Natürlich kennt Kefer alle Fakten, als er am 12. September 2009 bei der Bahn antritt. Der gebürtige Koblenzer, der Maschinenbau und Elektrotechnik studiert hat, ist zuständig für Technik, Systemverbund und Dienstleistungen in der DB AG wie auch bei der Tochter DB Mobility Logistics. Hätte er tatsächlich für Transparenz sorgen wollen, so ist zu vermuten, wäre er schwerlich ins gut bezahlte Amt (Jahresgehalt 2012 laut Geschäftsbericht: gut 1,3 Millionen Euro) gekommen. Vor einer guten Woche, als Kefer seinen Abgang öffentlich macht, widmen ihm die Wirtschaftsteile der großen Zeitungen üppiges Lob. Die "Wirtschaftswoche" preist Kefer als einen der fähigsten Manager im ganzen Unternehmen, als "Ausnahme", weil er "Bahn gelebt" habe.
Wäre das wirklich richtig, hätte er anno 2009 die Milliardeninvestition im Südwesten der Republik redlich auf den Prüfstand stellen und seine Vorstandskollegen eindringlich davor warnen müssen. Stattdessen läuft alles weiter, als hätte es keinen Wechsel gegeben. Rüdiger Grube, der gelernte Berufsschullehrer, reist am 10. Dezember in Stuttgart an, um im Neuen Schloss sich selber als "hanseatischen Kaufmann" und das Projekt wider besseres Wissen als das "bestgerechnete" zu präsentieren. Journalisten versucht der Vorstandsvorsitzende, der als Hartmut Mehdorns Nachfolger auch erst ein halbes Jahr zuvor von Daimler-Chrysler gekommen ist, mit Zahlenkaskaden schwindelig zu reden. Vor allem rund um die "Chancen für eine Optimierung baulicher Anlagen", die 300 Millionen Euro an Einsparungen bringen sollen, darunter 146 beim Erdaushub, 87 beim Betonstahl und 29 beim Spritzbeton. Auf Nachfragen jedoch muss er einräumen, dass längst der Rotstift tanzt und dafür gesorgt hat, dass die Planung jetzt dünnere Wände vorsieht. Grubes legendäre Antwort: "Wir wollen Tunnel bauen und keine sicheren Bunker."
Oettinger, der da schon wusste, dass er als Kommissar nach Brüssel rotieren wird, sekundiert dennoch. Nach Einschätzung aller Vertragspartner sei "nun die sogenannte Ausstiegsklausel obsolet, weil wir unterhalb des bereits im April 2009 vereinbarten Schwellenwertes von 4,5 Milliarden Euro bleiben und noch einen habhaften Risikopuffer haben". Nach Einschätzung aller, die sich jemals ernsthaft mit der Entwicklung von Stuttgart 21 befasst haben – egal ob Gegner oder Befürworter –, ist klar, dass dieser Persilschein ausschließlich aus politischen Motiven ausgestellt wurde. Denn natürlich ahnten Oettinger, Stuttgarts OB Wolfgang Schuster und all die anderen führenden Tiefbahnhof-Fans bereits, was wenig später öffentlich wurde: dass auch diese Schwelle überschritten würde und deshalb die Ausstiegsklausel, die allen Projektpartnern das Recht zum Rückzug garantierte, niemals hätte verfallen dürfen.
Charmant, aber unglaubwürdig
Einem Millionenpublikum werden solche und ungezählte andere Details durch jene Schlichtung offenbar, die in fast hundert Stunden live im SWR und auf Phoenix übertragen wird. Am vorletzten Tag, Ende November 2010, geht es um die Kostenkalkulationen der Bahn, und wieder hätte Technikvorstand Kefer Bekennermut zeigen können. Lieber rechnet er aber sich und den Befürwortern die Analysen der Wirtschaftsprüfer schön. Manche Journalisten im Mittleren Sitzungssaal des Rathauses nehmen das dankbar auf. "Wirtschaftsprüfer geben grünes Licht, sehen aber Risiken", titeln die "Stuttgarter Nachrichten", der Berliner "Tagesspiegel" urteilte undifferenziert "Im Rahmen". Noch kühner agiert die FAZ und verkündet die vermessene Prognose wie ein gesichertes Faktum: "Stuttgart 21 nicht teurer als 4,5 Milliarden Euro." Viele Medien streuen Kefer Rosen, vom "brillantesten Rhetoriker" ist die Rede, weil er immer sachlich argumentiere, charmant pariere und überhaupt die Gelassenheit in Person sei.
Nur die Glaubwürdigkeit lässt arg zu wünschen übrig. Als es um das große Ganze geht, um die Leistungsfähigkeit, braucht die DB drei Anläufe, um einigermaßen belastbare, gleichwohl aber schlechte Ergebnisse vorzulegen. Schlichter Heiner Geißler bedenkt der Manager nicht einmal mit Spott, der wiederum eiert mit Souveränität vorspiegelnder Miene durch die Themen Grund- und Mineralwasser, macht aus Risiken Liliputaner und aus Vorzügen Riesen. Wortreich knöpft er sich die Alternative K 21 vor, die nicht mehr sei als "eine Ansammlung von Ideen". Dafür orakelt er, dass, wenn es beim Kopfbahnhof bliebe, massive Einschränkungen im Regionalverkehr und in Stuttgart eine "ewige Baustelle" die unausbleibliche Folge wären.
Gemessen an seinem selbstbewussten Auftreten, scheint er sich selbst und das ganze Projekt für unverwundbar zu halten. Das zeigt sich nicht nur im Umgang mit den eklatanten Fahrplanschwächen, die Tübingens OB Boris Palmer der Befürworterbank ein ums andere Mal um die Ohren schlägt, oder beim Thema Brandschutz in Tunneln und Tiefbahnhof. Oder: Als sich Kefer bei einer eingeschobenen Samstagssitzung bockig stellt und einfach nicht schlucken will, wie ICE im Pannenfall rückwärts ins – immer schnellere – Rollen kommen können. Da platzt Geißler der Kragen: "Sie retten Ihren Bahnhof nicht dadurch, dass Sie Fragen nicht beantworten ... Ich glaube, Sie kapieren nicht, was hier passiert." Kefer versucht das genauso wegzulächeln wie den Nachweis zweier Gegner-Experten, dass es S 21 der Gleisneigung wegen gar nicht geben dürfe. Und dass die angeblich vorgesehenen Sicherheitsmaßnahmen technisch überhaupt nicht machbar sind. "Das ist ein massiver Angriff auf das Projekt", wird der Schlichter irgendwann sagen.
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Blender
am 25.06.2016