufgekauft, oder verschwanden gar ganz von der Bildfläche. So existierten etwa in Stuttgart bis in die Siebziger Jahre fünf große Brauereien. Heute sind es noch zwei. Anfang 1971 übernahm die Familienbrauerei Dinkelacker zunächst die alteingesessene Brauerei Wulle, sechs Jahre später auch die Brauerei Sanwald. 1996 schlossen sich die Stuttgarter Traditionsbrauereien Dinkelacker und Schwaben Bräu zusammen. Die Dinkelacker-Schwaben Bräu AG wiederum wurde am 1. Oktober 2004 von InBev geschluckt. Im selben Jahr stieg die Radeberger Gruppe, ein Unternehmen des Bielefelder Familienkonzerns Oetker, mit 49 Prozent bei Stuttgarter Hofbräu ein. 2007 kaufte Wolfgang Dinkelacker, Urenkel des Firmengründers Carl Dinkelacker, Dinkelacker-Schwaben Bräu wieder dem Braukonzern Inbev ab und überführte sie wieder in Familienbesitz. 2010 übernahm die Radeberger Gruppe die restlichen Anteile an Stuttgarter Hofbräu.

Stefan Seipel jedenfalls schreckt die Megafusion nicht auf. "Unsere regionalen Marken haben sich gut entwickelt", betont der Marketingleiter der Familienbrauerei Dinkelacker Schwabenbräu, die heute mit einem jährlichen Bierausstoß von 750 000 Hektolitern zu den größten mittelständischen Brauereien im Land zählt. Das "Wulle-Bier", das man seit 2008 als Reminiszenz an die einstige Stuttgarter Traditionsbrauerei braut, lege im Absatz ständig zu. "Wir sehen unsere Stärke darin, flexibel am Markt operieren zu können, nah am Kunden, am Geschmack der Menschen aus der Region", unterstreicht Seipel.

Trotz Fusionen steigt die Zahl der Brauereien sogar

Nein, Panik scheint der neue Biergigant unter den hiesigen Familienbetrieben wirklich nicht auszulösen. Im Gegenteil: Trotz Fusionen und Übernahmen steigt die Zahl der Brauereien kontinuierlich. Im Jahr 2015 zählte das Statistische Bundesamt 1388 Betriebe. Zwanzig Jahre zuvor waren es noch 106 weniger gewesen. Der Zuwachs basiert jedoch vor allem auf Gründung kleiner Brauhäuser. Heute befindet sich fast die Hälfte der Brauereien (626) in Bayern, wo auch mit rund 23 Millionen Hektoliter das meiste Bier gebraut wurde. Mit 190 Brauereien folgt Baden-Württemberg, wo rund 6 Millionen Hektoliter Bier erzeugt wurden. Nordrhein-Westfalen nimmt den dritten Platz mit 125 Brauereien ein. Dort wurde mit rund 20 Millionen Hektoliter die zweithöchste Menge Bier in einem Bundesland hergestellt.

"Deutschland hat schon heute eine weltweit einmalige Biervielfalt. Wir gehen davon aus, dass 2017 nicht nur die Zahl der Brauereien, sondern auch die Zahl der Marken weiterwachsen wird", blickt Brauer-Bund-Präsident Hans-Georg Eils optimistisch in die Zukunft. Nach seinen Angaben stehen die rund 1400 deutschen Brauereien mittlerweile für rund 6000 verschiedene Biermarken, das sind etwa 1000 mehr als noch vor zehn Jahren. Jede Woche kommt mindestens ein neues Bier auf den Markt. Das wachsende Angebot an Hopfen- und Malzsorten lässt auch die Vielfalt deutscher Craftbiere wachsen.

