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Wohin mit dem Geld?

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Verkehrte Welt beim Bahnprojekt Stuttgart 21: Trotz Mehrkosten in Milliardenhöhe musste Bahnvorstand Volker Kefer sich zuletzt rechtfertigen, bislang zu wenig Geld für den Tiefbahnhof ausgegeben zu haben. In der zweiten Jahreshälfte müssen noch 283 Millionen Euro "abfließen".

Auf der einen Seite immens steigende Kosten, auf der anderen viel zu viel Geld in der Kasse. Mit diesen – sich eigentlich gegenseitig ausschließenden – Problemen kämpft derzeit die Bahn bei Stuttgart 21. Nach internen Bahn-Unterlagen, die Kontext vorliegen, gibt der Staatskonzern derzeit deutlich weniger Geld für den Bau des Tiefbahnhofs aus als kalkuliert. So musste Bahn-Infrastrukturvorstand Volker Kefer während der jüngsten Aufsichtsratssitzung am 18. September 2013, in der auch die wirtschaftlichen Situation des Projekts auf der Tagesordnung stand, darlegen, dass sich im laufenden Jahr der erwartete Mittelabfluss um 24 Millionen Euro verringert. Bis zum Jahresende will die Bauherrin für die Tieferlegung des Stuttgarter Hauptbahnhofs "nur" 367 Millionen Euro an Baufirmen, Planungsbüros sowie beteiligte Konzerntöchter überwiesen haben.

Bis zum Stichtag der Kennzahlen, er datiert auf den 23. August 2013, waren jedoch lediglich 84 Millionen Euro ausbezahlt. Kalkuliert waren zu diesem Zeitpunkt jedoch Mittelabflüsse von bereits 93 Millionen Euro. "Um den geplanten Mittelabfluss für 2013 zu erreichen, müssen noch 283 Mio. EUR abfließen", heißt es fast schon verzweifelt auf Seite 6 der Kefer-Präsentation.

Schuld daran, weniger Geld ausgeben zu können als geplant, haben unter anderem streng geschützte Eidechsen. Wegen fehlender Genehmigung des Eisenbahn-Bundesamts zur Absammlung der Tiere konnten Bagger an einem Zwischenangriff für den Feuerbacher Tunnel nicht loslegen. Auch die fehlende Erlaubnis, mit speziellen Injektionsschächten das Absinken von Gebäuden über dem Tunnel nach Bad Cannstatt zu vermeiden, sorgte für Verzögerungen.

Mehr Geld ausgeben will die Bahn im zweiten Halbjahr unter anderem durch mehrere Tunnelanstiche, das Anwerfen des Grundwassermanagements und durch den Aushub des Bahnhofstrogs. In Kefers Folien ist als Starttermin für diese Arbeiten der August 2013 aufgeführt. Tatsächlich ist jedoch bislang noch keines der Vorhaben begonnen worden. Vor Kurzem erst hat die Bahn angekündigt, dass sie Anfang Dezember im Stuttgarter Vorort Wangen den ersten Tunnelanstich für Stuttgart 21 vornehmen will.

Die bisherigen Verzögerungen sollen die Fertigstellung des Projekts dennoch angeblich nicht weiter verzögern. "Das Projekt geht von einer Inbetriebnahme 2021 aus", heißt es gleich am Anfang der Präsentation. Auf diese Behauptung stützt sich auch das Urteil in einem Klageverfahren der Bahn gegen die "Stuttgarter Zeitung". Als Beleg für den erfolgreichen Projektfortschritt müssen unter anderem die blauen Rohre des Grundwassermanagements herhalten. "Rohrleitungsmontage im Schlossgarten fast abgeschlossen", wird den Aufsichtsräten mit Vorher-nachher-Bildern nahegelegt. Einige Seiten weiter warnt Bahnvorstand Kefer die Aufseher jedoch, dass die "Flughafenstation weiterhin auf dem kritischen Pfad" ist. Auf der Folie ist die Fertigstellung des Gesamtprojekts zudem auf das Jahr 2022 terminiert und als Wahrscheinlichkeit dafür ein Wert von  80 Prozent genannt.