Allerdings: Nur eitel Sonnenschein herrscht auch nicht. Wachsende Biervielfalt und steigende Zahl an Brauerei-Gründungen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Braubranche nach wie vor unter Druck steht. "Die größten Herausforderungen bleiben der demografische Wandel, die starken Kostensteigerungen, der weiterhin hohe Wettbewerbsdruck und der unverantwortliche Preiskampf des Handels", betont DBB-Hauptgeschäftsführer Holger Eichele. Letzteres bestätigt der Bundesverband des Deutschen Getränkefachgroßhandel (BV-GFGH): Heute werden drei von vier nationalen Bieren zu Schleuderpreisen verkauft. In Sonderaktionen verscherbeln große Einzelhandelsketten wie Kaufland den Kasten Markenbier für fünf bis zehn Euro. Nur noch ein Viertel der Bierkästen wird zum Normalpreis abgesetzt. "Das Bier hat in Supermärkten die Lockfunktion vom Waschmittel übernommen", sagt BV-GFGH-Geschäftsführer Günther Guder.

"Der Markt ist zweigeteilt, in große und kleine Brauereien", sagt auch Roland Demleiter vom Verband Private Brauereien. Der Verband vertritt rund 800 mittelständische Braubetriebe, die mit einem jährlichen Ausstoß zwischen 1000 und 250 000 Hektoliter rund 15 Prozent der deutschen Bierproduktion erzeugen. Die Mega-Fusion zwischen AB InBev und SAB Miller lässt den Verbandsgeschäftsführer kalt. "Das ist kein Thema, das uns tagtäglich bewegt", sagt er. Denn die Konzerne wären auch schon vor Zusammenschluss im hiesigen Markt mit ihren Biermarken präsent gewesen.

Auch beim Gerstensaft: Trend zu regionalen Produkten

Natürlich könne der neue Großkonzern seine Kostenstrukturen weiter optimieren und noch günstiger produzieren als die meist familiengeführten Mitgliedsbetriebe, gesteht Demleiter zu. Mit Schnäppchenangeboten im Supermarkt könnten kleinere Brauereien jedoch schon heute nicht mithalten. "Unsere Betriebe bieten regionale, unverfälschte und frische Bierspezialitäten, die in der Nähe des Kunden produziert werden. Das kann keine Großbrauerei bieten", nennt Demleiter als entscheidenden Wettbewerbsvorteil. "Wir profitieren vom Trend hin zu hochwertigen regionalen Produkten", betont er.

Solche wie die der Notzinger "Braurevolution": "Im Sommer brauen wir eher hopfige und süffige, im Winter mehr malzige und süße Biere", erläutert Marc Schmidt das Rezepturrepertoir. Derzeit im Angebot: ein schwäbisches Stout an, das durch kräftigen Geschmack, milden Alkoholgehalt und das tiefschwarze Glas mit der weißen Creme in die kältere Jahreszeit passt. Mit speziellen Biersorten rege man die Leute an, auch mal etwas Neues auszuprobieren, glauben die Jungbrauer Schmidt und Ungerer.

"Schnäppchenjäger kommen nicht zu uns. Wir betreiben ein Handwerk, das seinen Wert und Preis hat", sagen sie selbstbewusst. Auch wenn von Vorteil ist, dass ihr Betrieb im wohlhabenden Stuttgarter Speckgürtel sitzt. "Die Leute verdienen hier gutes Geld, mit dem sie sich regionale Produkte leisten können", sagt Schmidt.

Bislang löste die "Braurevolution" auf dem örtlichen Biermarkt zwar keine Revolte aus. Im Vergleich zu den großen Braukonzernen ist der Ausstoß der Notzinger auch viel zu gering. Im Premierenjahr brauten die Jungunternehmer gerade mal 700 Hektoliter. Fast 95 Prozent wurde direkt im Laden verkauft, der Rest ging an zwei Bars in Kirchheim und Stuttgart. "Wir leben gut von unserem Bier", bekräftigt Schmidt. So gut sogar, dass die Mini-Brauerei in diesem Jahr bereits expandieren will. 


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2 Kommentare verfügbar

  • Ernst Hallmackeneder
    am 28.02.2017
    Antworten
    Ich tue es nur ungern, aber man wird doch noch einmal sagen dürfen, daß unser allmächtiger HERR bei der Schöpfung der Herren als Systemplaner ziemlich versagt hat: Einerseits natürliches, bekömmliches und gesundes veganes* Bier als Grundnahrungsmittel vorschreiben - andererseits mußt du bereits nach…
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