Trotz der Ausgabenklemme in diesem Jahr: Seit dem offiziellen Baustart von Stuttgart am 10. Februar 2010 hat die Bahn für die neue unterirdische Haltestation bislang insgesamt 487 Millionen Euro ausgegeben. "Per Quartal 2/13 waren 8 Prozent des GWU verausgabt", heißt es dazu in der Vorlage für das Aufseher-Gremium. Der Begriff "GWU" steht für den Gesamtwerteumfang, der bei Stuttgart 21 aktuell 5,987 Milliarden Euro umfasst. Hinzu kommen noch 539 Millionen Euro "Puffer", der den vom Bahn-Aufsichtsrat genehmigten Finanzierungsrahmen des Projekts auf 6,526 Milliarden Euro aufbläht. Das muss jedoch nicht das Ende der Fahnenstange bleiben: Für eine verbesserte Anbindung des Stuttgarter Flughafens wird mit weiteren Kosten von 270 Millionen Euro gerechnet.

Sollte die S-21-Kasse am Ende des Jahres doch noch wie geplant geleert sein, hätte die Bahn für den neuen Tiefbahnhof bislang 770 Millionen Euro verausgabt, was knapp 13 Prozent des GWU entspricht. Ab 2014 sollen nach Plänen der Bahn in der heißen Bauphase jährlich rund 800 Millionen Euro für Stuttgart 21 ausgegeben werden. Im nächsten Jahrzehnt werden sich die Mittelabflüsse dann kontinuierlich auf eine zweistellige Millionensumme verkleinern. Letzte Ausgaben von 71 Millionen Euro sollen im Jahr 2025 anfallen. Im kommenden Jahr muss die Bahn selbst 483 Millionen Euro für Stuttgart 21 stemmen. Bislang hatte Bahn und Projektbefürworter immer betont, dass andere Bahnprojekte nicht unter dem teuren Tiefbahnhof leiden. Doch offensichtlich fehlt dem Konzern Bares. Zufall oder nicht, dass Bahnchef Rüdiger Grube vor wenigen Tagen erst eine Milliarde mehr von der Bundesregierung zur Sanierung der maroden Bestandsinfrastruktur forderte? 

Die gute Nachricht: wirtschaftliche Situation stabil

Trotz aller Widrigkeiten konnte der Bahnvorstand den Aufsehern auch eine gute Nachricht überbringen. "Die wirtschaftliche Situation des Projekts ist stabil", ist die Berichterstattung an den Aufsichtsrat mehrfach groß überschrieben. Alles andere wäre dem Gremium auch nicht vermittelbar gewesen.

Im vergangenen Frühjahr noch hatten das Bahnhofsprojekt nach neuerlichen Kostenexplosionen kurz vor dem Aus gestanden. Offenbar nur auf Druck der Bundesregierung billigte der Bahn-Aufsichtsrat Anfang März den Weiterbau von Stuttgart 21, obwohl das Mammutprojekt am Ende mittlerweile bis zu 6,8 Milliarden Euro kosten und damit für die Bahn selbst zum Milliardengrab werden könnte. Bei der Unterzeichnung der Finanzierungsverträge im März 2009 sollte die Tieferlegung des Stuttgarter Hauptbahnhofs nur knapp drei Milliarden Euro kosten. Mehr als drei Jahre nach dem offiziellen Baustart im Februar 2010, gefeiert mit einer symbolischen Prellbockanhebung im bestehenden Kopfbahnhof, wird inzwischen an verschiedenen Stellen im Stuttgarter Stadtgebiet am Projekt gearbeitet. Besuchern und Bewohnern der Landeshauptstadt zeigt sich der Baufortschritt bislang allerdings vor allem an Abrissarbeiten, Rohrverlegungen sowie mehr oder weniger störenden Verkehrsumleitungen. Zuletzt feierte Ende Oktober das Kommunikationsbüro Stuttgart 21 die Verlegung des Querbahnsteigs im Kopfbahnhof, nötig für den Aushub des Tiefbahnhofstrogs, als "Meilenstein" beim Baufortschritt von Stuttgart 21.


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1 Kommentar verfügbar

  • thomas a
    am 06.11.2013
    Antworten
    Man muß eigentlich alle politischen Töpfe die S21 zuzuordenen sind zusammenzählen. Den regionalzugvertrag mit 140 Mio-Überzahlung(VCD) pro Jahr. Die 2,1Mrd bis zum Vertragsende muß bei zinsrechnung auf einen Kapitalwert von über 4 Mrd hochgerechnet werden. Heutiger bilanzstand ist mehr als 3 Mrd.…
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